Warum werden viele neue Technologien zunächst immer nur von technikbegeisterten Spezialisten genutzt und schaffen erst nach jahrelanger Weiterentwicklung und Überarbeitung den großen Durchbruch in der Breite der Gesellschaft? Vielleicht liegt es daran, dass sie schlichtweg falsch oder zumindest von den Falschen konstruiert worden sind.

Noch immer fremdeln große Teile der Bevölkerung mit neuartigen technischen Entwicklungen und viele Menschen können oder wollen gar nicht mit neuen digitalen Technologien und Geräten umgehen.

Wenn jemand sagt, »Ich komme damit nicht klar. Ich verstehe das nicht.«, könnte man entgegnen, dass sich die Anwender*innen natürlich erst einmal das notwendige Grundwissen aneignen müssen. Aber vielleicht liegt das Problem gar nicht bei den Anwender*innen, sondern in der Entwicklung der Technologien. Diese komplexen und technisch brillanten Innovationen kommen oft aus Entwicklungsabteilungen von Tech-Konzernen und Forschungseinrichtungen, die von Informatikern, Mathematikern und Physikern dominiert werden. Die maskuline Schreibweise ist ausnahmsweise angebracht. Denn Frauen bilden hier die Minderheit, oft sogar die Ausnahme. Auch Menschen aus anderen Fachrichtungen und mit anderem Bildungshintergrund, als dem entsprechenden MINT-Studium sind nur selten vertreten. Damit werden viele Technologien zunächst nur aus technischer Sicht entwickelt. Leistungsaufnahme, Bandbreite, Displayauflösung und Prozessortakt sind dann beispielsweise Kriterien, die immer weiter optimiert werden. Entwicklungsingenieure arbeiten oft unbeirrt Jahre oder sogar Jahrzehnte an einer Technologie und versuchen dann immer noch 0,2% mehr Leistung herauszukitzeln. Erst ganz am Schluss denkt man nochmal kurz über ein User-Interface nach. Andere Aspekte wie Design, Ergonomie, Nachhaltigkeit, Ethik oder Kultur fehlen im Entwicklungsprozess oft ganz. Das Ergebnis sind dann oft nette Spielzeuge, die aber nicht die Voraussetzungen und Anforderungen für den Lebens- und Arbeitsalltag der meisten Menschen erfüllen.

Es ist also nicht gut, wenn nur eine kleine Gruppe von sehr ähnlich denkenden Ingenieuren neue Technologien entwickelt, die großen Einfluss auf unser aller Leben haben sollen. Im Extremfall kommen dabei sogar Produkte heraus, die für ganze Bevölkerungsgruppen schlechter oder völlig unbenutzbar sind, etwa Spracherkennungssoftware, die Frauen schlechter versteht; Medizinprodukte, die nur an Männern getestet wurden; Formulare, die erzwingen, dass ein Nachname mindestens 3 Buchstaben haben muss; Seifenspender, die auf dunkle Hände keine Seife spenden oder Gesichtserkennungsalgorithmen, die mit asiatischen und afrikanischen Gesichtern überfordert sind, weil sie nur mit westlichen Gesichtern trainiert wurden.

Das lässt sich nur vermeiden, wenn man die Vielfalt unserer Gesellschaft zumindest ansatzweise in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen abbildet. Es wird also Zeit, dass Menschen aller Geschlechter, Altersgruppen, Kulturkreise, Religionen, Ausbildungen und Fachrichtungen gemeinsam an den Technologien der Zukunft arbeiten. Dies sichert von Anfang an die Berücksichtigung vieler Aspekte und Faktoren, die zu einer hohen der Akzeptanz der Technologien und Produkte führen. Außerdem ist die Diversität in Teams eine machtvolle kreative Quelle für ganz neue Lösungsansätze und Innovationen, da anders tickende Teammitglieder neuartige, oft unkonventionelle Ideen einbringen und Dinge hinterfragen, die Ingenieure schon lange als selbstverständlich ansehen.

Ja, wir müssen auch mehr Mädchen und Frauen für MINT-Studiengänge begeistern, aber die übliche Aussage, dass zu wenige Informatikabsolventinnen von den Unis kommen, greift viel zu kurz. Diversity ist viel mehr! Deshalb mein Aufruf, an die innovativen Technologieschmieden: Holt Euch neben Informatiker*innen auch Philosoph*innen, Psycholog*innen, Architekt*innen, Pädagog*innen, Künstler*innen und weitere kreative Köpfe aus verschiedenen Kulturkreisen in die Entwicklungsabteilungen! Durch ihre anderen Denkweisen und Erfahrungen sind sie eine große Bereicherung und können in Co-Creation mit Ingenieur*innen den Markterfolg neuer Produkte sichern.

Das gilt natürlich im gleichen Maße auch für die Führungsetagen und Vorstände. Dort werden richtungsweisende Entscheidungen getroffen - bisher meist von männlichen Betriebswirten, Juristen und Maschinenbauern. Mehr Frauen und andere Fachrichtungen in den Vorständen können zu neuen Visionen und offeneren Unternehmenskulturen führen und damit langfristig den Unternehmenserfolg sichern und steigern. Dass sie die Verantwortung übernehmen wollen, haben vielfältige Aktivitäten wie die »Initiative Chefsache«, die Aktion #IchWill oder die Initiative #SheTransformsIT gezeigt.

Es ist Zeit zu handeln.

(tbe)

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Autor
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Thomas Bendig
  • arbeitete vormals beim Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, ist jetzt jedoch nicht mehr bei uns tätig.
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