Was bei Menschen funktioniert, gelingt auch bei Tieren: Forscher arbeiten an einem Programm, das eine automatische Gesichtserkennung bei Primaten ermöglicht. Ziel ist es, die Arbeit von Wissenschaftlern und Wildhütern zum Artenschutz zu unterstützen und das zeitaufwendige Sichten und Auswerten von Bild- und Tonmaterial zu vereinfachen. Und damit nicht genug: Die Software soll ebenfalls in der Lage sein, die Gesichter einzelnen Individuen zuzuordnen. Langfristig könnte das System sogar ein breites Spektrum an Arten erkennen.

Ob Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans oder Bonobos: Alle großen Menschenaffen sind vom Aussterben bedroht. Ihre Bestände nehmen immer weiter ab. Neben Wilderei und dem illegalen Handel mit Menschenaffenfleisch ist vor allem die Abholzung der Wälder ein Problem. Nach Schätzungen des WWF werden allein dadurch bis zum Jahr 2030 über 90 Prozent des heute noch vorhandenen Gorilla-Lebensraums zerstört sein. Um die Tiere besser schützen zu können, arbeiten Wissenschaftler und Wildhüter bereits seit einigen Jahren mit Video-, Foto- und Audiofallen. Diese helfen zum Beispiel herauszufinden, wie groß die Population einer gefährdeten Art im jeweiligen Nationalpark ist. Auch Verhaltensmuster können so von Forschern besser studiert werden. Per Infrarot erkennen die Fallen, wann ein Tier vorbeiläuft, und starten daraufhin ihre Aufnahme. Problematisch dabei: Es fallen Unmengen von Film-, Bild- und Tonmaterial an, das bislang manuell gesichtet und ausgewertet werden muss. Das ist nicht nur enorm zeitaufwendig, sondern auch fehleranfällig. Zudem schalten sich die Aufnahmegeräte bei jedem Tier ein, welches die Falle passiert, das heißt, es müssen zunächst die Aufnahmen herausgefiltert werden, die die anvisierte Tierart zeigen. Haben die Wissenschaftler oder Ranger alle entsprechenden Aufnahmen gesammelt, ist es darüber hinaus sehr zeitintensiv und mitunter schwierig, die einzelnen Individuen einer Gruppe zu identifizieren.

Forscher am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT und am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS entwickeln deshalb gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im Wildtier-Forschungsprojekt »SAISBECO« ein Verfahren, das es ermöglichen soll, das aufgezeichnete Material nach Sequenzen zu durchsuchen, in denen ausschließlich Affen zu sehen sind. Doch nicht nur das: Die Identifizierungssoftware soll auch in der Lage sein, die Bilder eindeutig Individuen zuzuordnen. »Es gibt bereits Algorithmen, die eine Gesichtserkennung bei Menschen ermöglichen«, sagt Alexander Loos von der Gruppe Audiovisuelle Systeme, der das Projekt am Fraunhofer IDMT leitet. Die Forscher machen sich die Ähnlichkeit zwischen Menschen und Primaten zunutze und entwickeln anhand dessen eine neue Technologie, die eine automatische Gesichtserkennung bei Affen ermöglichen soll.  

»Unsere Kollegen am Fraunhofer IIS haben bereits die Detektionssoftware entwickelt, die es möglich macht, zunächst einen Affen als solchen auf einem Bild zu erkennen«, erklärt Loos. Die Gruppe Audiovisuelle Systeme am Fraunhofer IDMT ist dafür zuständig, ein System zu entwickeln, das diese Gesichter einzelnen Individuen zuordnen kann. Die Schwierigkeit dabei: Im Dschungel, wo die Menschenaffen zuhause sind, herrschen selten optimale Bedingungen für Filmaufnahmen. »Im Gegensatz zu Flughafenkontrollen oder ähnlichen Situationen, in denen eine Gesichtserkennung bei Menschen Anwendung findet und diese frontal aufgenommen werden, nicht lächeln und keinen Hut tragen dürfen, werden die Aufnahmen von den Affen unter ganz anderen Bedingungen aufgenommen.« Selten blicken die Tiere frontal in eine der Kameras, häufig werden ihre Gesichter von Ästen und Blättern verdeckt. Auch die Lichtverhältnisse sind selten optimal.

Die Gruppe Semantische Musik Technologien des Fraunhofer IDMT ist für den Audiopart des Projekts zuständig. Die Forscher arbeiten an einem System, das eine Zuordnung der Laute, die die Primaten von sich geben, ermöglichen soll. So trommeln die Affen zum Beispiel auf Baumstämmen; ein Geräusch, das teilweise über mehrere Kilometer zu hören ist.

Zunächst wurden für das Artenschutz-Projekt »SAISBECO« große Datenmengen gesammelt, unter anderem von einer Gruppe Schimpansen im Leipziger Zoo. Aus diesem Material wurden Metadaten generiert, die zum Beispiel etwas über die Spezies, das Geschlecht oder das Alter eines Exemplars aussagen. Mithilfe dieser Datensätze trainierten die Wissenschaftler die Identifizierungssoftware. Um die einzelnen Tiere voneinander unterscheiden zu können, wurden Informationen zu charakteristischen Gesichtsmerkmalen des jeweiligen Affen in das System eingespeist. Diese Merkmale führten die Forscher einem Klassifikator zu, der sie zur Identifizierung der einzelnen Tiere nutzt. Im Zoo in Leipzig wird auch der Prototyp des Systems zum Einsatz kommen, der die 24 dort lebenden Schimpansen nun zuverlässig identifizieren und voneinander unterscheiden kann. »Bei frontalen Aufnahmen liegt die Trefferquote bei 85 bis 90 Prozent«, sagt Loos. Auf der CeBIT 2013 wird eine Demoversion dieses Prototypen zu sehen sein. »Theoretisch bietet ›SAISBECO‹ nicht nur die Möglichkeit, einen Beitrag zum Artenschutz zu leisten, denkbar wäre auch ein Einsatz in Zoos und Tierparks, um so den Besuch dort noch individueller und spannender zu gestalten.«

Neben dem Zoo in Leipzig arbeiten die Forscher mit dem Tai Nationalpark an der Elfenbeinküste zusammen und trainieren die Software auf die Erkennung einer Gruppe von 50 Affen, die dort lebt. »Hier ist die Trefferquote stark von der Beleuchtung und der Auflösung der Aufnahmen abhängig. Im Durchschnitt liegt sie bei 70 Prozent«, so Loos. Aktuell werden weitere Merkmale zur Identifizierung der einzelnen Tiere erfasst. Zum Beispiel haben Primaten unter den Augen Falten, die sehr charakteristisch sind und bei jedem Tier anders aussehen. Solche »lokalen Merkmale« wollen die Wissenschaftler nutzen, um das System zu verbessern.

Was im Projekt zurzeit exemplarisch für Menschenaffen entwickelt wird, soll langfristig zum Schutz unterschiedlichster bedrohter Tierarten eingesetzt werden können. Ziel ist es, dass die Software in Zukunft ein breites Spektrum an Arten erkennen kann. (mdi)

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