Menschen mit chronischen Erkrankungen brauchen eine kontinuierliche Betreuung - durch ihren Arzt und möglichst auch ihr soziales Umfeld. Beides aber kann sehr aufwändig sein. Mit Hilfe der teliFIT-Plattform wird es möglich, Patienten Telemedizinische und Telecoaching-Anwendungen datensicher und komfortabel zur Verfügung zu stellen, sowie den Arzt bei der Überwachung der Therapie effektiv zu unterstützen. Der Weg zum Arzt und besorgte Kontroll-Anrufe, ob die Tablette schon genommen ist, lassen sich so deutlich reduzieren. Im Interview erklären Prof. Dr. Harald Mathis und Carina Goretzky vom Fraunhofer FIT das Angebot.

Hallo Herr Prof. Mathis, hallo Frau Goretzky: Es gibt ein altes, walisisches Sprichwort: „One apple a day keeps the doctor away“.

Mathis: Natürlich steckt auch in diesem Spruch, wie in so vielen, eine gewisse Wahrheit. Tatsache ist aber, dass sich derartige Einschätzungen zum einen nicht verallgemeinern lassen und zum anderen zu einer medizinischen Versorgung im 21. Jahrhundert deutlich mehr gehört als gesundes Essen und der regelmäßige Gang zum Arzt.

Goretzky: Das Sprichwort zielt letztlich auf die Vorsorge und begleitende Maßnahmen ab. Und das ist ein entscheidender Punkt, an dem die Plattform teliFIT ansetzt, die wir am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT entwickelt haben. Wir wollen damit das Monitoring, die Beratung und das Motivieren von Patienten deutlich vereinfachen.

teliFIT (wir berichteten über die erste Version der Plattform bereits 2016) steht für eine telemedizinische Grundversorgung, die vor allem dem Begleiten von Therapieprozessen dienen soll.

Goretzky: Patienten wird es deutlich erleichtert, bestimmte Vitalinformationen wie beispielsweise das Gewicht, Herz- und Blutdruckwerte oder auch Bewegungsdaten bequem an die Plattform zu übertragen. In der Regel nutzen sie zu Hause Bluetooth- oder W-Lan-fähige Geräte, die ihre Messungen automatisch an teliFIT übermitteln. Oder sie verwenden ihr Smartphone, einen Computer oder nutzen die Fernbedienung für ihren Smart TV. Auf der Plattform werden die Daten dann sicher gespeichert und sind dort zum Beispiel für den persönlichen Arzt zugänglich. So kann dieser den tagtäglichen Fortschritt seiner Patienten überwachen, ohne dass ein aufwendiger und teurer Besuch notwendig ist. Zusätzlich kann der Arzt auf der Plattform beispielsweise auch Laborwerte, Befunde und Erklärungen ablegen, die dann vom Patienten selbst oder einem Experten, dem der Zugang erlaubt wurde, eingesehen werden können.

Mathis: Nehmen wir einmal an, Sie haben Diabetes II. Deshalb bekommen Sie Insulin und erhalten den dringenden Rat, sich mehr zu bewegen. Um das zu unterstützen bekommen Sie eine Waage, einen Aktivitätstracker und ein Glukosemessgerät. Alle sind via Internet mit der Plattform verbunden. Und Ihr Arzt oder medizinischer Betreuer hat Zugriff auf diese Plattform und kann Ihre Werte und idealerweise Ihre Fortschritte kontrollieren. Auf diese Weise kann er viele Entwicklungen frühzeitig korrigieren und Sie aufklären oder motivieren.

Plattformen, auf die Geräte und Apps automatisch das Gewicht, den Puls, die Art der Bewegung und andere Vitalwerte übermitteln können, gibt es viele in den App-Stores. Wo liegt der Vorteil von teliFIT?

Mathis: Der wesentliche Vorteil ist, dass Sie auch das Feedback von Experten und nicht nur von Algorithmen bekommen. Bei teliFIT nutzen wir Algorithmen meist, um Routineaufgaben zu übernehmen, also den Patienten beispielsweise an die Einnahme von Medikamenten zu erinnern. Oder um den Arzt bei seinen Einschätzungen und Vorbereitungen zu unterstützen.

Goretzky: Das ist wichtig, denn Ärzte oder auch medizinische Betreuer sind Dank der umfangreichen Messungen natürlich mit einer Vielzahl von Werten konfrontiert. Unsere Plattform arbeitet dann mit Algorithmen, die auffällige Werte herausarbeiten können. Letztlich aber haben Sie als Patient auch immer Kontakt zu einem Menschen, der seine Einschätzung abgibt und nicht zu einer Maschine, die nicht auf Ihre individuelle Situation eingeht. Ein einfaches Beispiel: Wenn ich Diabetikerin bin und zu viele Süßigkeiten gegessen habe, würde eine normale App nur die »Sünde« konstatieren. Ein intelligentes Coachingsystem, wie wir es auf der Plattform etabliert haben, aber geht anders vor: es versucht, trotz dieses Rückschritts weiter zu motivieren, verweist auf bereits erzielte Erfolge und schlägt beispielsweise vor, sich heute entsprechend mehr zu bewegen.

Mathis: Auf diese Weise lassen sich ganz generell individuelle Therapiepfade entwickeln, was sonst kaum möglich wäre. Zum einen, weil Sie sich den Aufwand ersparen, kontinuierlich bei Ihrem Arzt zu sitzen. Und zum anderen, weil der Nutzen dieser Plattform auch mit einem erheblichen Kostenvorteil für beispielsweise Krankenkassen verbunden ist. Ein Arzt, der mit seinem Patienten bei Routineüberwachungen via Internet zusammenarbeitet, kann effizienter heilen.

Es gibt Schätzungen, dass sich Dank telemedizinischer Maßnahmen die Gesamtkosten für die Behandlung von Diabetes, Herz- und Lungenkrankheiten im Vergleich zur Standardbehandlung um zehn bis 50 Prozent senken lassen. Inwieweit können Plattformen wie teliFIT dazu beitragen?

Goretzky: teliFIT bietet ein sehr umfangreiches Portfolio an Funktionalitäten: Da ist erstens die Erfassung der Vitaldaten, welche im Idealfall automatisiert übermittelt werden. Zweitens die Option, »klassische« Kommunikationswege zu nutzen, also mittels einer sicheren, internen Kommunikation oder mit einem Skype-ähnlich Video-Chat mit dem Arzt in Kontakt zu treten. Darüber hinaus können weitere medizinisch relevante Daten erfasst werden. Beispielsweise der Medikationsplan, ein Ernährungstagebuch aber auch Fragebögen. Zusätzlich können auch individuelle Inhalte zu relevanten Themen abgerufen werden. Dazu gehören Krankheiten, die Ernährung oder die Motivation. Der Arzt wiederum wird bei seiner Analyse unterstützt, indem die Vielzahl an eintreffenden Daten über Algorithmen analysiert und Auffälligkeiten markiert werden. Außerdem untersucht das System mögliche Korrelationen, die sich aus Therapieansatz, der medikamentösen Behandlung sowie dem Verhalten des Patienten ergeben könnten. Etwaige Schlussfolgerungen werden dann dem Arzt angezeigt. Und es bietet den, nennen wir es: »motivierenden Faktor«, weil der Arzt, aber auch Freunde und Familienmitglieder, die ich mit einbeziehen kann, ausgewählte Daten einsehen können und mich bei der Änderung meines Verhaltens oder dem medizinischen Fortschritt ermuntern beziehungsweise mir bei einem Rückschlag Mut zusprechen können.

Mathis: Hinzu kommt ein allgemeiner forschungsmedizinischer Nutzen - sofern der Patient zustimmt. Die Daten können anonymisiert an Forschungsinstitutionen gespendet werden. Diese Institutionen arbeiten an der Weiterentwicklung von Therapien oder Medikamenten.

Ist die Plattform schon im Einsatz?


Mathis: Ja, das System wird von verschiedenen Betreibern eingesetzt, welche die Software selbst im Auftrag von Krankenkassen betreiben. Die Plattform kann dafür auf das jeweilige Unternehmen und den Zweck in ihrem Aussehen und den Funktionalitäten angepasst werden.

Auf der CEBIT 2018 werden Sie die Plattform aber auch einem breiteren Publikum präsentieren?

Goretzky: Wir werden die Funktionen der Plattform vorstellen und Interessenten gezielt Auskunft erteilen. teliFIT als Plattform ist in vielerlei Anwendungsszenarien einsetzbar. So kann man die Plattform sowohl für die individuelle Betreuung von Patienten verwenden, aber auch im betrieblichen Gesundheitsmanagement oder im Monitoring von Profisportlern und bei medizinische Studien einsetzen. Wir freuen uns auf interessante Gespräche und Ideen auf der Messe.

Sie finden teliFIT auf der CEBIT 2018 am Fraunhofer-Stand in Halle 27, Stand E78. (aku)

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Interviewpartner
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Prof. Dr. Harald Peter Mathis
  • Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT
Carina Goretzky
  • Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT
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