Der nationale IT-Gipfel will nun »die digitale Zukunft gestalten«. Ich selbst habe das Gefühl, dass heute (2015!) das Wort »Digitalisierung« so oft verwendet wird wie nie zuvor. Das macht mich ganz nervös, denn Amazon gibt es schon knapp 20 Jahre lang und Google bald auch. Die Digitalisierung vollzieht sich seit fast einer ganzen Generation, und jetzt, aha, gestalten wir eine digitale Zukunft, wo die doch schon in weiten Teilen ohne deutsche Mithilfe abgesteckt ist. Und das ist schon ein Fortschritt, immerhin, denn bislang wurde hierzulande »das Internet« lange verlacht und danach eine Weile als „unsicher“ wahrgenommen. »Man geht bitte erst dann ins Neuland Internet, wenn alle DIN-Webseiten Baugenehmigungen haben und durch Jägerzäune eingeschlossen sind.«

Jetzt – endlich – also Digitalisierung auch hier!? Was muss dafür getan werden? Wir sollten zuerst das physische Netz breitestbandig ausbauen, damit selbstfahrende Autos und Herzschrittmacher überall »Netz haben«. Wir müssen GLEICHZEITIG neue Industrien der Bio-, Medizin-, Umwelt-, 3-D- etc. etc. –Tech ganz neu oder viel größer aufziehen und eben auch junge Leute für die Arbeit dort ausbilden – Arbeit und Bildung müssen sich koordinieren. Denn die Digitalisierung kostet viele Arbeitsplätze und trivialisiert viele bisher respektable Arbeiten. Deutschland hat die Chance, als Ingenieurland das Internet der Dinge mit einem neuen Betriebssystem für Sensoren aller Art und zugehöriger Steuer- und Analysesoftware beherrschend zu beeinflussen. Siemens, Infineon, Conti, Schaeffler & SAP: Wo ist der neue Standard der Übertragungsprotokolle für die Kommunikation der Dinge untereinander? Wo bleibt das Betriebssystem des Internets der Dinge? Wollen wir warten, bis Google »Android of Things 1.0 for Samsung Smartphones« rausbringt?

Stattdessen wird schon als Fortschritt gefeiert, wenn wir endlich gedanklich die Chancen der Digitalisierung höher bewerten als ihre Risiken (»Risiko« = Freibrief für Warten). Das ist ein Fortschritt! Wir bleiben von jetzt an nicht mehr stehen. Wir laufen jetzt im Bewusstsein und im Denken hinterher! Und schnell! Konkrete Maßnahmen wie den Netzausbau mögen wir aber immer noch nicht. Ein Betriebssystem für das Internet der Dinge bringen die Firmen zusammen nicht auf die Straße es würde zu viele Meetings erzeugen. Die Fraunhofer-Institute haben wahrscheinlich schon vieles bis vielleicht alles auf den Schreibtischen und dringen nicht durch. Also werden wieder Pläne gemacht.

Das ist nicht Tun, nicht energisches Handeln! Das ist nur ganz simples Nudging, mehr nicht. Wikipedia: »Nudge theory (or Nudge) is a concept in behavioural science, political theory and economics which argues that positive reinforcement and indirect suggestions to try to achieve non-forced compliance can influence the motives, incentives and decision making of groups and individuals, at least as effectively – if not more effectively – than direct instruction, legislation, or enforcement.«

Oder auf Deutsch: Man weiß, dass es manchmal reicht, Menschen anzustubsen und auf gute Gedanken zu bringen, so dass sie ganz von selbst das anfangen, wozu man sie gerne zwingen würde. Wie sagt man ab und an von Menschen? »Er braucht immer mal wieder jemanden, der ihn anstubst, damit er den Hintern hochbekommt.« So ein Stupser oder Nudger ist wohl der nationale IT-Gipfel. Mehr leider nicht. Mehr unternehmen die Politiker ja auch nicht gern, seitdem sie die Nudge-Theorie kennen. Sie sind Nudger und sie nudgen uns jeden Tag für etwas anderes. Sie hoffen wohl, dass das bloße Anstupsen reicht und dass echtes Regieren nicht nötig ist. Das verspricht ja die Nudge-Theorie aus Amerika! Und die Unternehmen sind ja auch nur Nudger, sie stupsen uns zum Beispiel an, dass wir tonnenschwere Batterien in überteuerten Elektroautos kaufen sollen, damit sie endlich Lust haben, solche zu bauen. Nudge: »Eine Million Elektroautos in 2020!« Und? Was geschah?

Rettet uns vor den Nur-Nudgern! Ja, ich gebe zu, es gab einmal eine wunderbare Erfahrung mit der neuen Nudge-Theorie: Man stupste in einer wissenschaftlichen Studie ein repräsentatives Kind an, ob es nicht ein Eis wolle. Es WOLLTE! SOFORT! Dieses Prinzip wendet man nun auf disruptive Digitalisierung und harten Change an. Bestimmt wird sich Deutschland nach dem Stupsen sofort zum Guten verändern.

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Prof. Dr. Gunter Dueck
  • Kolumnist, Schriftsteller, Unternehmer
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