Bewegung ist ein wichtiges Stück Lebensqualität – gerade auch bei Hochbetagten mit zunehmenden körperlichen und kognitiven Einschränkungen. In einer Studie konnten durch den Einsatz spezieller Sensoren nun erstmals objektiv Daten erfasst werden, die es ermöglichen, das Bewegungsverhalten von Pflegeheimbewohnern zu analysieren. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage für die Entwicklung neuer Konzepte zur gezielten Bewegungsförderung bis ins hohe Alter.

Der Schlafbereich, das eigene Appartement, die Wohnetage, das gesamte Gebäude einschließlich der Gemeinschaftsräume und schließlich der Weg nach draußen zum Park und zu den Läden und Cafés in der Umgebung: Nach dem sogenannten »Life Space« Konzept lassen sich Aktivitätszonen definieren, die sich wie die Schichten einer Zwiebel rund um den Lebensmittelpunkt gruppieren. Für die Bewohner von Altenheimen und Pflegeeinrichtungen bildet dabei in der Regel das eigene Zimmer (Sofa) oder das Bett den Ausgangpunkt (bei sehr eingeschränkten Personen auch den einzigen Ort) der täglichen Aktivitäten. Für die Alternsforschung ist es von großem Interesse, zu erfahren, wie oft und wie lange sich Senioren während ihres Alltags in den verschiedenen Entfernungszonen aufhalten. »Eine Analyse des Bewegungsverhaltens gibt nicht nur Hinweise auf die körperliche Verfassung einer Person. Es ist gleichzeitig ein wichtiges Maß für die soziale Teilhabe innerhalb der eigenen Wohngruppe, der Pflegeeinrichtung oder noch darüber hinaus«, sagt Prof. Dr. Klaus Hauer vom AGAPLESION Bethanien Krankenhaus Heidelberg. Life Space-Analysen sind damit eine wichtige Grundlage, um Konzepte und Maßnahmen zu entwickeln, die die körperliche Aktivität und die soziale Teilhabe gezielt fördern und so die Lebensqualität von Alten- und Pflegeheimbewohnern nachhaltig verbessern.

Für die Erfassung des Bewegungsverhaltens im »Life Space« der Pflegeheimbewohner genügt ein kleiner, leichter Sensorknoten, der beispielsweise bequem an einem Halsband getragen wird
Für die Erfassung des Bewegungsverhaltens im »Life Space« der Pflegeheimbewohner genügt ein kleiner, leichter Sensorknoten, der beispielsweise bequem an einem Halsband getragen wird. Bild: Fraunhofer IIS

Eine Erhebung objektiver Daten zum Bewegungsverhalten nach dem »Life Space«-Konzept war für Pflegeeinrichtungen mit Hochbetagten oder Personen mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten bislang allerdings kaum möglich. Denn die klassische Erhebungsmethode mittels Befragung der Senioren ist dafür kaum geeignet: Unterschiedlich ausgeprägte Beeinträchtigungen des Erinnerungsvermögens mindern die Aussagekraft ihrer Antworten. Und Pflegeheimbewohner, mit denen ein inhaltliches Gespräch gar nicht mehr möglich ist, könnten überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden.

Sensortechnik wird zum Forscher

Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS entwickelten die Geriatrie-Forscher des AGAPLESION Bethanien Krankenhaus Heidelberg deshalb ein neues Erhebungskonzept für die Life Space-Analysen. Im Rahmen des EU-Projekts »INNOVAGE« führten sie eine Studie durch, bei der sie innovative Sensortechnik nutzten, um die Aktivitäten der Bewohner umfassend zu erfassen. Für die jeweils mehrwöchigen Messreihen statteten die Fraunhofer-Forscher abwechselnd in zwei unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen alle Stockwerke, Gänge und Gemeinschaftsräume bis zu den Übergängen ins Freie mit drahtlosen Sensor-Tags aus. »Da die kleinen Sendereinheiten völlig autark arbeiten, lassen sie sich überall im Gebäude ganz einfach ohne eigene Stromversorgung positionieren«, erklärt André Hanak vom Fraunhofer IIS. Innerhalb weniger Stunden sei so die Ausbringung der etwa 160 Sensorknoten in den Räumen eines Pflegeheims vollständig abgeschlossen gewesen. Ermöglicht wird dies durch die selbstständige Vernetzung auf Basis der besonders energiesparenden s-net®-Technologie für drahtlose Sensornetze. Die temporär montierten Funksender zeichnen selbst keinerlei Daten auf. Sie fungieren lediglich als elektronische Marker.

Die Sendereinheiten, die bei der Positionsbestimmung als Marker dienen arbeiten völlig autark und lassen sie sich ganz einfach ohne eigene Stromversorgung ausbringen.
Die Sendereinheiten, die bei der Positionsbestimmung als Marker dienen arbeiten völlig autark und lassen sie sich ganz einfach ohne eigene Stromversorgung ausbringen. Bild: Fraunhofer IIS

Die eigentliche Bewegungsmessung übernimmt ein Sensorknoten in der Größe eines kleinen Handys, den die teilnehmenden Senioren während der Messreihen bei sich trugen. Der Sensorknoten scannt seine aktuelle Umgebung nach den ausgebrachten Sensor-Tags ab und überträgt alle dreißig Sekunden die Kennwerte seiner Position im Verhältnis zu den elektronischen Markern. »Diese Daten bilden erstmals objektiv ab, welche Wege in den Gemeinschaftsräumen und öffentlichen Bereichen zurücklegt werden und wie lange diese Bereiche genutzt werden“, so Hanak.

Aktivitätsförderung für mehr Lebensqualität

Mit den Life Space-Analysen untersuchten die »INNOVAGE«-Forschungspartner den räumlichen Kontext des Bewegungsverhaltens. Mit Hilfe körpernah getragener Sensoren ermittelten sie zusätzlich auch die Qualität der körperlichen Aktivitäten. Die erzielten Ergebnisse werden nun dazu genutzt, effektive Maßnahmen zur Aktivitätsförderung von Pflegeheimbewohnern zu identifizieren und weiterzuentwickeln. »Und da die Sensorinfrastruktur schnell und einfach erneut installiert ist, ist sie auch bestens geeignet, um die Wirkung neuer Konzepte zur Aktivitätsförderung evaluieren zu können«, so Hauer. (stw)

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