Eine elektronische Plattform ersetzt nicht zwangsläufig Stift, Papier und schwarze Bretter. Das gilt insbesondere bei (teils) pflegebedürftigen Senioren. Projekte des Fraunhofer IAO in diesem Bereich zeigen, dass analoge und digitale Informationen wohl noch längere Zeit parallel angeboten werden sollten, um wirklich zu einem Mehr an Austausch zwischen älteren Menschen beizutragen. Im Interview erklärt Projektleiterin Petra Gaugisch grundlegende Ergebnisse ihrer Projekte SONIA und SONIAnetz und erläutert, warum eines von ihnen letztlich wenig erfolgreich war. 

Hallo Frau Gaugisch. Eine Vielzahl Ihrer aktuellen Projekte am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO konzentrieren sich auf Forschungen und Feldtests darüber, wie Seniorinnen und Senioren mit Hilfe elektronischer Medien untereinander besser in Kontakt kommen und wie sich Hilfsdienste besser koordinieren können.

Schwerpunkt in den vergangenen Jahren war vor allem das Projekt »SONIA«. Hier haben wir untersucht, wie kommunikationsunterstützende Technologien die Lebensqualität älterer Menschen verbessern können. Daraus ist das Nachfolgeprojekt »SONIAnetz« entstanden, das besonders auf hilfsbedürftige Menschen und deren Angehörige zugeschnitten ist. Zwei Teilbereiche von SONIAnetz sind »WirImQuartier«, eine Online-Plattform für die Unterstützung von Quartiersstrukturen am Beispiel des Quartiers Rauner, und die App »CareCircle«, das die Kooperation aller Beteiligten eines Hilfsnetzwerks unterstützt.

Während das Projekt SONIA sehr erfolgreich war, wurde SONIAnetz kaum angenommen.

SONIA, das bereits in den Jahren 2013 bis 2015 lief und über das auf InnoVisions bereits berichtet wurde, war in der Tat ausgesprochen erfolgreich. Wir sind damals angetreten mit der Fragestellung, wie man ältere Menschen mittels neuer Technologien mehr Teilhabe gewähren kann. Dafür ging es zunächst um die Frage, wie ältere Menschen ihren Alltag gestalten und welche Wünsche sie haben. Ein Ergebnis war die Definition von drei grundlegenden Bedürfnissen: mehr Miteinander, leicht zugängliche Informationen und bessere Möglichkeiten, um sich auszutauschen. So entstand die Grundidee für eine Plattform, die auf die befragten Seniorinnen und Senioren zugeschnitten war und beispielsweise mit Angeboten zu Literaturkreisen, Tanzabenden, Stammtischen, Filmabenden, Computerkursen oder auch – glauben Sie es oder nicht – Angeboten zum Rikscha-Fahren sehr erfolgreich war. Binnen kürzester Zeit waren über 40 ältere Menschen auf dieser Plattform aktiv – die Möglichkeiten zur Teilhabe haben sich also deutlich verbessert. Allerdings war diese Zielgruppe vergleichsweise eng: Wir hatten damit nur Seniorinnen und Senioren ansprechen können, die geistig fit und neugierig auf neue Technologien waren.

Deshalb standen beim Nachfolgeprojekt SONIAnetz jene Menschen verstärkt im Fokus, die unterstützungsbedürftig sind oder zurückgezogen leben.

Genau. Wir haben unserer SONIA-Plattform unterschiedliche Bausteine hinzugefügt, um sie weiterzuentwickeln. Dazu gehört beispielsweise die Möglichkeit, sich nicht nur auszutauschen, sondern ganz konkret zu organisieren und Termine zu vereinbaren. Und wir haben das Angebot aufgenommen, »Tandems« zu bilden aus Senioren, die fit sind, und solchen, die eher unterstützungsbedürftig sind.

Um mehr Vernetzung zwischen älteren Menschen zu erreichen, ist es wichtig, ihnen den Umgang mit digitalen Technologien zu erleichtern. Bild: Fraunhofer IAO

Diese Tandems beschreiben Sie aber auch als typisches Beispiel dafür, warum SONIAnetz letztlich nicht funktioniert hat.

Aus Entgegenkommen kann schnell das Gefühl für Verpflichtung entstehen. Deshalb war der Zuspruch der Technikinteressierten, sich an den Tandems zu beteiligen, letztlich eher gering. Und die fünf Paten, die wir gewinnen konnten, waren auch durch andere Engagements, Urlaube oder die Pflege von Angehörigen eingespannt. Ein weiterer Punkt war, dass viele der Technikinteressierten eine spezifizierte Plattform wie SONIAnetz gar nicht nutzen wollten, weil sie – vor allem dank der Erfahrungen, die sie durch SONIA im Bereich von Social Media gewonnen hatten – selbstständig eigene Wege gingen und verstärkt beispielsweise WhatsApp oder Facebook einsetzen wollten. Diese ›Zielgruppe‹ hat also mehr und mehr begonnen, sich einen individuellen App-Pool aus den üblichen Stores zusammenzustellen.

Das Positive am »Scheitern« des Projekts SONIAnetz ist also, dass Sie durch das Vorgängerprojekt bestimmte Senioren bereits so stark mit den Möglichkeiten von Social Media vertraut gemacht hatten, dass gar kein Interesse mehr an einer regional-seniorenspezifischen Software bestand.

Das Problem ist allerdings, dass wir es noch nicht geschafft haben, die weniger technikaffine Zielgruppe zu begeistern und zumindest einen kleinen Schritt weiter an die Möglichkeiten des Internets heranzuführen. Diese nun auseinanderklaffende Schere hat neue und einschneidende Konsequenzen: Denn wenn sich eine Gruppe verstärkt über Social Media austauscht und verabredet, ist der andere Teil von einer Teilhabe letztlich ausgeschlossen. Wenn der Senioren-Literaturkreis beispielsweise vorab auf der Plattform Genaueres zum zu besprechenden Buch bekannt gibt und Zusatzinfos herumschickt, erhält derjenige, der diese nicht nutzt, kaum mehr einen Einblick. Ein Stück weit haben wir also das Gegenteil von dem erreicht, was unser Ziel war.

Die einzige Möglichkeit ist, sowohl auf digitale als auch analoge Medien zu setzen.

Richtig, allerdings hat sich so der Aufwand verdoppelt. Aber für eine gewisse Übergangszeit geht es wohl nicht anders. Auch das sind wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse: Wir müssen ältere Menschen dort abholen, wo sie stehen und ihnen sowohl analoge als auch digitale Angebote machen, um sie vielleicht allmählich mehr und mehr mit dem einfacheren Weg der Kommunikation über elektronische Medien vertraut zu machen.

(hen)

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Interviewpartner
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Petra Gaugisch
  • Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
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