Die Blockchain-Technologie erfährt große Aufmerksamkeit, denn im digitalen Zeitalter kann ihr eine wichtige Funktion zukommen. Sie soll Datenströme sicherer machen, die Privatsphäre schützen und Betrug in vielen wesentlichen Bereichen der sozialen Interaktion verhindern. Doch außerhalb der Wissenschaft kann sich kaum jemand etwas Konkretes unter dem, eigentlich transparenzbringenden, Speicher vorstellen. Welche Technologie steckt dahinter? In welchen Anwendungsbereichen ist die Blockchain besonders relevant? Und welche wirtschaftspolitischen Faktoren sind zu beachten?

Dies ist der dritte Artikel einer Miniserie über Blockchain und Smart Contracts, basierend auf dem Fraunhofer-Positionspapier »Blockchain und Smart Contracts. Technologien, Forschungsfragen und Anwendungen«. Der erste Artikel der Reihe beschäftigte sich vorwiegend mit den technologischen Grundlagen, im zweiten Teil berichteten wir über mögliche Anwendungsbereiche der Blockchain. Dr. Julian Schütte vom Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC gab hierzu einen Einblick aus Sicht der IT-Sicherheitsforschung. In diesem Artikel sollen die Use Cases aus einer wirtschaftlichen Perspektive beleuchtet werden. Dr. Heiko Roßnagel vom Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erklärte sich bereit, uns ebenfalls die Fragen zur Blockchain-Anwendung zu beantworten.

Herr Dr. Roßnagel, die Blockchain eröffnet eine Menge Möglichkeiten. Bei vielen im Positionspapier beschriebenen Anwendungsfällen handelt es sich jedoch um Zukunftsszenarien. Welche aktuellen Use Cases gibt es heute schon in Bezug auf die Blockchain?

Das Fraunhofer IAO beschäftigt sich u.a. mit der Wirtschaftlichkeit von Sicherheitsthemen. Technologieakzeptanz, Technologieverbreitung, das sind Themen, die uns wahnsinnig interessieren. Ein weiteres großes Themenfeld bei uns am Institut ist das Identitätsmanagement. Die Blockchain spielt in beiden Bereichen eine immer größere Rolle und hat hier großes Anwendungspotential. Aktuell arbeiten wir beispielsweise mit UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, zusammen und beraten diese in Bezug auf das Identitätsmanagement. Hier gibt es einen sehr großen Use Case, denn Flüchtlinge verfügen häufig nicht über offizielle Identitätsdokumente. Identitäten sind jedoch häufig eine Voraussetzung für den Zugang zu Nahrung, Bildung und anderen grundlegenden menschlichen Bedürfnissen. Das UNHCR arbeitet darum daran, Flüchtlinge mit digitalen Identitäten auszustatten und diese für die Flüchtlinge nutzbar zu machen. Das ist natürlich eine riesige Herausforderung. Die Blockchain könnte eine der Lösungen sein, um das Problem anzugehen. Um das herauszufinden, gibt es ein Pilotprojekt, das wahrscheinlich in Jordanien umgesetzt wird. Das Fraunhofer IAO half im vergangenen Jahr auch bei der Ausschreibung für dieses Blockchainprojekt, ebenso wie bei der Bewertung der Proposals. Man muss allerdings auch sagen, dass es aktuell noch unklar ist, ob die Blockchain die beste Lösung für die Flüchtlingshilfe darstellt. Es gibt natürlich auch alternative Ansätze. Aber die Blockchain wäre definitiv eine Möglichkeit und es bietet sich für so einen Use Case förmlich an, auf diese Technologie zu setzen.

Was die Anwendungsfälle generell angeht, steht die Blockchain aber zweifelsohne noch am Anfang. In den letzten Jahren haben wir etwas vielfach beobachten können: Es gab unglaublich viele Proof of Concept Demonstratoren, die zeigen, dass man einen bestimmten Use Case mit der Blockchain umsetzen kann. Aber was es noch gar nicht oder zumindest nur ganz eingeschränkt gibt, sind tatsächlich produktive Anwendungen, die zeigen, dass die Blockchain auch einen messbaren Benefit bringt. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gibt! Bei der Blockchain handelt es sich ja auch noch um eine neue Technologie und es werden sich in Zukunft sicher einige reale Anwendungsbereiche herauskristallisieren.
Die Frage ist halt wirklich immer: Wo liegt der Vorteil einer Technologie. Hier z.B., der Vorteil der Blockchain gegenüber einer klassischen Cloud-Datenbank. Wenn man die Public Blockchain betrachtet, dann liegt ihr wesentlicher Vorzug darin, dass wir das Vertrauen auf unterschiedliche Parteien verteilen und, dass das Ganze auch noch gut funktioniert, wenn die unterschiedlichen Parteien unterschiedliche Interessen verfolgen und sich gegenseitig nicht wirklich über den Weg trauen. In solchen Settings bietet die Public Blockchain einen riesigen Vorteil. Das Problem ist, dass es ganz wenige Fälle gibt, in denen man wirklich niemanden vertraut. Man muss also die Anwendungsfälle finden, bei denen die Blockchain von ihrer Art her einen Mehrwert bietet und nicht nur ein Implementierungsdetail ist.

Die Blockchain ist ein öffentliches Kontenbuch, das von jedem theoretisch eingesehen werden kann - und in dem sich eine Menge Daten befinden. Doch nicht für jeden sind alle Daten relevant und nicht jeder sollte alles sehen können. Wie wird ein selektiver Zugriff auf die Daten in der Blockchain ermöglicht?

Das ist aktuell nur schwer, bzw. nur eingeschränkt möglich. Die Blockchain ist ja ursprünglich nicht zum Schutz der Privatsphäre entwickelt worden. Es ist nun einmal ein öffentliches Verzeichnis, in dem Informationen öffentlich, möglichst leicht zugänglich, möglichst unlöschbar, möglichst transparent gespeichert werden. Das ist der ursprüngliche Zweck der Blockchain. Natürlich widerspricht das dem Ansatz der Datenminimierung und insbesondere dem Recht auf Vergessenwerden. Was man machen kann, ist die Blockchain mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen zu kombinieren. So könnten Daten beispielsweise verschlüsselt in der Blockchain ablegt werden und nur jemand mit dem passenden Schlüssel kann an die Informationen herankommen. Dabei ergibt sich aber ein ganz wesentliches Problem, denn auch eine Verschlüsselung ist nur temporär sicher. Man versucht das Problem also zu umgehen, indem man anstelle der Daten nur einen Pointer auf diese in der Blockchain ablegt. Die Daten werden dann außerhalb der Blockchain zur Verfügung gestellt. Doch dieses Szenario schränkt den eigentlichen Nutzen der Technologie extrem ein. Die eigentlichen Daten sind dann aber eben auch nicht mehr unlöschbar und leicht zugänglich gespeichert.

Für welchen Bereich erachten Sie persönlich die Blockchain als besonders relevant und zukunftsweisend?

Dass die Blockchain transparent und unlöschbar ist, mag jetzt im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten unglücklich sein, aber in anderen Bereichen ist das ein ganz tolles Feature! Nehmen wir als Beispiel die Lebensmittelkette. Es gibt Lebensmittel, die von Afrika bis zu uns in den Supermarkt verschickt werden. Und wir wollen irgendwie nachweisen, dass die entsprechenden Produkte fair gehandelt wurden und, dass niemand ausgebeutet wurde. Durch die Nutzung der Blockchain-Technologie könnten alle, die auf dem Weg der Logistikkette stehen, bestätigen, dass bis zu ihnen alles rechtmäßig verlaufen ist. Wenn aber tatsächlich irgendwo ein Betrug stattgefunden hat, könnte man im Nachhinein nachvollziehen, wer wann welche Verantwortung übernommen hat. Für solche und ähnliche Use Cases, wenn man weiß, es gibt viele unterschiedliche Parteien, bietet die Blockchain aus meiner Sicht ein ganz tolles Potenzial. Nachvollziehbarkeit ist in solchen Prozessen sehr wertvoll.

Es zeigt sich also, dass es viele mögliche und zukünftige Anwendungsfelder der Blockchain gibt und, dass diese in vielen Bereichen einen Mehrwert bieten kann. Bis zur stärkeren Etablierung gibt es aber neben den technologischen Fragestellungen auch wirtschaftspolitische Faktoren, die in Bezug auf die Blockchain eine Rolle spielen. Gerade in Hinblick auf den Anwendungsbereich im öffentlichen Sektor und bei Wahlen ergeben sich einige Fragen in Bezug auf datenschutzrechtliche Grundlagen und politische Hintergründe. Alexander Nouak vom Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie weist auf einige Kernproblematiken hin, die im Zuge der Blockchain in Zukunft noch beachtet werden müssen.

Herr Nouak, das datenschutzrechtliche Betroffenenrecht schließt unter anderem die Löschung gespeicherter personenbezogener Daten ein, durch die Unveränderbarkeit der Blockchain ist das nicht gegeben. Stehen die Durchsetzung von Datenschutzrecht und die Blockchain demnach im Gegensatz zueinander?

Aktuell ist das tatsächlich ein Problem, denn in der Blockchain wird alles mitgeführt und jeder kann das in gewisser Form auch einsehen. Einige Leute sagen, die Blockchain sei gut für Wahlen. Aber es stellt sich die Frage, wie in diesem Zusammenhang die Anonymität gewahrt werden soll. Es gilt schließlich immer noch das Wahlgeheimnis. Es ist zwar wichtig, dass gespeichert wird, was ich gewählt habe, es darf aber nicht mitgeführt werden – und auch nicht darauf zurückgeschossen werden können – wer ich bin. Des Weiteren ist die Frage offen, wer darüber bestimmt, wer was sehen kann. Denn sobald es jemanden gibt, der darüber die Kontrolle hat, gibt es wieder eine Art Intermediär – also das, was die Blockchain eigentlich vermeiden will. Tatsächlich ist es also zurzeit noch so, dass sich Blockchain und DSGVO widersprechen. Welche Lösungen dafür gefunden werden, wird sich zeigen. Denkbar wäre z.B., dass sich der Datenschutz für digitale und persönliche Identitäten unterscheidet. In Bezug auf Transaktionen und Verträge wäre es auch möglich, dass die Blockchain nach einer gewissen Anzahl Knotenpunkte gekappt wird und nicht benötigte Informationen gelöscht werden. Vermutlich muss der Blockchain-Nutzer sich aber erst einmal damit einverstanden erklären, dass seine Daten über die Vertragserfüllung hinaus gespeichert werden. Das sind aber alles nur Spekulationen.

Was bedeutet die Blockchain für große Intermediäre und Banken? Wie wahrscheinlich ist es, dass diese zukünftig nicht mehr benötigt werden und warum setzen ausgerechnet diese Zweige trotzdem so stark auf die Blockchain?

Die Blockchain zeichnet sich dadurch aus, dass sie dezentral ist, während Intermediäre Zentralen sind, die eine unglaubliche Macht haben. Diese Macht verteilt sich durch die Blockchain auf die Gesellschaft, was prinzipiell gut ist – egal ob das Verträge, Regelungen oder Finanzen betrifft. Die Blockchain zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass nachvollziehbar ist, was gemacht wurde und das mag ein Grund sein, dass die Banken selbst diese Technologie mit in die Anwendung bringen wollen. Die Nachweisbarkeit der Transaktionen und die Unverfälschbarkeit sind eben sehr große Vorteile und auch heute schon sind Banken schließlich verpflichtet, offen zu legen, wo welches Geld hingeflossen ist. Die Blockchain erbringt diesen Nachweis. Außerdem können Kontrollmechanismen, die beispielsweise bei einer Kreditvergabe von Nöten sind, auf die Blockchain umgelagert werden. Papierwirtschaft entfällt dadurch, dass alle wesentlichen Informationen in der Blockchain abgebildet werden. Außerhalb der Banken dient die Blockchain als Kontrollgremium, innerhalb verhindert sie Datenmissbrauch. Da die Blockchain Intermediäre vermeiden möchte, wäre es auch gut möglich, dass sie Banken, aber auch Notare oder große Abrechnungsdienste, wie beispielsweise die GEMA, irgendwann ersetzt.

Wenn die Blockchain in Bereichen zum Einsatz kommt, in denen sie bestimmte menschliche Tätigkeiten überflüssig macht, welche anderen Tätigkeitsfelder kann sie dafür eröffnen?

Das ist eine philosophische Frage. Wir können nicht in die Zukunft schauen. Aber ich weiß, dass die Geschichte zeigt: Immer wenn es sogenannte disruptive Technologien gab – die Dampfmaschine war eine davon – dann hatten alle erst einmal Angst davor. Angst, um die eigenen Arbeitsplätze. Und dann haben sich aus diesen Technologien letztendlich immer eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze ergeben. Das heißt, es gibt überhaupt nicht diese flächendeckenden Auswirkungen, vor denen die Leute Angst haben. Genau das Gleiche trifft auch auf die Blockchain zu. Ja, es können vielleicht Notare ersetzt werden und teilweise vielleicht auch Banken, aber dafür wird es irgendetwas anderes geben – wir werden sehen, was das ist.

Es bleibt also festzuhalten, dass die Blockchain interessante Perspektiven für verschiedene Bereiche der sozialen und digitalen Interaktion bietet. Doch ihre Etablierung ist mit einer Reihe an Herausforderungen verbunden. Neben technischen Erweiterungen müssen zusätzlich grundsätzliche wirtschafts- und datenpolitische Fragen beantwortet werden. Erst dann kann die Blockchain als sicheres, dezentrales Netzwerk ihr volles Potenzial entfalten und als betrugssichere, hilfreiche Technologie wirken.

(cst)

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Alexander Nouak
  • Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie
Dr. Heiko Roßnagel
  • Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
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