Auch wer gut mit Strom versorgt ist, könnte im Winter bald frieren. Denn im Winter nutzen die Deutschen überwiegend die Gasverbrennung, um zu heizen. Wer also nur mit Gas gut versorgt ist, kommt mit seinem Elektroauto nicht weit. Und selbst wenn genügend Energie vorhanden ist: Es muss die »richtige« Energie sein. Daher soll unsere Energieversorgung künftig übergreifend geplant und genutzt werden. Kapazitäten aus einem Sektor sollen dann auch für andere Sektoren genutzt werden können. Denis Uecker vom Fraunhofer IESE erklärt die Entwicklung hin zu einer intelligenten Sektorenkopplung.  

Hallo Herr Uecker. Wir brauchen Energie – möglichst klimaverträglich erzeugt und immer genau dort, wo sie gerade benötigt wird. Allerdings scheint es, dass viele Verantwortliche Energie nicht als den einen »Rohstoff« sehen, sondern nach drei verschiedenen Energien suchen: Dem Strom für Industrie und Haushalte, der Wärmeenergie und der Energie, die uns eine möglichst uneingeschränkte Mobilität ermöglicht.  

Ich will nicht behaupten, dass dieser Ansatz falsch ist. Aber es wird immer wichtiger, an eine Form der Energieversorgung zu denken, die alle drei Sektoren abdeckt. Gerade in der aktuell zweiten Phase der Energiewende kommt der engmaschigen Verknüpfung der verschiedenen Energiesektoren eine zunehmende Bedeutung zu, denn sie eröffnet neue Chancen für die Versorgung. Erneuerbarer Strom etwa könnte verstärkt jene Sektoren versorgen, die heutzutage vorrangig fossile Energieträger einsetzen – allen voran die Wärmeerzeugung in Quartieren mithilfe von Wärmepumpen. Aber das ist nur ein Beispiel für die Vorteile, wenn wir bislang einzelne geplante energetische Anwendungsbereiche integrativ betrachten. Durch die Umwandlung von einem Sektor in den nächsten können wir Speichereffekte oder Flexibilitäten nutzen, die vorher schlicht nicht vorhanden waren. 

Überproduktionen an Strom könnten so anderen Sektoren zur Verfügung gestellt werden, statt – wie bislang noch – zum Teil wenig effizient verbraucht zu werden, um die Netze zu entlasten?  

Richtig. Gerade im Strombereich gibt es durch den Einsatz erneuerbarer Energiequellen eine Vielzahl von Steuerungs- und Überlastungsproblemen im Netz, die durch flexible Anlagen behoben werden könnten. Beispielsweise, wenn ihr Einsatz entweder zeitlich verzögert wird oder aber die Lasten verschoben werden. Die Umsetzung in der Fläche ist allerdings hochkomplex. In unserem Projekt »Open-Data-basierte Planungswerkzeuge für die Sektor-übergreifende Energieversorgung mittels offener, integrierter IKT-Ökosysteme«, kurz: ODH@Jülich, fokussieren wir uns deshalb auf Quartiere. Dazu können wenige Straßenzüge ebenso gehören wie umfassendere Neubaugebiete. Für sie soll eine Plattform mit einem breit gefächerten Angebot an Tools entstehen, auf die nicht nur Quartiersplaner, Wohnungsbauunternehmen oder Stadtwerke, sondern auch Mieter*innen Zugriff haben sollen, wenn sie sich beispielsweise an einem Mieter- und Mieterinnenstrommodell beteiligen.  

Wobei es in diesem Forschungsprojekt ja nicht nur darum geht, qualifizierte Werkzeuge zu eruieren und zur Verfügung zu stellen? Sie und ihr Team gehen noch einen Schritt weiter und arbeiten an Simulationen. 

Im Grunde sind das zwei Seiten derselben Medaille. Denn die Tools, die wir auf der Plattform anbieten wollen, brauchen natürlich auch eine Datengrundlage, auf die sie zurückgreifen können. Deshalb soll die Plattform auch genutzt werden, um dort beispielsweise Planungsdaten zu hinterlegen, die dann für Modellrechnungen eingesetzt werden können. 

Oberfläche des Portals, in dem bereits erste Tools integriert sind. Bild: Fraunhofer IESE

Bei einem Prototypen des Portals, den Sie im Sommer auf der E-World in Essen vorgestellt haben, sind bereits erste Tools integriert. Dazu gehören ein Betriebstool zur zentralen Steuerung des Ressourceneinsatzes, ein Bedarfstool zur Abschätzung lokal scharf begrenzter Bedarfe an Wärme, Kälte und Strom oder ein Tool zur Planabschätzung, damit Quartiersplaner*innen die Entwicklung der Bedarfe besser kalkulieren können. So wichtig derartige Werkzeuge sind: Es gibt sie bereits auch von anderen Entwickler*innen? 

Nein, nicht in dieser Form. Denn weil wir parallel dazu auch Forschung und Entwicklung betreiben, werden immer neue Erfahrungen in diese Tools integriert. Sie tragen so zu einer deutlichen und beständigen Optimierung der Plattform bei. Vor allem aber wird die Plattform Grundlage sein für ein Digitales Ökosystem, in dem verschiedene, qualifizierte Anbieter*innen ihr Tool vorstellen können.  

Der Mehrwert ist also offensichtlich!

Denken Sie beispielsweise an unser Bedarfstool: Hier wird die Bewohnerstruktur eines Quartiers in den jeweiligen Strom- und Wärmebedarf umgerechnet. Und das geschieht deutlich genauer als bei Standard-Lastprofilen, denn das Tool berücksichtigt unter anderem auch, dass Rentner und Rentnerinnen einen anderen Wärmebedarf haben als ein junger Single-Haushalt. All diese gewonnenen Daten können in einen Digitalen Zwilling weitergegeben werden, um die Ergebnisse dann in einem Folge-Tool weiterzuverarbeiten. 

Die Entwicklung und die Funktionalität dieses Digitalen Zwillings gehört zu den Hauptaufgaben des Fraunhofer IESE … 

… unsere Aufgaben gehen deutlich darüber hinaus. Beispielsweise arbeiten wir auch an Antworten zu der Frage, wie dieses Ökosystem wirtschaftlich tragfähig ausgebaut werden kann. Ein anderer Aspekt ist die technische Seite: Wie also muss das Engineering der Plattform aussehen? Beispielsweise, dass Digitale Zwillinge funktionieren und der Datenschutz gewährleistet ist. Und für welches Tool müssen wir welche Schnittstellen vorhalten? Für all diese Fragen finden wir am Fraunhofer IESE die passende Antwort.  

Spüren Sie im Moment eine Art »Erfolgsdruck«, weil wegen der Klimakrise grundlegende Maßnahmen wie die Sektorenkopplung deutlich stärker in den Fokus gerückt sind?  

Das Interesse hat angezogen, bleibt aber trotzdem noch eher zurückhaltend. In Bezug auf die Sektorenkopplung registrieren wir noch eher folgende Haltung: »So langsam sollte man da mal ran und sich grundlegend informieren.«  

Dann versuche ich es mal mit dem Druck: Wo steht die Sektorenkopplung im Jahr 2025 und welchen Beitrag hat das Projekt ODH@Jülich dafür geleistet?  

Wir werden definitiv über funktionierende Tools verfügen, die die Effizienz von Sektorenkopplungen je nach Quartier darstellen, die Optimierungsmöglichkeiten modellieren und eine voll automatisierte Steuerung nutzen können. Konkret bedeutet das, dass wir beispielsweise in Bezug auf die Energieplanung Fahrpläne generieren können, wie die jeweiligen Anlagen gesteuert werden sollen.  

(bet) 

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Denis Uecker 
  • Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE
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