Mobile Assistenzsysteme, die das Monitoring von Vitalparametern wie Blutdruck oder Herzfrequenz von zuhause aus ermöglichen, können Risikopatienten mehr Sicherheit und Lebensqualität bieten. Vielen Betroffenen bleiben häufige Arztbesuche dennoch nicht erspart. Denn immer noch sind wichtige Gesundheitsparameter nur mit Hilfe von Blutdiagnosen feststellbar, die im Labor gestellt werden müssen. Integrierte nanoelektronische Sensoren in Ambient-Assisted–Living--Systemen könnten aber schon bald dafür sorgen, dass die mobilen Assistenzsysteme diese Labortests auch zu Hause übernehmen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit seit Jahren die Todesursache Nummer eins. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes starben in Deutschland im Jahr 2012 fast 350.000 Menschen an einer kardiovaskulären Erkrankung. Regelmäßig gehen vier von zehn Sterbefälle auf eine solche Diagnose zurück. Die von den Ärzten mit Abstand am häufigsten festgestellte Herz-Kreislauf-Erkrankung ist Bluthochdruck. Laut Daten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist allein davon jeder fünfte erwachsene Deutsche betroffen, wobei der Anteil der Bluthochdruckpatienten mit zunehmendem Alter stark ansteigt. Zusätzlich leiden über drei Millionen Menschen in Deutschland an einer koronaren Herz-Erkrankung, einer Erscheinungsform der sogenannten Arterienverkalkung und etwa zwei Millionen Deutsche leben mit der Diagnose eines chronischen Herzversagens oder einer Herzinsuffizienz, bei der die Leistung des Herzens immer weiter nachlässt.

Für die Patienten bedeutet die Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems in vielen Fällen nicht nur eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und langjährige regelmäßige Arzttermine sowie die Einnahme von Medikamenten. Viele von ihnen sind Risikopatienten, bei denen es plötzlich zu einem akut lebensbedrohlichen Krankheitszustand kommen kann. So kann eine Arterienverkalkung durch Arteriosklerose zu einem sofortigen Gefäßverschluss führen. Sind davon Blutgefäße am Herzen betroffen, kommt es zum Herzinfarkt. Ein Gefäßverschluss im Gehirn kann einen Schlaganfall auslösen.

Durch regelmäßiges Monitoring des Gesundheitszustandes von Risikopatienten lässt sich der Verlauf eines Infarktes oder eines Schlaganfalls deutlich abmildern. Voraussetzung dafür ist eine regelmäßige ärztliche Kontrolle einer Reihe von medizinischen Indikatoren. Dazu zählen beispielsweise Langzeitmessungen von Vitalparametern wie Blutdruck, Puls, Herzrhythmus und Sauerstoffsättigung. Der Vorteil dabei: Alle diese Parameter lassen sich nicht-invasiv mit einfach zu handhabenden und verhältnismäßig günstigen Geräten schnell messen. Risikopatienten könnten – zumindest einen Teil – der Kontrollmessungen ihrer Vitalparameter zuhause selbst vornehmen. Der teils täglich notwendige Weg in die Praxis zu ihrem Arzt würde so zum Teil wegfallen.

Für viele Patienten bleibt dies allerdings bisher noch ein unerfüllbarer Wunsch. »Denn um eine drohende Verschlechterung des Gesundheitszustandes rechtzeitig erkennen zu können, reichen die Werte der leicht messbaren Vitalparameter leider nicht aus. Für eine valide Diagnose benötigt der Arzt die Messwerte zusätzlicher Risiko-Mediatoren«, so Fouad Bitti vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT. Und diese Marker zur Bewertung des akuten Infarktrisikos sind nur durch diagnostische Tests bestimmter Blutwerte feststellbar. Bisher waren dafür die Entnahme einer Blutprobe in der Arztpraxis und die Blutanalyse im Labor notwendig.

In einem von der europäischen Union und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt mit Namen »Nanoelectronics for Mobile AAL Systems (MAS)« entwickelten die Wissenschaftler des Fraunhofer FIT gemeinsam mit der Berliner Charité und T-Systems sowie weiteren internationalen Forschungspartnern nun eine Plattform für Ambient-Assisted-Living-Systeme. Sie soll neben nicht invasiven Messsensoren auch die Blutentnahme und die Bestimmung bestimmter Marker im Blut beim Patienten zuhause ermöglichen.

Herzstück der neuen AAL-Lösung ist eine kompakte Geräteeinheit in die sowohl alle Softwarekomponenten für die Funktionalitäten des AAL-Systems, als auch ein Mess- und Analysegerät für Blutproben integriert sind. An die modular aufgebaute Plattform können unterschiedliche Sensoren zur Messung von Vitalparametern angebunden werden. Das kann beispielsweise ein mit einem Bluetooth-Modul ausgestattetes Pulsoxymeter zur Ermittlung von Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung sein, das der Risikopatient zuhause bequem im Ohr trägt. Oder ein Blutdruckmessgerät, das die ermittelten Werte von der Armmanschette über WLAN an die AAL-Plattform übermittelt. In der Zentraleinheit werden die Daten dann ausgewertet. Über eine Smartphone-App kann sich der Patient zudem selbst seine Vitaldaten in für ihn verständlicher Form anzeigen lassen. Außerdem ist es möglich, die Patientendaten über eine Internetanbindung an den Arzt oder ein Medizinzentrum zu senden.

Über eine spezielle Anwendung des AAL-Systems hat der Arzt Zugriff auf die aktuellen Messwerte seines Patienten und kann ihm kurzfristig eine Rückmeldung über seine Einschätzung zu dessen Gesundheitszustand geben. Bei Bedarf informiert er ihn beispielsweise per SMS oder mit einem Telefonanruf, dass eine zusätzliche Überprüfung von Risikomarkern im Blut notwendig ist. Dafür nutzt der Patient spezielle Einmal-Kartuschen, in die er mit einem Pieks in seinen Finger einen Bluttropfen bringt. Die Handhabung ist ähnlich einfach wie bei Systemen zur eigenständigen Blutzuckermessung durch Diabetespatienten. »Die Kartusche ist mit einem Mikrochip ausgestattet und bereits so vorbereitet, dass das Blut automatisch mit den spezifischen Markern eingefärbt wird«, erklärt Bitti.

Die Blutprobe in der Kartusche wird nun in der Zentraleinheit mittels zweier unterschiedlicher Verfahren analysiert. Möglich machen dies miniaturisierte Sensoren, die in der Lage sind, die Zusammensetzung der Blutprobe bis auf Nanoebene zu messen. Mit dem »Nanopotentiostaten«, einem elektrochemischen Sensor, lassen sich beispielsweise der Glucose-, Lactat- oder Cholesterolwert bestimmen. Als zweiter Sensor liefert »FLORES«, ein Fluoreszenzsensor durch optische Auswertung mit einer Laserdiode die Konzentrationen bestimmter Herzkreislaufmarker. Die Datenverarbeitungseinheit sendet die Ergebnisse wiederum an das Medizinzentrum. Der Arzt kann so schnell entscheiden, ob weitere Schritte notwendig sind.

Im Rahmen der Projektarbeiten entwickelten die Forschungspartner einen Demonstrator des AAL-Systems mit integrierter mobiler Blutanalyse einschließlich der gesamten Kommunikationsprozesse und Benutzungsschnittstellen. Wichtige Komponenten wie die störungsfreie und sichere Übertragung der Patientendaten zwischen der AAL-Zentraleinheit und einem Medizinzentrum wurden in Studien vom Fraunhofer FIT zusammen mit der Berliner Charité intensiv erprobt. (stw)

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