Alle warten auf digitale Bürgerdienste, aber viele Menschen wollen dem Staat keine Informationen über sich anvertrauen. Nur wenn Bürger*innen nicht mehr Bittstellerinnen und Bittsteller sind, könnten staatliche Institutionen ihr Vertrauen erlangen, indem sie sich als kompetente effektive Dienstleister etablieren. Im Gegenzug könnten sie von den Bürger*innen die Daten erhalten, die für die Realisierung digitaler Lösungen notwendig sind.

Keiner mag die langen Papierformulare von Ämtern und Behörden, die wieder und wieder die gleichen Informationen erfragen. Doch wenn es um moderne komfortable Alternativen wie digitale Bürgerdienste und E-Government-Angebote geht, liegt Deutschland hinter den meisten europäischen Ländern zurück. Noch viel zu oft werden hierzulande Formulare mit dem Kugelschreiber ausgefüllt, die später von Staatsdiener*innen entziffert und in anachronistische, inkompatible und oft unsichere IT-Systeme eingegeben werden müssen. Solche Vorgänge sind sehr fehleranfällig und zeitaufwändig – alles Eigenschaften, die sich die vielerorts unterbesetzten Behörden gar nicht leisten können. Digitalisierung und Automatisierung könnten diese Institutionen entlasten und den Bürger*innen zeitgemäße Dienstleistungen bieten. Doch neben der technischen Entwicklung, die nun an vielen Stellen endlich anläuft, gibt es eine weitere wichtige Hürde, die oft unterschätzt wird: Die fehlende Bereitschaft der Bürger*innen, dem Staat Informationen über sich preiszugeben. Ohne diese Daten lassen sich die enormen Potenziale zur Automatisierung und Beschleunigung der öffentlichen Verwaltung jedoch nicht nutzen.

Woher kommt diese skeptische Haltung der Bürgerinnen und Bürger ihrem Staat gegenüber, und wie lässt sie sich überwinden? Da Menschen in anderen Ländern weniger Probleme damit haben, ihre Daten weiterzugeben, liegt ein Teil der Antwort sicher in der Geschichte Deutschlands begründet. Während viele Menschen in den östlichen Bundesländern selbst erfahren haben, wie es ist, wenn ein Staat Informationen über seine Bevölkerung sammelt, um sie gegen sie zu verwenden, gibt es auch in den westlichen Bundesländern mit den 68ern eine kritische Generation, die dem Staat nicht per se vertraut. Dies gilt insbesondere dann, wenn man nicht weiß, wofür bestimmte Informationen notwendig sind und welchen Nutzen man selbst davon erwarten kann.

Das Vertrauen der Bevölkerung in die sichere Datennutzung durch den Staat ist allerdings eine wichtige Voraussetzung für die Hebung des Digitalisierungspotenzials. Dieses Vertrauen muss sich der Staat aber erst erarbeiten...

… oder er nimmt sich ein Beispiel an fragwürdigen Internet-Diensten und Apps, die mit Komfort, einfach zu nutzenden Angeboten und situationsangepassten Problemlösungen mit den Nutzer*innen den Deal schließen: »Ich helfe Dir jetzt einfach und schnell, wenn Du mir ein paar Informationen über Dich gibst, die ich auch für andere Zwecke verwenden darf.«

Kleine Mehrwerte und Benutzungskomfort scheinen ein extrem wirksames Mittel gegen Überwachungsangst und Datenschutzbedenken zu sein. Das sollte sich auch der Staat zunutze machen. Natürlich sollte er es nicht auf die gleiche Art und Weise tun wie so manche Social Media Plattform oder Taschenlampen-App, die sich Daten auf intransparente Weise erschleichen. Nein, er müsste auf Basis dieser Verhaltensmuster handeln, aber dabei gleichzeitig alle Datenschutz-Gesetze einhalten und noch übertreffen. Genau wie bei vielen Apps sollten die Nutzer*innen die Möglichkeit haben, der weiteren Verarbeitung und Wiederverwendung ihrer Informationen zustimmen zu können.

Wie wäre es, wenn in Zukunft jedes Formular eine Checkbox enthält, durch deren Ankreuzen man erlauben kann, dass die Daten weiterverwendet und auch an andere Ämter und Behörden weitergegeben werden dürfen? Sicher werden jetzt viele Leser aufschreien, dass dies dem Überwachungsstaat Tür und Tor öffnen würde. Deshalb sollte es als freiwilliges Opt-in-Verfahren realisiert werden - gern auch mit einer Unterauswahl der Behörden, an die die Daten weitergegeben werden dürfen. Wer das nicht möchte, füllt weiterhin regelmäßig lange Formulare aus, mit Daten, die er oder sie bereits mehrfach der gleichen oder anderen Institutionen mitgeteilt hat.

Diejenigen aber, die ihre Zustimmung zur Weiternutzung der Informationen erteilen, müssten dann eine völlig neue Dienstleitungsqualität erfahren. Indem sie die freigegebenen Daten proaktiv im Sinne der Bürger*innen nutzen und sich als kompetenter und effektiver Dienstleister etablierten, hätten Ämter und Behörden auf Bundes-, Landes oder kommunaler Ebene eine große Chance: Sie könnten sich das Vertrauen oder zumindest die Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer verdienen, indem sie die freigegebenen Daten proaktiv im Sinne der Bürger*innen verwenden und damit das Verhältnis von Staat und Bevölkerung nachhaltig positiv verändern. Sobald alle notwendigen Informationen vorhanden sind, könnten Behörden und Verwaltungen viele Prozesse automatisch in Gang setzen und die Bürger*innen nur noch über den Ablauf informieren:

»Frau Krüger, Sie erfüllen nun alle Anforderungen für Ihre Regelaltersrente. Sofern sie keine Einwände haben, veranlassen wir alles Nötige. Sie erhalten dann die erste Rentenzahlung Ende nächsten Monats.« Oder: »Familie Müller, Ihr Sohn Leon erreicht nächstes Jahr das Schulalter. In den folgenden drei Schulen in Ihrer Wohngegend sind noch Plätze frei. Bitte wählen Sie eine davon aus. Falls Sie andere Pläne haben, informieren Sie uns.«

Und das alles ohne Antragsformulare! Mit den vorhandenen Daten und der Erlaubnis, sie weiter nutzen zu dürfen, entfallen viele Antragsverfahren komplett und zusätzlich könnten den Bürgerinnen und Bürgern Leistungen angeboten werden, von denen sie noch gar nichts wussten. Damit würden bereitstehende Mittel, die heute oft nicht abgerufen werden, in Zukunft immer bei allen ankommen, die Anspruch darauf haben.

Die Menschen würden somit nicht mehr als Bittsteller*innen einer gigantischen Bürokratie gegenübertreten, sondern die ihnen zustehenden Leistungen automatisch erhalten. Viele öffentliche Verwaltungen könnten dann Ihre Rolle neu definieren und sich wieder darauf besinnen, den Bürger*innen zu dienen. Wie bei Online-Plattformen müssten die Behörden DSGVO-konform für Nutzer und Nutzerinnen natürlich auch Transparenz herstellen, d.h. ihnen Einblick darin gewähren, welche Informationen, aus welcher Quelle über sie gespeichert sind und ihnen auch erlauben, einzelne Informationen zu löschen.

Neben der Beschleunigung von Prozessen, der Einsparung von Ressourcen und der Verringerung von Fehlern, würde der Nebeneffekt eintreten, dass die Menschen durch den unmittelbaren Nutzen wieder mehr Vertrauen zu Staat und Behörden entwickeln würden. Auch ein Rückgang der Politikverdrossenheit und damit eine der Stärkung unserer Demokratie könnte die Folge sein, wenn Menschen merken: »Der Staat arbeitet nicht gegen Dich, sondern ist auf Deiner Seite und dient Dir.«

Das alles funktioniert natürlich nur mit modernen IT-Systemen in allen Behörden, die zuverlässig Daten über offene, standardisierte und sichere Schnittstellen austauschen können. Dafür muss sich die IT auch in der öffentlichen Verwaltung von einer vernachlässigten Verwaltungsinfrastruktur zu einem Innovationstreiber für Dienstleistungen wandeln. Mit der Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes ist ein erster Anfang für die Verwaltungsmodernisierung gemacht, aber Deutschland hat viel aufzuholen – sowohl auf technischer als auch auf der Vertrauensebene.

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Thomas Bendig
  • arbeitete vormals beim Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, ist jetzt jedoch nicht mehr bei uns tätig.
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