Bei uns Kindern hieß es noch Herumtoben! Das war einmal. Heute müssen wir alles strukturiert lernen. Turnen oder Karate werden ebenso ernst verabreicht wie Geigenunterricht. Wir haben als Kinder beim Herumtoben oft Flowzustände erreicht – das sind Momente, in denen die Zeit wie von selbst verfliegt. Das Handeln und das Bewusstsein verschmelzen in einem Spielrausch. Man könnte sagen, alles geschieht »mühelos« – aber eigentlich ist es so, dass so etwas wie »Mühe« gar nicht im Bewusstsein ist, wenn man im Rausch spielt.

Flow kann auch beim Arbeiten erlebt werden, da fühlt es sich wie Schaffenslust an! Zeitvergessenes fruchtbares Schaffen! In diesen Zuständen erreichen wir in Premium-Berufen ein Vielfaches(!) an Produktivität – die Einfälle strömen nur so herbei.

Seit Jahren rege ich mich über die durch den Shareholder-Value-Gedanken hervorgerufenen Managementrituale des ständigen Überprüfens und Messens auf, die diesen Flow stören und fast zwangsläufig nicht mehr aufkommen lassen. Wir vergessen jetzt nie mehr die Zeit. »Wie weit bin ich? Bin ich Leistungsträger? Sind andere enteilt? Muss ich etwas befürchten?« Das sind bange Überforderungszeichen, die jeden Flow wegblasen. Sie sind gewollt! Das Management fordert mehr als wir leisten können, damit wir mehr leisten. Die dauernde planmäßige Überforderung führt zu Stress und bei größerer Übertreibung zum Burnout. Das wissen wir alle so ein bisschen, aber wir strampeln brav im Hamsterrad, weil es die anderen auch tun. Arbeit muss unbedingt Mühe machen, Arbeit muss an die Leidensgrenze gehen, sonst wird das Leistungsmaximum nicht erreicht – so hat man uns glauben gemacht. Arbeit wird ein spaßfreier Raum – der Flow wird nicht geduldet.

Die Arbeit prägt uns sehr. Sie strahlt auf das Privatleben ab, in dem wir nun auch ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn wir ineffizient chillen oder herumhängen, es uns gut gehen lassen und einfach so einmal radeln oder Tennis spielen. Wir wollen es jetzt wissen! Wie gut sind wir? Wie schnell? Wem überlegen? Wir fangen an, uns wie bei der (gehassten!) Arbeit zu reviewen, zu tracken, zu wiegen oder zu controllen. Wir berechnen die Fitness pro Euro im Studio. Wir präferieren das Quälen durch teurere Geräte, die alles elektronisch messen. Wie ein Flugkapitän im Cockpit kontrollieren wir uns selbst. Wir sind hier unser eigener Chef. Höchstselbst.

Statt uns gegen das Datenerheben und ständige Prüfen durch Methoden des »Scientific Management« aufzulehnen, führen wir »Scientific Wellness« in unserem Privatleben ein. Wir protzen mit unseren Fitnesscenterleistungskennzahlen wie mit der goldenen Kreditkarte. Sport wird Achievement. Iron Man ist Pflicht, mindestens der Halbmarathon kann von jedem verlangt werden. Wir hassen es, uns jeden Tag beim Chef beweisen zu müssen, aber jetzt beim Sport zeigen wir es uns selbst. Manche schaffen das nicht überzeugend und verzagen fast beim Blick in den Spiegel. Sind wir wirklich Privatlebenshochleister? Im Fitness-Center gibt es Doping-Pillen, haben wir gehört. Ja, wir werden uns aufpimpen! Wir werden ein Privat-As! Das gibt Flow im Hirn! Messungsglück!

Ja, und was macht der Körper, für den der Sport eigentlich gedacht war? Der ist jetzt nur Arbeitnehmer. Das Kontrollhirn weidet sich an dessen Erfolgen. Und wehe, er bringt keine!

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Prof. Dr. Gunter Dueck
  • Kolumnist, Schriftsteller, Unternehmer
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