Wer von Psoriasis-Arthritis betroffen ist, leidet unter zwei Krankheiten. Zur Schuppenflechte kommen nun noch rheumatische Beschwerden hinzu. Die Ursachen von Psoriasis-Arthritis und die Möglichkeiten der Früherkennung sind bisher unzureichend erforscht. Ändern soll das ein Gemeinschaftsprojekt von sechs Fraunhofer-Instituten. Dr. Michaela Köhm vom Fraunhofer IME-TMP leitet das Projekt und erklärt, wie die Forschung Ärzt*innen dabei unterstützen kann, die Krankheit rechtzeitig zu erkennen. Dr. Jil Sander vom Fraunhofer IAIS erläutert, wie dafür auch Künstliche Intelligenz genutzt werden kann.

Hallo Frau Dr. Köhm, bevor wir über die Forschungen reden können, die Sie und Ihr Team vom Forschungsbereich Translationale Medizin und Pharmakologie des Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME gemeinsam mit weiteren Fraunhofer-Instituten vorantreiben, müssen wir über Psoriasis-Arthritis reden.

Die Krankheit tritt bei etwa einem Drittel der rund zwei Millionen Menschen in Deutschland auf, die bereits durch eine Schuppenflechte belastet sind. Bei drei von vier Betroffenen beginnt die Arthritis aber erst Jahre nachdem sich die Schuppenflechte entwickelt hat. Die Erkrankung verläuft dann meist chronisch und in Schüben. Das heißt, dass sich Perioden starker Gelenkentzündungen mit Phasen mit weniger entzündlicher Aktivität abwechseln können. 

Aber Sie wissen nicht wann?

Es gibt leider keinen klassischen Zeitpunkt, so dass man sagen könnte, nach etwa drei Jahren Schuppenflechte werden erste Beschwerden am Bewegungsapparat bemerkbar, die sich dann bis zu chronisch-rheumatischen Erkrankungen weiterentwickeln können. Unter Umständen können Betroffene nicht einmal mehr einfachste Tätigkeiten ausüben, wie zum Beispiel eine Flasche öffnen. Zudem ist dann auch das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöht.

Es wäre also von enormer Bedeutung, die möglicherweise aufziehende Krankheit frühzeitig zu erkennen?

Richtig. Wir können Psoriasis-Arthritis mittlerweile sehr gut behandeln beziehungsweise die Folgeschäden aufhalten, wenn wir die Entwicklung rechtzeitig diagnostizieren.

Hier setzt das Gemeinschaftsprojekt von sechs Fraunhofer-Instituten an, bei dem das Fraunhofer IME die Koordination übernommen hat.

Wir suchen nach Indikatoren, die die Krankheit schon in einer sehr frühen Phase erkennbar machen. Natürlich nutzen wir dafür auch den offensichtlichen Anhaltspunkt, eine beginnende beziehungsweise vorliegende Schuppenflechte, aber es gibt noch weitere. Zum Beispiel Nägel, die von der Schuppenflechte betroffen sind. Wir forschen aber vor allem nach weiteren, bislang verdeckten, Biomarkern. Beispielsweise mithilfe bildgebender Verfahren wie der Magnetresonanztomographie, mit der wir zumindest Veränderungen der Durchblutung der Gelenkinnenhaut oder an den Knochen- beziehungsweise Sehnenansätzen erkennen können. Dazu gehört aber auch generell die Vermehrung der Blutgefäße, die auf einen entzündlichen Prozess hindeuten. Zuständig für diesen Bereich ist vor allem das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT und das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD.

Ein zweiter Ansatz, den die Teams verfolgen, sind serologische Biomarker.

Wir suchen auch nach RNA-Biomarkern, die uns einen Hinweis darauf geben können, ob es sich bei den Betroffenen um normale Schuppenflechtenpatient*innen handelt oder ob sich daraus eine Psoriasis-Arthritis entwickeln kann. An diesem Ansatz arbeiten vor allem das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM und das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI sehr intensiv.

Frau Dr. Sander, das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS bearbeitet eine dritte Säule: das Auswerten von klinischen Daten.

Genau, wir untersuchen zusätzlich auch Baseline-Daten. Wir möchten herausfinden, ob es Korrelationen zwischen signifikanten Daten von Patient*innen und der Erkrankung gibt. Allerdings ist es nötig, dass wir die Ergebnisse der verschiedenen Säulen miteinander verknüpfen, um zuverlässig aussagekräftige Vorhersagen treffen zu können. Dazu integrieren wir alle verfügbaren Daten und Ergebnisse. So erhalten wir ein umfassendes Bild über die Erkrankten. Für die Vorhersagen setzen wir auf Verfahren aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz.

Wie genau kommt die Künstliche Intelligenz zum Einsatz?

Wir wenden verschiedene maschinelle Lernverfahren an. Ziel ist es, Kombinationen von Merkmalen zu finden, die auf eine Prädisposition hindeuten. Solche Verfahren können es ermöglichen, selbstlernend auch versteckte Kombinationen zu finden, die manuell bisher noch nicht gefunden werden konnten. Dazu gehören etwa mögliche Kombinationen aus Haarfarbe, Signifikanzen der Haut, Alter oder immunologischen Markern. Das bedeutet für uns, dass viele unterschiedliche Modelle und Parameter getestet werden müssen. Denn nur ein gut validiertes Modell hat die Chance, zukünftig in der klinischen Praxis für neue Patient*innen Anwendung zu finden. Aber auch die Kolleg*innen aus den anderen Fraunhofer-Instituten nutzen Methoden der Künstlichen Intelligenz. Beispielsweise, um Rohbilddaten auszuwerten.

Frau Dr. Köhm, wo liegen derzeit die größten Herausforderungen im Projekt?

Wir mussten auf vielen Ebenen fast bei Null starten. Denn Psoriasis-Arthritis und vor allem der Übergang von der Schuppenflechte zur Psoriasis-Arthritis wurde bislang nicht strukturiert untersucht. Das liegt unter anderem daran, dass die Krankheit klinisch sehr schwer zu detektieren ist, denn das Bild ist sehr heterogen. Wenn ein 20 Jahre alter Jogger über erste Symptome klagt, würde man beispielsweise eher auf mechanische Überbelastung tippen und nicht auf Psoriasis-Arthritis. Wir müssen also eher vorgehen wie bei einem fertigen Puzzle, dass die Krankheit überdeckt: Erst wenn alle Teile wieder entfernt sind, sehen wir, ob es sich wirklich um Psoriasis-Arthritis handelt.

Kann der 20-jährige Jogger in fünf Jahren Hoffnung haben, dass Sie Dank der Forschungen von Fraunhofer seine Erkrankung leichter erkennen?

Diese Frage zu beantworten, wäre unseriös. Aber wenn wir Ende des Jahres unsere Forschungen abgeschlossen haben werden, gehe ich davon aus, dass wir eine Grundlage haben für einen aussagekräftigen Algorithmus und eine einsetzbare Methodik.

Wie hoch war der organisatorische Aufwand mit sechs Instituten zusammenzuarbeiten und die jeweilige Expertise unter einen Hut zu kriegen?

Ich hatte Respekt vor den koordinatorischen Aufgaben, die damit verbunden waren. Aber zum Beispiel durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Geschäftsfeld Healthcare Analytics am Fraunhofer IAIS, das von Dr. Jil Sander geleitet wird, lief die Kooperation äußerst effizient. Es haben sich viele Netzwerke und einige neue Projekte gebildet, die sich Folgeaufgaben widmen werden.

Frau Dr. Sander, wie genau hat sich Ihre gemeinsame Zusammenarbeit ausgeweitet?

Frau Dr. Köhm und ich haben eine institutsübergreifende Partnerschaft gegründet, in der wir – angelehnt an das 4D-Konzept, also Drugs, Diagnostics, Devices und Data – die medizinische Fachexpertise des Fraunhofer IME und die Expertise in Data Science und KI des Fraunhofer IAIS miteinander verknüpfen. Dies ermöglicht es uns, in medizinischen Projekten alle relevanten Fachexpert*innen kombiniert einzusetzen und entsprechendes Wissen in unsere Algorithmen und Modelle einfließen zu lassen. Gemeinsam fokussieren wir uns dabei speziell auf immunmediierte Erkrankungen. Hier haben wir bereits einige weitere Projekte angestoßen. Beispielsweise sind wir, teilweise auch mit weiteren Instituten und Partnern, in unterschiedlichen Projekten im Rahmen der »Fraunhofer vs. Corona«-Initiative gemeinsam aktiv.

Frau Dr. Köhm, haben Sie deshalb auch das Fraunhofer Cluster of Excellence Immune-Mediated Diseases CIMD gegründet?

Nein, das Cluster gab es bereits, als wir das Projekt begonnen haben. Dabei geht es auch eher um das Bündeln der drei klassisch im Life-Science-Bereich forschenden Fraunhofer-Institute IME, IZI und ITEM. Dieses Cluster erweitern wir dann immer wieder um die Kompetenzen anderer Fraunhofer-Institute. So kam es auch zur Zusammenarbeit beim aktuellen Projekt. Insgesamt sind es fast ein Dutzend Projekte, die wir auf diese Weise nach vorne treiben.

(aku)

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Dr. Jil Sander
  • Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS
Dr. Michaela Köhm
  • Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME
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