Telemedizinische Systeme können Therapie und Rehabilitation erheblich erleichtern. Das belegen die Ergebnisse zahlreicher Forschungsprojekte. Die meisten der dabei entwickelten Prototypen haben es allerdings (noch) nicht in den Praxisalltag geschafft – oft wegen der hohen Anforderungen an Datensicherheit und Datenschutz. Eine Lösung bietet jetzt eine universelle Telemedizin-Plattform: Diese stellt Software-Komponenten für eine datenschutzkonforme Telemedizin-Infrastruktur bereit, bei denen der Patient jederzeit die Hoheit über seine Daten behält.

Gesundheits-Apps gibt es künftig auch auf Rezept. Den Weg dafür frei gemacht hat das im Juli 2019 vom Bundestag beschlossene Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG). Das ist für viele Patienten eine gute Nachricht. Aber auch für bestehende und künftige Anbieter sogenannter »DiGAs«, denn deren Verschreibbarkeit erhöht die Chancen auf Markterfolge enorm. Solche »Digitale Gesundheitsanwendungen« könnten zum Beispiel als App auf dem Smartphone Patienten an die Einnahmezeiten ihrer Medikamente erinnern und bei ausbleibender Bestätigung den Pflegedienst auffordern, nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Als Wearable könnten sie chronisch kranken Personen Sicherheit geben und bei einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes automatisch Hilfe holen. Oder sie könnten Reha-Patienten und Physiotherapeuten bei der Kontrolle der Übungsdurchführung zuhause unterstützen. Die Einsatzmöglichkeiten telemedizinischer Anwendungen sind äußerst vielfältig.

Voraussetzung für die Verschreibung dieser DiGAs ist ihre Zulassung als Medizinprodukt. Die Anbieter müssen dafür nicht nur die medizinische Wirksamkeit ihres Systems nachweisen. Sie müssen auch belegen, dass ihr Produkt die im Medizinbereich besonders strengen Anforderungen an Datensicherheit und Datenschutz umfassend erfüllt. Für die Entwicklung von beispielsweise Gesundheits-Apps hat das einschneidende Konsequenzen: Denn ein Unternehmen muss nun nicht nur die Anwendung an sich programmieren, sondern dabei auch eine sichere Kommunikationsinfrastruktur für die Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Übertragung der Daten gewährleisten. Das erfordert einschlägiges Know-how, einen deutlich höheren Aufwand und es kostet mehr. Eine erheblich schnellere und einfachere Lösung schafft nun das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS im Rahmen des vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie geförderten Projekts »Mobile Health Lab«. Außerdem unterstützt das Mobile Health DiGA-Entwickler bei Aufgaben wie etwa dem Zusammenstellen des Backends oder der Definition der nötigen Schnittstellen.

Flexible Backend-Lösungen für Gesundheits-Apps

Im Zentrum der Entwicklung steht eine modular aufgebaute Telemedizin-Plattform, der Digitale Patientenmanager (DPM). »Der Digitale Patientenmanager umfasst alle Software- und Systemkomponenten, die notwendig sind, um Patienten, Ärzte und weitere telemedizinische Dienstleister leistungsfähig und sicher miteinander vernetzen zu können«, erklärt der Leiter des Mobile Health Lab Christian Weigand vom Fraunhofer IIS. Entwickler von Gesundheits-Apps können mit den Bausteinen der Plattform das gesamte Backend einer Telemedizin-Kommunikationsplattform zusammenstellen, das alle Datenverwaltungs- und Vernetzungsaufgaben übernimmt. Über standardisierte Schnittstellen lassen sich die Softwarelösungen mit wenig Aufwand in die jeweilige Gesundheits-App integrieren und verschiedenste Wearables sowie Sensorsysteme anbinden. Dabei ist stets sichergestellt, dass die Vernetzung zwischen den Geräten und Systemen die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) umfassend erfüllt und eine Zulassung als Medizinprodukt der Klasse IIa ermöglicht.

Gesundheitsdaten in Patientenhand

Um die Daten der Patienten umfassend zu schützen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Konzept entwickelt und umgesetzt, das die Nutzer der Gesundheits-Apps in den Mittelpunkt stellt: Sämtliche von einer Gesundheits-App erfassten Patientendaten werden dabei ausschließlich dezentral auf den jeweiligen Geräten der Nutzerinnen und Nutzer gespeichert. Dies gilt sowohl für die persönlichen Daten als auch beispielsweise für die von einem Wearable erfassten Vitalparameter des Patienten. Nur er entscheidet, wer und zu welchem Zweck über eine Vernetzungsschnittstelle Zugriff darauf bekommt. Soll sein Arzt zum Beispiel die erfassten Werte eines Langzeit-EKG auswerten und einsehen können, muss der Patient zuerst in seiner App den Zugriff erlauben. Selbst nach der Zugriffsfreigabe werden die gespeicherten Vitalparameter jedoch nicht an das System des Arztes übertragen oder kopiert. Sie bleiben weiter in der Datenhoheit des Patienten. Möglich macht dies ein Softwarekonzept, bei dem nicht die Daten zu den Analysetools des Arztes übermittelt, sondern die zur Auswertung erforderlichen Algorithmen zum Gerät des Patienten übertragen werden. »Der Arzt erhält dann zum Beispiel in seiner Browser-Anwendung nur die für ihn relevanten Ergebnisse angezeigt. Sobald der Patient seine Zugriffseinwilligung in seiner App wieder zurücknimmt, ist dem Behandelnden also keine weitere Einsicht in die Daten des Patienten möglich«, so Weigand. Diese Vorgehensweise stellt auch sicher, dass das von der DSGVO geforderte Prinzip der »dynamischen Nutzereinwilligung« strikt und lückenlos umgesetzt wird.

Ein Gesundheitsnetzwerk voller Möglichkeiten

Als Backend-Lösung für Datenmanagement und Vernetzung spart der Digitale Patientenmanager aber nicht nur Kosten bei der Entwicklung neuer, datenschutzkonformer Gesundheits-Apps: »Da die Anwendungen mit dem DPM eine gemeinsame, kompatible Vernetzungs-Infrastruktur verwenden, ergeben sich daraus vollkommen neue Möglichkeiten für Telemedizin und medizinische Forschung«, betont Weigand. Zum einen lassen sich Sensoren, Funktionen und Auswertealgorithmen verschiedener Gesundheits-Apps ganz einfach miteinander verbinden und zu neuen Anwendungen und Diensten kombinieren. Und zum anderen lässt sich das Netzwerk der Nutzerinnen und Nutzer von DPM-Anwendungen auch für Forschungen und Studien im Bereich Medizin und Pharmazie nutzen. Ein Medikamentenhersteller etwa kann über die DPM-Apps eine Anfrage starten, welche Nutzerinnen und Nutzer bereit sind, an einer Studie teilzunehmen. Über die Gesundheits-Apps können die Forscher dann auf den Geräten geeigneter Teilnehmer, die zuvor ihre Erlaubnis erteilt haben, die gespeicherten Daten analysieren. Auch hierbei sorgt das Konzept der dezentralen Datenhaltung für zuverlässigen Schutz der Gesundheitsdaten jedes Studienteilnehmers: Um die Gewichtsverteilung in einer bestimmten Personengruppe zu erheben, würden die Forscher dann einen Auswertealgorithmus in das Netzwerk aussenden. Bei der ersten Person erfasst er dessen Gewicht und springt weiter zum nächsten Teilnehmer. Dort errechnet er den Mittelwert und nimmt diesen mit zum nächsten DPM-Nutzer. Am Ende der Kette liefert der Algorithmus schließlich den ermittelten Wert für die gesamte Gruppe an die Forscher – die einzelnen Daten der Teilnehmer bleiben für sie nicht einsehbar.

Damit Start-Ups, KMUs sowie Telemedizin- und Pharmaunternehmen den Digitalen Patientenmanager möglichst einfach und rasch einsetzen können, ist das Mobile Health Lab eng mit dem Medical Valley Center verzahnt und arbeitet Hand in Hand mit dem Digital-Medizinischen Anwendungs-Centrum (dmac GmbH) zusammen. Das Zentrum wurde als Joint-Venture zwischen Fraunhofer IIS und Medical Valley gegründet und fungiert als Akzelerator für Telemedizin-Firmen. Hier arbeitet das Fraunhofer IIS gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie an konkreten Umsetzungslösungen für die telemedizinische Versorgung.

(mab)

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Christian Weigand
  • Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS
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