Besucher von Konzerten oder Sportereignissen sind »mittendrin«. Zuschauer an den Bildschirmen nur »dabei«. Forscher am Fraunhofer HHI haben mit der OmniCam nun die Möglichkeit geschaffen, Veranstaltungen in einer Auflösung von 8k aus einer 180- bis 360-Grad-Perspektive zu filmen, um das Liveerlebnis von Events möglichst »echt« aufzuzeichnen. Besondere Aufmerksamkeit ist dem System vor allem bei den Fußball-Fans sicher: Im Auftrag der FIFA hat das Fraunhofer HHI das Finale der Fußball WM in Brasilien gefilmt.

Fast 1.000 Euro für das Finale der Fußball WM in Brasilien. Das war der offizielle Eintrittspreis. Dazu kommen Kosten für den Flug und die Unterkunft. Und wer auf den letzten Drücker auf dem Schwarzmarkt kaufen musste, hat bei »Schnäppchenpreisen« um 5.000 Euro zugeschlagen. Für eine Milliarde Fußballfans, die das Endspiel zwischen Deutschland und Argentinien erleben wollten, blieb nur der »klassische« Weg: dem Spiel via TV folgen. Egal, ob im heimischen Wohnzimmer oder beim Public Viewing. Auch wenn das bequeme Fernsehen seine Vorteile hat, die Zuschauer sehen immer nur das, was ihnen die internationale Regie vorsetzt. Von der für den Fußball oft so herausragenden (und nur gegen hohe Eintrittspreise erlebbaren) Stadionatmosphäre lässt sich dabei nur ein Bruchteil übertragen.

Seit Jahren arbeiten Forscher am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut HHI in Berlin an einer Möglichkeit, realistische »Live«-Kopien der Geschehnisse und der Atmosphäre in Konzertsälen oder Stadien produzieren zu können. Die Idee dafür ist an sich nicht neu: Ereignisse werden in einer Panorama-Perspektive aufgenommen und dann auf einer 180- oder gar 360-Grad-Leinwand gezeigt. »Das herausragende an unserem System »OmniCam« ist nicht der Ansatz an sich, sondern die Umsetzung dieses Ansatzes«, erklärt Abteilungsleiter Ralf Schäfer. Zu den Besonderheiten gehört unter anderem, dass die erzeugten Bilder mit einer Auflösung von 10K aufgezeichnet werden. »Wir arbeiten mit 10.000 mal 2.000 Bildpunkten und liefern damit eine Qualität, die der Fernsehgeneration nach 4K entspricht«. 4K, also das sogenannte Ultra High Definition Television, gilt nach Full HD als Fernsehen der Zukunft.

Bei der OmniCam kommen – angebracht in einem speziellen Rig – in der Regel zehn HD-Kameras zum Einsatz. Die Bilder werden in einem Echtzeitprozessor zusammengefügt, um ein Panorama-Video von höchster Qualität zu erzeugen. Ein vergleichbar aufgebauter Projektorensatz erlaubt dann die naturgetreue Wiedergabe des vorher gefilmten Geschehens. Für die OmniCam arbeiten die Fraunhofer-Forscher mit einem 36°-Spiegelsegment je Kamera, über das die zueinander versetzten Positionen der Aufnahmegeräte so angeglichen werden, als ob alle Aufnahmegeräte an ein und demselben Platz stünden. Durch eine feine Kalibrierung und die Nachbearbeitung der Aufnahme(n) mit Hilfe einer speziellen Software können Ungleichheiten bei der Aufnahmequalität egalisiert werden. Zudem sind die Kameras so exakt positioniert, dass bei einer Überlappung von einigen wenigen Bildpunkten Aufnahmen in Tiefenbereichen ab etwa drei Meter bis unendlich möglich sind, ohne dass sichtbare Parallaxe-Fehler auftreten. 

Wie das en détail aussieht, können Besucher des TiME Lab am Fraunhofer HHI erleben. Hier projizieren 14 HD-Projektoren mit einer Auflösung von 2.000 mal 7.000 Pixel das Geschehen auf eine 180-Grad-Leinwand. Mit einer speziellen Blendtechnik werden die Einzelbilder der OmniCam zu einem einzigen hochaufgelösten Panoramavideo vereint. Die Projektion auf der gekrümmten Leinwand füllt das gesamte Blickfeld der Zuseher aus. Sie tauchen vollständig in die Szenerie ein. Ergänzt wird der visuelle Eindruck durch eine innovative Tontechnik, für die 128 Lautsprecher im Kreis um die Zuschauer herum angeordnet wurden. Eine WFS-Soundtechnologie erzeugt dabei mit Hilfe der Wellenfeldsynthese ein Feld, das jeden Ton und jedes Geräusch punktgenau im ganzen Raum erklingen lässt.

Das OmniCam-Kamerasystem wiegt nur 15 kg und ist nicht größer als eine normale HDTV-Kamera. Weltweit werden derartige Systeme bereits als „Solo“-Aufnahmegerät genutzt. Besonders interessant aber werden die Möglichkeiten erst durch den Einsatz mehrerer Geräte, die jeweils einen 360-Grad-Überblick bieten.

OmniCam Video-Inhalte könnten bald als Second-Screen-Apps für Tablets, Smartphones oder Laptops verfügbar sein. Die User werden dann die Möglichkeit haben, aus verschiedenen Perspektiven durch die Veranstaltung zu navigieren. Nach Einsätzen etwa bei klassischen und Pop-Konzerten oder den X Games in München arbeitet das Fraunhofer HHI beispielsweise mit einem internationalen Konzertveranstalter zusammen. Er wird bedeutende Happenings mit bis zu vier OmniCams aufzeichnen, um die Aufnahmen im Netz zur Verfügung zu stellen.

Derzeit besonders interessieren dürften – gerade die Zuschauer in Deutschland – aber die ebenfalls mit der OmniCam aufgezeichneten Bilder des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft in Rio de Janeiro: Im Auftrag der FIFA wurde zum Finale an der Mittellinie die OmniCam positioniert, um das komplette Stadion in Panoramasicht aufzunehmen. Die so entstandene 180°-Schau soll zu einer der Hauptattraktionen des geplanten FIFA-Museums für den Weltfußball in Zürich werden. Einziger Wermutstropfen: Die Eröffnung des Museums wird voraussichtlich erst Anfang 2016 stattfinden.  (aku)

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