Moderne Landmaschinen können durch eine stabile und schnelle Verbindung ins Internet wesentlich zur Effizienzsteigerung und Ressourcenschonung in der Landwirtschaft beitragen. Wie trotz der teils problematischen mobilen Internetverbindungen auf den Äckern moderne Services rund um diese Maschinen möglich werden, soll in Simulationen untersucht werden. Die Voraussetzungen dafür schafft das Projekt INVIA.

»Es ist kompliziert.« Wer so eine Aussage über den Beziehungsstatus in seinem Social Media-Profil macht, will damit wohl sagen, dass es unklar ist, ob beide Partner zueinander passen und ob die Kommunikation noch funktioniert. Auf gewisse Weise trifft diese Einschätzung aber auch – Achtung Sprung – auf das Verhältnis von Landwirten und ihren Maschinen zu. Auch hier wird es immer problematischer, beide so zu synchronisieren, dass sie ein eingespieltes Team bilden: Ein Traktor ist längst nicht mehr nur in der Lage, Maschinen zu ziehen. Seine Funktionalität hat sich deutlich erweitert. Er hat jetzt eine eigene Intelligenz und der Anspruch an die Bedienung ist dadurch deutlich gestiegen.

Es wird immer aufwändiger, moderne Landmaschinen zu verstehen – und zu beherrschen. Aber nur wenn das gelingt, ist der auch in Deutschland nötige und längst überfällige Schritt in Richtung Farming 4.0 flächendeckend möglich. Dann könnten modernste Landmaschinen mit Hilfe der Vernetzung und einer intelligenten Steuerung ihre Fähigkeiten metergenau ausspielen und einen Acker nicht mehr nur als bepflanztes Feld »interpretieren«, sondern im Idealfall jede einzelne Pflanze darauf individuell versorgen und pflegen. So würde die Effizienz des Betriebes erhöht. Es würden Ressourcen wie Dünger oder Wasser gespart. Und es würden Daten gewonnen, die in den kommenden Jahren die Grundlage für eine besser angepasste Vorgehensweise in den landwirtschaftlichen Betrieben ermöglichen.

Fahrer hochkomplexer Landmaschinen über das Internet betreuen

»In Landmaschinen sind schon heute mehrere Computerterminals eingebaut, die über Hunderte von Parametern, beispielsweise eine optimale Ernte, gewährleisten können – wenn sie denn auch in all ihren Feinheiten vom Fahrer beherrscht werden«, erläutert Michael Stiller vom Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik ESK. Dafür aber sei in der Regel ein mehrwöchiges Training nötig. Und das wiederrum ist ein Aufwand, der sich insbesondere beim Einsatz von Saisonarbeitern nicht unbedingt lohnt. Zumal eine individuelle Schulung durch Fachpersonal vor Ort teuer ist.

Eine Lösung, die die Maschinenhersteller deshalb gerne als Alternative anbieten würden, ist beispielsweise eine Art »training on the job«, bei der bis zu zwölf Kameras und weitere Erfassungsgeräte den Blickwinkel des Fahrers und die unmittelbare Umgebung erfassen und über eine Internetverbindung weitergeben. So kann ein Trainer die ersten Fahrten »live« mitverfolgen und den Fahrer vor Ort unterstützen, ohne dass Reisen zwingend nötig sind. Oder er kann vor Ort mehrere »Fahrschüler« via Monitor auf einmal betreuen. Es wäre für den Fahrer auch möglich, situationsgerechte Videos abzurufen und einen Blick in eine smarte und online aktualisierte Betriebsanleitung zu werfen. Auch Wartungsaufgaben ließen sich auf diese Weise mit Hilfe von Augmented Reality oder unter fachlicher, externer Anleitung effektiv und zielsicher ausführen.

Dafür muss aber eine funktionierende Infrastruktur bereitstehen, die eine einfache, mobile Internetanbindung bislang nicht leisten kann. Zum einen, weil die auf dem Land vorherrschenden, mobilen Verbindungen zu langsam und teilweise so instabil sind, dass eine kontinuierliche Anpassung an die vor Ort jeweils aktuellen Rahmenbedingungen der Datenübertragung nötig ist. Zum anderen, weil die oftmals benötigten geringen Latenzzeiten nicht erreicht werden.

Cloudgestütztes Assistenzsystem

Im Projekt INVIA erarbeiten Forscher des Fraunhofer ESK gemeinsam mit sechs Projektpartnern deshalb ein neuartiges, mobiles und cloudgestütztes Assistenzsystem. Es soll über eine Edge basierte Kommunikationslösung die Serviceangebote und die Fehlerdiagnose von komplexen Landmaschinen deutlich verbessern. »Während die beteiligten Industriepartner eine prototypische, marktnahe Umsetzung vorantreiben, geht es für Fraunhofer ESK vor allem um die Konzeption und Entwicklung einer Simulationsumgebung für die Qualitätsbewertung derartiger Assistenzsysteme«, erklärt Stiller.

Cloud Computing, mobile Edge Computing und Fog Computing

INVIA setzt dabei auf eine Kombination aus Cloud Computing und das niederlatente mobile Edge Computing sowie das Fog Computing. »Damit erreichen wir eine nahezu echtzeitfähige Anwendung, so dass beispielsweise das Verhalten der Landmaschine mit nur minimalster Verzögerung analysiert werden kann«, erklärt Stiller. Ist die Verbindung aber schlecht oder stark fehleranfällig, kommt eine spezielle »Edge Embedded Control Unit« zum Einsatz. Sie greift sozusagen auf lokal in der Landmaschine selbst gespeicherte Daten zu. So sollen die Grundfunktionen des Assistenzsystems auch ohne Verbindung zur Servicezentrale bereitgestellt werden können. »Wir wollen zudem untersuchen, welche Vorteile der Einsatz einer sogenannten MEC-Komponente als Teil einer Mobilfunkbasisstation bietet“, erläutert Stiller. Diese Komponenten haben bei örtlicher Nähe zur Maschine extrem geringe Latenzen und bieten eine hohe Rechenkapazität. Dadurch werden beispielsweise Augmented Reality- und Videodienste zwischen mehreren Landmaschinen in der gleichen Mobilfunkzelle möglich. So kann unter anderem getestet werden, wie die Zusammenarbeit zwischen einem Spezialisten oder dem Trainer und dem Fahrer vor Ort mit Hilfe eines cloudbasierten Service Desk realisiert werden kann.

»Die Konzeption ist aber noch so neuartig, dass wir Feldversuche durchführen, um die Ergebnisse unserer Simulationsumgebung zu verifizieren«, sagt Stiller. Erst danach könne an die Entwicklung eines auch kommerziell einsetzbaren Systems gedacht werden. Noch also wird eine gewisse Diskrepanz bleiben zwischen den Möglichkeiten modernster Landmaschinen und dem tatsächlichen Nutzen all der Optionen, die sich durch eine Vernetzung ergeben: Es bleibt also kompliziert – vorerst noch.

(aku)

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