Im Projekt HealthFaCT hat das Fraunhofer ITWM gemeinsam mit Partnern ein System zur besseren Ressourcenverteilung medizinischer Versorgungsangebote auf dem Land entwickelt. Ergebnis ist ein softwaregestütztes Optimierungs- und Entscheidungssystem, das nicht nur die Planungen von Apotheken, Notärzten und Rettungstransporten erleichtert. Es zeigt auch die Folgen von geplanten Veränderungen der ländlichen Versorgungssituation auf.

Um die medizinische Grundversorgung von Menschen auf dem Land ist es auch in Deutschland nicht zum Besten bestellt. Überall im Land droht – unabhängig von den aktuellen Auswirkungen durch die Covid19-Pandemie – in den kommenden Jahren ein Versorgungsengpass bei Hausärzten und anderem medizinischen Fachpersonal. Hauptgrund: Der Altersdurchschnitt der Mediziner liegt derzeit bei etwas über 55 Jahren. Und für jüngere Menschen gelten Berufe zur medizinischen Versorgung auf dem Land als wenig attraktiv. Neben dem Schaffen neuer »Ressourcen« durch gezielte Anreize der Bundesländer und Kommunen arbeiten Forscher an Methoden, die Versorgung deutlich effizienter zu gestalten: »Unser Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen bei der ambulanten medizinischen Versorgung – gerade in ländlichen Gebieten. Gemeinsam mit unseren Projektpartnern, der RWTH Aachen University, der Technischen Universität Kaiserslautern und der Universität Erlangen-Nürnberg haben wir deshalb das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt HealthFaCT aufgesetzt«, erklärt Johanna Schneider vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM.

Das Ziel dabei: Standort-, Überdeckungs- und Tourenplanungsprobleme bei Apotheken, Notarztdiensten sowie Kranken- und Rettungsdiensten zu untersuchen, um die heute schon knappen Ressourcen der medizinischen Versorgung im ländlichen Bereich vor Ort möglichst sinnvoll verteilen zu können. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Notdienstplänen von Apotheken und der Stationierung von Notärzten. So soll eine bestmögliche Versorgung und Erreichbarkeit der Bevölkerung gewährleistet werden. Zusätzlich werden Fairness-Aspekte bei der Verteilung von Nacht- und Wochenendschichten berücksichtigt. Auch sollen die Wartezeiten im Kranken- und Rettungsdienst durch eine verbesserte Koordination aller Beteiligten reduziert werden.

Entscheidungssystem zur besseren Koordination

Herzstück dafür ist ein »softwaregestütztes Optimierungs- und Entscheidungssystem zur Verbesserung der ambulanten medizinischen Versorgung«. »Die Software soll bei strategischen, taktischen sowie operativen Entscheidungen schnell die bestmöglichen Optionen aufzeigen«, erklärt Schneider. Zudem kann ein spezielles Visualisierungstool den Planern und medizinischen Disponenten einen besseren und schnellen Überblick über die Lage vor Ort bieten: Die Situation in der Region soll so simuliert und visualisiert werden, dass die Ergebnisse von Analysen und die Auswirkungen angedachter Maßnahmen möglichst intuitiv erfassbar werden. »Es geht dabei beispielsweise um die Frage, welche Standorte für eine neue Apotheke in Frage kommen, damit ein möglichst großer Bereich ohne Überlappungen mit dem Einzugsgebiet anderer Apotheken abgedeckt wird. Oder wie Stationen für Notärzte verteilt sein müssen, damit diese innerhalb von 15 Minuten vor Ort sein können. Und was im Notfall die geeignete Wegstrecke für Fahrten zum Krankenhaus sein kann«, betont Dr. Neele Leithäuser. Genau wie Johanna Schneider ist sie Teil des HealthFaCT-Teams am Fraunhofer ITWM.

Bestmögliche Planung

Das Team am Fraunhofer ITWM hatte die Aufgabe übernommen, die von speziell entwickelten Algorithmen der drei beteiligten Universitäten berechneten Simulationsergebnisse des Status quo und möglicher optimierter Variationen, zu analysieren und zu visualisieren. Zwei Schritte waren für die Forscherinnen dabei grundlegend. Zum einen der Einsatz von Algorithmen, um mithilfe von Realdaten aus den vergangenen Jahren auszuwerten, wie schnell sich beispielsweise ein Rettungswagen wo auf welcher Straße bewegen konnte. »In einem zweiten Schritt haben wir dann Isochronen berechnet, also welcher Teil des Straßennetzes in welcher Zeit ab einem Startpunkt erreicht werden kann.«, erklärt Dr. Neele Leithäuser. Mit Unterstützung der Erfahrungen aus dem Projekt RescueAnalyzer des Fraunhofer ITWM können die Forscherinnen nun Landkarten darstellen, aus denen ersichtlich wird, welche Kreuzung beispielsweise innerhalb von fünf Minuten von einer Rettungswache erreicht werden kann, für welches Haus der Rettungsdienst zehn Minuten braucht und welcher Ort 15 Minuten entfernt ist.

Ein »softwaregestütztes Optimierungs- und Entscheidungssystem zur Verbesserung der ambulanten medizinischen Versorgung« bildet das Herzstück der Forschung. Bild: Fraunhofer ITWM

RescueAnalyzer

Bereits vor sechs Jahren hatte das Fraunhofer ITWM im Rahmen von RescueAnalyzer ein Softwaretool zur Standortoptimierung von Notärzten entwickelt. Dieses Tool stellt auf Basis von Bevölkerungs-, Straßen- und realen Einsatzdaten erste statische und dynamische Analysen zur Verfügung. Eine erste Anwendung des Systems hatte dabei unter anderem zur Bauempfehlung der Rettungswache im rheinland-pfälzischen Nierstein mit einer Außenstelle in Guntersblum geführt: Mithilfe der Software waren dafür Rettungseinsätze in Rheinhessen analysiert und die optimalen Standorte für den Neubau der Rettungswache ermittelt worden.

Defizite bei der Einsatzplanung werden offensichtlich

»Aufgrund unserer weiterführenden Forschungen wird nun offensichtlich, wo Defizite in verschiedenen Einsatzgebieten in Rheinland-Pfalz liegen, weil der Notarzt zu lange braucht, um zu seinem Einsatzort zu kommen«, sagt Leithäuser. Und: Mit dieser Methode lässt sich nicht nur der Status quo anschaulich darstellen, sondern auch die Auswirkungen von Veränderungen. Mit anderen Worten: Die Verantwortlichen können das Tool nutzen, um Varianten zur bestmöglichen Ressourcenverteilung zu simulieren. Die Aussagekraft des Systems steht und fällt allerdings mit der Qualität der vorliegenden Daten zur aktuellen Verteilung und der Einsatzdaten. »Die Datenbeschaffung gehört dabei zu den höchsten Hürden«, sagt Schneider. Weil viele der benötigen Daten dem medizinischen Sektor zugeordnet werden, ist der Datenschutz hier besonders hoch.

Das Projekt HealthFaCT ist mittlerweile abgeschlossen, derzeit werden Anpassungen an die aktuelle Corona-Situation eruiert. Auf Grundlage der Projektergebnisse und entsprechender Anpassungen an das Tool können dann Fragestellungen zur perspektivischen Versorgung der Bevölkerung etwa in Bezug auf Test- und Impfzentren beantwortet werden. Zudem steht das Tool als Basissystem für politische Beratung zu Neu- und Umplanungen von medizinischen Strukturen zur Verfügung.

(hen)

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