Digitale Lösungen sollen uns – Bürgerinnen und Bürger – in der Gesunderhaltung unterstützen, Krankheiten vermeiden oder uns therapeutisch bzw. rehabilitativ begleiten. Digital Health, Mobile Health, E-Health und Co. zeigen, wie die Digitalisierung schon jetzt Einzug in unser Leben erhalten hat. Mehr und mehr Daten werden produziert, welche im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz im Sinne digitaler Biomarker zu einem Therapeutikum für die personalisierte Medizin werden.

Digitale Gesundheitslösungen sollen Patienten große Vorteile bringen. Doch auch die Leistungserbringer sollen profitieren, denn elektronische Gesundheits- bzw. Patientenakten machen Daten des Patienten direkt verfügbar. Wir bewegen uns weg von analogen Kommunikationswegen und hin zu einer – so erhofften – effektiveren sowie effizienteren digitalen Kommunikation. Dass Deutschland hier Nachholbedarf hat, zeigen verschiedene Analysen. Zuletzt hatte die Bertelsmann-Stiftung Deutschland den vorletzten Platz in ihrem Digital-Health-Index bescheinigt.

Nicht ohne Grund forciert das Bundesministerium für Gesundheit eine schnellere Gesetzgebung und hat mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) den Weg geebnet. Neben App-basierten Versorgungsangeboten seitens der Kostenträger soll die elektronische Patientenakte nach §291a SGB V der Dreh- und Angelpunkt für den Datenaustausch werden. Manche sprechen bereits, in Analogie zur Industrie 4.0, von einer digitalen Produktion der Gesundheit – Gesundheit 4.0. Doch was bedeutet dieser Wandel für Gesundheitseinrichtungen, die Leistungserbringer, Kostenträger und nicht zuletzt für den Patienten? Werden wir Gesundheit demnächst wie Autos am Fließband produzieren?

Die Digitalisierung ist die Metapher für die Integration von Technologien in die existierenden Prozesse, um deren Effektivität und Effizienz zu steigern. Bezogen auf Gesundheit spricht man hier auch von Digitaler Gesundheit. In dieser digitalen Welt werden wir umsorgt von virtuellen Coachingprogrammen, Gesundheits-Apps oder smarten Wearables. Die digitale Gesundheitsversorgung und die mit ihr entstehenden Daten schaffen ein neues Lebensgefühl: Das »Digitale Gesundheits-Ich« und seine Daten als Blut der Gesundheitsforschung der Zukunft.

Zuletzt hatte eine Analyse ergeben, dass durch die Digitalisierung im Gesundheitswesen bis zu 34 Milliarden Euro eingespart werden könnten. Doch schauen wir auf die bereits erfolgte, die gegenwärtige sowie die zukünftige Evolution der digitalen Gesundheit und welche Chancen aber auch Herausforderungen sich ergeben.

Der Blick zurück

Die Welt der Digitalisierung im Gesundheitswesen hat viele Facetten und eine langjährige Genese erfahren. Ob Digital Health, Mobile Health, E-Health oder auch Telemedizin, allen Ansätzen gemein ist der Wunsch Ärzte und Patienten über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg mithilfe von digitalen Medien zu verbinden. Der Einsatz von Technologie zur Unterstützung des Einzelnen in seiner Gesunderhaltung und Gesundwerdung gewann mit der Verbreitung des Smartphones im Jahr 2007 sprunghaft an Bedeutung. Es galt mithilfe von Apps die defizitäre Arzt-Patienten Beziehung zu verbessern und den Patienten als Partner der Therapie zurückzugewinnen sowie die Compliance des Einzelnen zu steigern. Effekte wie die »App-attrition« also die »Abnutzung« von Apps stellen jedoch bis heute noch eines der großen Probleme dar: Erinnerungen zur Medikamenteneinnahme und Co. schaffen bei chronisch Erkrankten noch keine Akzeptanz zur dauerhaften Nutzung. Mobile Health-Lösungen besitzen jedoch eine basale Eigenschaft: Über diese können auf einfache Weise und in hoher Kontinuität Daten, z. B. auch Vitaldaten, erfasst werden. Digitale Informationen stehen also schon hier im Fokus, um eine bessere Gesundheitsversorgung zu erzielen.

Die Gegenwart

Die Gegenwart ist geprägt durch eine unpräzise Medizin (imprecision medicin), denn die Mehrheit der existierenden Therapien, z. B. die Einnahme von Medikamenten, ist nur wenig personalisiert. Die Diagnose einer Erkrankung oder die Folgebehandlung im Rahmen der Therapie erfolgt heutzutage häufig über zeit- und kostenintensive diagnostische Verfahren, u. a. durch Biomarker wie z. B. eine Blut- oder Urinuntersuchung. Was passiert nun, wenn wir Daten anstatt Blut fließen lassen? Mit Blick auf die »Digitale Gesundheit« und die wachsende Verfügbarkeit von Daten durch Methoden zur allgegenwärtigen Messung von uns umgebenden Parametern (sogenannten »pervasive sensing«) stellt sich die Frage, inwiefern auf Basis dieser Daten Äquivalente zu den traditionellen Biomarkern sowie neue Marker abgeleitet werden können. In Bezug auf die immer stärker werdende Verfügbarkeit und Bedeutung von Daten wird häufig vom »neuen Öl« gesprochen. Ein doch hinkender Vergleich, denn Öl ist endlich und alles andere als zukunftsweisend. Daten haben das Potenzial das »neue Blut« zu werden und mithilfe von neuen, algorithmischen Untersuchungsmethoden die Versorgung von Patienten zu unterstützen.

Was uns erwartet

In Zukunft werden uns mehr und mehr Forschungstrends auch in der Gesundheitsversorgung begegnen. Hierzu gehören entscheidungsunterstützende Systeme, Apps auf Rezept, Chatbots und Sprachassistenten oder immersiv-gamifizierte Lösungen der virtuellen Realität. Vielen dieser Technologien liegen Methoden und Technologien der Künstlichen Intelligenz zugrunde.

Die Fraunhofer-Gesellschaft ist hierbei einer der führenden Impulsgeber, zum Beispiel mit der Prioritären Strategischen Initiative (PSI) zur Translationalen Medizin unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Dr. Gerd Geisslinger. Drugs, Diagnostics, Devices und Data werden zur Gesundheitsforschung in 4D zusammengeführt. Die starke Position der Fraunhofer-Gesellschaft wird auch durch führende Beteiligungen in nationalen Initiativen, wie der zentralen Forschung des Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST in der Medizininformatik-Initiative des BMBF mit einer Förderung von 150 Mio. Euro, deutlich.

In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Innovationen zur Erweiterung unserer Realität hervorgebracht – man spricht von Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR). VR- und AR-Technologien ermöglichen konkret das Erleben von Situationen, die sonst schwer zu konstruieren sind. So schafft das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD mithilfe von AR Umgebungen zur medizinischen Intervention am Beispiel der Vorbereitung und Planung einer Operation.

Die digitale Modifikation ermöglicht die passgenaue Einstellung auf den Anwender. Kognitives Training oder ein diagnostischer Einsatz bei Alzheimer-Patienten, Konzentrationsstörungen oder weiteren kognitiven Einschränkungen und Erkrankungen erscheint durch VR-Technologien möglich. Mit MightyU, gefördert durch das BMBF, wird zum Beispiel am Fraunhofer ISST ein EMG gesteuertes VR Serious Game zur Therapie der infantilen Cerebralparese erforscht. Weitere Einsatzszenarien sind beispielsweise das möglichst ikonische Erleben von konkreten Situationen zur Steigerung von Lerneffekten, insbesondere in der Psychotherapie, um das Erleben von Situation bei Phobien wie Höhenangst zu forcieren.

Während klassische Web-Interfaces, mobile Applikationen und Augmented- sowie Virtual Reality auf die Visualisierung von Daten und Informationen setzen, gehen sog. Sprachassistenzsysteme einen anderen Weg. Kommerzielle Sprachassistenzsysteme wie Amazon Echo und Google Home bieten eine zugängliche Lösung, Interaktionen auf eine neue Weise durch Sprache zu gestalten. Aus der wissenschaftlichen Sicht der Mensch-Technik-Interaktion spricht man hier von sogenannten Voice User Interfaces. Im Bereich der ambulanten Pflege eröffnet Sprache als innovatives Interaktionsmittel beispielsweise die Möglichkeit, motorische und visuelle Beeinträchtigungen zu umgehen. So erforschen das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS und das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS im BMWi geförderten Projekt SPEAKER Basistechnologien für eine Sprachassistenzplattform. Das Fraunhofer ISST zeigt mit dem in 2020 gestarteten BMBF geförderten Projekt eDem-Connect, wie ChatBots im Rahmen der Versorgung von Demenzpatienten unterstützen können.

Und nicht zuletzt sind es wieder unsere Daten, die in Zukunft maßgeblich für eine bessere Versorgung verantwortlich sein sollen. Mithilfe von Complex Event Processing, Data Mining, Machine Learning und Co. werden Muster, Verläufe oder andere gesundheitsrelevante Outputs errechnet. Es entstehen in Analogie zu den klassischen Biomarkern sogenannte digitale Biomarker, welche mithilfe von datenverarbeitenden Verfahren aus nicht-invasiv, ggf. multimodal, digital erfassten Daten errechnet werden. Sie geben den Leistungserbringern im Gesundheitswesen neue Instrumente zur Diagnose und Therapie an die Hand und ermöglichen die Umsetzung des Paradigmas der P4-Medizin (präventiv, prädiktiv, partizipativ, personalisiert).

Ausblick

Trotz Digitalisierung und den damit verbundenen Daten wird das Ziel weiterhin sein den Menschen in seiner Gesunderhaltung bzw. Gesundwerdung zu unterstützen und hieran wird der Mensch selbst weiterhin beteiligt sein (Mensch-Mensch-Interaktion). Kritisch hinterfragt werden muss, inwiefern der Einzelne – sei er Patient oder Leistungserbringer – diese neue datengetriebene, digitale Welt beherrscht. Um die Souveränität aufrechterhalten zu können, bedarf es der Schaffung digitaler Kompetenzen für das »Gesundheits-Ich« von morgen. Eine nach vorne gerichtete Forschung muss sich mit den Arbeits- und Lebenswelten der an der Gesundheitsversorgung beteiligten Leistungserbringer sowie der Patienten auseinandersetzen.

(sme)

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