Wenn man so etwas sucht wie den akustischen Nabel der Welt, dann sollte man die Seebühne in Bregenz in Erwägung ziehen. Vor zehn Jahren hat das Fraunhofer IDMT hier ein Beschallungssystem entwickelt und über 800 Lautsprecher installiert, um die Zuschauer auf akustisch einmalige Weise in den Bann von Opern und Konzerten zu ziehen. Mittlerweile ist das System perfektioniert und lockt jährlich Hundertausende Besucher vor eine weltweit einmalige Klangkulisse.

Wir hören besser als wir sehen. Das Ohr ist sensibler, genauer und auch leistungsfähiger als unser Auge. Mehr noch: Unser Hörsinn ist von allen fünf Sinnen der differenzierteste. Er macht es uns möglich, bis zu 400.000 Töne zu unterscheiden und dabei die genaue Richtung zu bestimmen, aus der sie kommen. Insofern scheint es seltsam, dass zum Beispiel bei neuen Fernsehgeräten so viel über das Bild und so vergleichsweise wenig über den Ton gesprochen wird. Und es wirkt fast »unnatürlich«, wenn bei Soundanlagen zu Hause oder auch bei Konzerten vor allem in Stereo, bestenfalls noch in Dolby Surround gedacht wird. Denn das Ohr kann mehr. Zuhörer bei Konzerten können und sollten erwarten, dass der wichtigste und (zumindest in diesem Fall) ausschlaggebende Sinn so gut, so angenehm und so naturgetreu angeregt wird, wie dies technisch möglich ist.

Dass die Suche nach dem idealen akustischen Terrain für Konzerte oder Filmvorführungen mittlerweile deutlich erfolgversprechender ist, ist unter anderem den Forschungsarbeiten des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT zu verdanken. Denn hier werden verschiedene akustische Konzepte ausgearbeitet, dank derer der Klang so verteilt wird, dass ein Großteil aller Zuhörer in einem Stadion, vor einer Freiluft-Bühne oder im Konzertsaal optimal mit dem gewünschten Sound versorgt werden können. Bestes Beispiel dafür sind die Festspiele auf der Seebühne im Österreichischen Bregenz. Seit nunmehr zehn Jahren arbeiten Künstler und Techniker vor Ort mit dem IDMT zusammen. Ziel damals war es, ein Beschallungssystem zu (er)finden, mit dem die Zuschauer akustisch noch stärker in die Handlung einbezogen werden können. Die Forscher des IDMT haben daraufhin eine wegweisende Tonarchitektur für die weltweit größte Seebühne entwickelt. Heute ist das System – wenn auch kontinuierlich verfeinert – weiterhin im Einsatz und begeistert Hunderttausende von Zusehern und vor allem: Zuhörern.

Drei technische Erfolge zeichnen die Seebühne dabei besonders aus: Erstens wurde die Akustik eines geschlossenen Konzertsaals in dem offenen Publikumsbereich der Seebühne realisiert. Zweitens ist es für jeden einzelnen der insgesamt 7.000 Zuhörer möglich, die Sänger auf der etwa 60 Meter breiten Bühne akustisch zu verfolgen – und zwar  immer aus der richtigen Richtung und an der korrekten Position. Und Drittens haben Regie und Tontechniker die Möglichkeit, Klangeffekte losgelöst von der Position der Lautsprecher dramaturgisch geschickt im Publikumsbereich zu platzieren. »Eine Freiluft-Installation dieser Dimension ist weltweit bis heute einzigartig«, sagt René Rodigast vom Fraunhofer IDMT.

»Wir arbeiten dabei im Wesentlichen auf Grundlage der schon vorher in Bregenz verwendeten Richtungsbeschallung, der Wellenfeldsynthese-Technologie und einer akustischen Raumsimulation«, sagt Rodigast. Während die akustische Raumsimulation der optimalen Aufstellung der Lautsprecher und der Nachbildung eines natürlichen Raumklanges dient, ist die Richtungsbeschallung die vergleichsweise älteste Technologie. Sie basiert auf dem Prinzip der ersten Wellenfront. »Wir nutzen den psychoakustischen Effekt, dass bei einem zeitverzögerten Eintreffen des gleichen Schallsignals aus unterschiedlichen Richtungen der Hörer nur die Richtung des zuerst eintreffenden Schallsignals wahrnimmt«, erklärt Rodigast. Das heißt: Alle verzögert eintreffenden Schallsignale (etwa durch ein Echo) werden nur in der Richtung des ersten Signals (also der ersten Wellenfront) lokalisiert. Lautsprecher, die Signale empfangen, die auf diesem Prinzip beruhen, senden damit Schallwellen aus, die das Publikum eindeutig als »von der Bühne kommend« empfindet. Eine klassische Kirchenakustik, bei der der Schall stark gestreut und durch Echos so überlagert wird, dass die Platzierung der Instrumente im Orchester und selbst einzelner Solisten kaum mehr zugeordnet werden kann, ist damit ausgeschlossen: Hören und Sehen stehen im Einklang.

Die Wellenfeldsynthese wiederum macht aus einem akustischen Erlebnis ein fast natürliches Hören. »Im nahezu gesamten Wiedergaberaum entsteht dabei eine stärkere akustische Einhüllung des Publikums«, meint Rodigast. Im Gegensatz zur traditionellen Wiedergabe von Audiomaterial in großen Räumen, bei der die Klangqualität für die Zuhörer nur auf ausgewählten Plätzen gewährleistet ist, und zudem der Klangeindruck deutlich leidet, wenn die Lautsprecher bei der Wiedergabe nicht optimal ausgerichtet sind, wird mithilfe der Wellenfeldsynthese-Technologie ein realistisch klingendes Schallfeld erzeugt. Unabhängig von der Position im Zuschauerraum werden Dialoge und andere Schallereignisse aus der richtigen Richtung und Entfernung wahrgenommen.

An der Freiluftbühne Bregenz wurden etwa 80 Lautsprechersysteme in das Bühnenbild integriert. Dank einer speziellen Ansteuerung dieser für die Zuschauer unsichtbaren Boxen wird es möglich, dass das Publikum die Solisten aus der richtigen Perspektive wahrnimmt und die Bewegungen auf der großen Bühne auch räumlich-akustisch nachverfolgen kann. Ergänzt wird das System durch 800 weitere Lautsprecher, die den Zuschauerraum in Form eines Rings umgeben. Sie lassen Live-Musik und akustische Spezialeffekte noch natürlicher und räumlicher klingen.

Zusätzlich wurde das Bregenzer Beschallungssystem in den vergangenen Monaten technisch verjüngt. »Dank eines 64-bit-Systems verfügen wir nun über mehr Performance. Zudem haben wir mehr Möglichkeiten, das System komfortabel einzurichten«, sagt Rodigast. Neben neuer Technik zur Audiosteuerung nutzen die Toningenieure der Seebühne nun beispielsweise die Bedienoberfläche »SpatialSound Control«, mit der sie die Richtungsgebiete zur akustischen Verfolgung und Ortung der Akteure auf der Bühne einfacher bearbeiten können. Mit dem Tool können gleichzeitig mehrere Personen über PC oder Tablet am System arbeiten. Das ermöglicht es den Tontechnikern, Richtungsgebiete nicht mehr nur zentral aus der Ton-Regie einzurichten, sondern auch mobil von den Zuschauerplätzen aus. (aku)

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René Rodigast
  • Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT
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