Bluetooth ist einer der weltweit führenden Standards für drahtlose Datenübertragung. Der vom Fraunhofer IIS mitentwickelte Audiocodec LC3 bringt Bluetooth-Audio auf den neusten Stand der Technik und reduziert die notwendige Datenrate für Audioübertragungen auf die Hälfte. Damit wird nicht nur die Batterielaufzeit erhöht – der Codec bietet bei halber Datenrate bereits eine bessere Audioqualität. Der Geschwistercodec LC3plus ermöglicht sogar hochauflösende Musik, besonders kurze Verzögerungszeiten und eine einzigartige Robustheit bei Verbindungsproblemen. 

Harald Gormsson war ein geschickter politischer Strippenzieher. Als Harald Blauzahn machte er Dänemark vor über 1.000 Jahren zum beherrschenden, nordischen Großreich. Er vereinigte nicht nur konkurrierende nordische Fürstentümer. Er ließ zum Wohl der neuen Verbindungen stets auch üppig auftragen – so wie es den meisten Wikinger-Führer*innen des Mittelalters zugeschrieben wird. Insofern hat Gormsson beziehungsweise Blauzahn nicht nur die namentliche Grundlage für eine moderne Bluetooth-Vernetzung von nahen Funksignalen geschaffen. Er steht wohl auch stellvertretend für einen (Daten-)Verbrauch, der zumindest heute als unnötig umfangreich angesehen werden kann. 

In die Schranken gewiesen wird der vermeintliche Datenhunger von Bluetooth nun durch »LC3«, einem Codierverfahren, das vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen gemeinsam mit dem Schwedischen Unternehmen Ericsson entwickelt wurde. 

»LC3 steht für ‚Low Complexity Communication Codec‘. Der neue Codier-Algorithmus liefert bereits bei halber Datenraten eine verbesserte Audioqualität als der Vorgänger-Codec«, erklärt Alexander Tschekalinskij, Entwickler am Fraunhofer IIS und Experte für LC3 und LC3plus. Kleinere Datenpakete können schneller über die Bluetooth-Antenne gesendet werden, wodurch sich eine niedrigere Systemlatenz und ein deutlich reduzierter Energieverbrauch ergibt. Davon profitieren alle portablen Geräte, aber insbesondere Kleingeräte wie In-Ear-Bluetooth-Kopfhörer oder Hörgeräte, denn die hier verbauten Akkus sollten möglichst klein und leicht gehalten sein. Hinzu kommt: durch die geringere zu übertragende Datenmenge wird die Bluetooth-Verbindung robuster gegen Übertragungsfehler.

Weiterhin ermöglicht LC3 erstmals Mobilfunkgespräche mit drahtlosen Bluetooth- Headsets in Stand der Technik EVS-Sprachqualität . Im Vergleich zum Vorgänger-Codec Low Complexity Subband Codec (SBC) überträgt LC3 bei derselben Datenrate nun doppelt so viel Audiobandbreite und ist damit das Bluetooth-Welt Gegenstück zu EVS in 4G und 5G Mobilfunknetzten.

Der Sprach-Standard »Enhanced Voice Services« (EVS) erlaubt klar klingende und natürlich wirkende Telefonate in Full-HD-Voice-Qualität. »Dafür überträgt EVS den hörbaren Frequenzbereich mit bis zu 16 Kilohertz statt wie bisher mit bis zu 7 Kilohertz. Die damit verbundene Steigerung der Menge an zu übertragenden Daten ist für LC3 aber kein Problem«, betont Tschekalinskij. Die Vorteile insgesamt seien so offensichtlich beziehungsweise »offenhörlich«, dass der Codec bereits vor drei Jahren Grundbaustein des neuen Bluetooth-Standard »LE Audio« geworden sei. LE Audio, kurz für »Low Energy Audio«, dürfte – so die Erwartung – den bisher vorgeschriebenen SBC-Codec künftig so gut wie komplett ersetzen. 

LC3 ist in Bluetooth standardisiert. Durch seinen Status als verpflichtender Audio-Codec in Bluetooth Low Energy Audio sorgt LC3 dafür, dass Bluetooth-Audio Geräte weiterhin interoperabel bleiben. Besonders freuen dürfte das Nutzer*innen von Hörgeräten, da zuvor lediglich proprietäre Lösungen existierten.

Codec im Doppelpack 

Neben LC3 haben das Fraunhofer IIS und Ericsson auch ein Superset des Codecs namens LC3plus entwickelt, welcher 2019 bei ETSI für Voice over IP, hochqualitative Musik- und Sprachübertragung standardisiert wurde und gleich noch in den DECT-Standard für drahtlose Festnetztelefone aufgenommen wurde. Dort ermöglicht er durch seine hohe Effizienz doppelt so viele Gespräche an der selben DECT Basistation. LC3plus ist der Geschwistercodec von LC3, der alle Eigenschaften von LC3, einschließlich der hohen Sprach- und Audioqualität, aufweist. Zusätzlich bietet LC3plus mehr Robustheit gegen Übertragungsfehler, extrem geringe Codierverzögerung und hochauflösende Audioqualität.

Wird LC3plus zur Telefonie eingesetzt, gewährleistet der Codec Super-Breitbandqualität (EVS-Sprachqualität) für Voice over IP -Anwendungen sowie mit klassischen DECT-Telefonen mit Festnetzanschluss. »Dank der speziellen Kanalcodierung, können Telefonate auch dann ohne Unterbrechung weitergeführt werden, wenn das Mobilteil weit von der Basisstation entfernt ist«, erklärt Alexander Tschekalinskij. LC3plus verschleiert dabei Paketverluste so, dass sie vom Nutzer kaum mehr wahrgenommen werden können.

Aufgrund der geringen Latenz von maximal 5 Millisekunden ist LC3plus eine sehr attraktive Lösung für Anwendungen, bei denen Audio mit einer möglichst geringen Verzögerung übertragen werden muss: zum Beispiel bei Gaming-Headsets oder bei der Audio/Video-Synchronisierung bei drahtlosen Heimkino-Systemen.

High Resolution Audio 

Mit einer maximalen Auflösung von 24 Bit und einer maximalen Sampling-Frequenz von 96 Kilohertz ist LC3plus prädestiniert für hochqualitatives Audio-Streaming auf drahtloses Zubehör. »Produzenten von hochwertigen, kabellosen Kopfhören und Lautsprechern oder anderen Bluetooth-Audiogeräten können diesen Codec zusätzlich in ihren Produkten implementieren, um Audio in der sehr hohen Auflösung und Qualität zu übertragen, wie sie von modernen HiRes-Streaminganbietern wie z.B. Amazon Music, Tidal oder Deezer angeboten werden«, erklärt Alfonso Carrera, Fraunhofer IIS‘ Senior Consultant Telecom, Broadcast and New Media und verantwortlich für den Vertrieb und die Markteinführung von LC3 und LC3plus. LC3plus sei in der Lage, bis zu 500 Kilobit pro Sekunde pro Kanal zu übertragen. 

Der LC3plus codec bringt nicht nur für Anwendungen im häuslichen Bereich Vorteile, sondern auch unter erschwerten Bedingungen, wie beispielsweise in einem überfüllten Verkehrsmittel mit vielen geichzeitig betriebenen Kopfhörern die das selbe Frequenzspektrum nutzen, kann LC3plus High Resolution die Datenrate entsprechend anpassen, ohne dabei die Audioqualität nenneswert zu beeinträchtigen, um damit Paketverluste zu vermeiden – ein Feature, das herkömmlichen HiRes-Codecs fehlt.

Da LC3plus ein offener Standard mit öffentlich verfügbarer Spezifikation und frei bei ETSI herunterladbarem Source-Code ist, sind dementsprechend Chips für drahtlose Audioübertragung mit LC3plus-Codec von mehreren unabhängigen Herstellern verfügbar. Als Unterstützung für Kopfhörer- und Smartphone-Hersteller bietet das Fraunhofer IIS zudem eine öffentliche Spezifikation für die Integration von LC3plus High Resolution in das Bluetooth A2DP Profil an. Dazu passende Software, welche diese Spezifikation erfolgreich umgesetzt hat, bietet das Open-Source-Projekt bluez-alsa.

LC3plus befreit damit HiRes-Audiogeräte von der Notwendigkeit, Kabelverbindungen zu nutzen, um Musik auch akustisch hochwertig zu genießen. Für beispielsweise viele Streamingdienste steht nun erstmals eine Möglichkeit zur Verfügung, auch hochaufgelöste Titel »entfesselt« bereitzustellen. Sollte es dazu kommen – und vieles spricht dafür: Es wäre ein reichlich verspäteter Ritterschlag für Harald Gormsson. 

(aku)

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