Weht der Wind kräftig oder steht die Sonne am Zenit läuft die regenerative Stromerzeugung zur Hochform auf. Aber nur dann, denn der Stromertrag ist hochvolatil. Und er muss verstärkt dann genutzt werden, wenn die Produktion hoch ist. Um das Stromangebot und die Stromnachfrage besser miteinander in Einklang zu bringen, müssen Erzeugungsanlagen, Versorgungsnetze und verbrauchende Maschinen und Geräte so intelligent vernetzt sein, dass sie neuen und kommenden Anforderungen genügen. Der 5G-Funkstandard bietet eine vielversprechende Grundlage dafür.

Fast die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms stammt inzwischen aus erneuerbarer Energie. Den Grünstrom liefern vor allem Wind und Sonne – zumindest, wenn das Wetter passt. Wenn nicht, wie am 08.08.2022 um sechs Uhr morgens, können die Erneuerbaren nicht einmal zehn Prozent des Strombedarfs der Deutschen decken. Zwei Monate zuvor dagegen, am 06. Juni desselben Jahres, lieferten allein die regenerativen Erzeugungsanlagen um die Mittagszeit fast zwanzig Prozent mehr Strom, als zur gleichen Zeit hierzulande verbraucht wurde – die Leistung aus den konventionellen Kraftwerken kam zu dieser Überproduktion noch hinzu. Die Beispiele verdeutlichen, wie wichtig es einerseits ist, die Erzeugungskapazitäten der erneuerbaren Energien weiter massiv auszubauen. »Andererseits führt genau das zu einer Entwicklung, bei der die Erneuerbaren immer häufiger in noch viel größerem Umfang Strom produzieren, für den unser Energiesystem nicht ausgelegt ist«, betont Dr. Paulo Renato da Costa Mendes vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM. Mit anderen Worten: Der überschüssige Strom muss dann letztlich »verschwendet« werden. Dabei ist jedes Megawatt essenziell. Denn regenerativ erzeugter Strom wird nicht nur für die Stromwende gebraucht. Er muss zunehmend auch fossile Energieträger bei der Mobilität und in den Haushalten ersetzen, um die angestrebte Verkehrs- und Wärmewende auch tatsächlich zuwege zu bringen.

An und für sich aber ist es egal, ob der Strom für Produktionsbänder, Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen genutzt wird. Das Grünstromangebot und der Verbrauch müssen deutlich besser miteinander verzahnt werden als das heute der Fall ist. Eine umfassende Vernetzung muss jedes Windrad und jede PV-Anlage, die deutschlandweit Strom erzeugt, mit einbeziehen und alle Stromabnahmestellen in Haushalten, Unternehmen und Kommunen intelligent versorgen: Von der Wallbox-Ladestation über Heizung und Klimatisierung der Gebäude bis zu einzelnen Geräten wie Kühlanlagen, Prozesswärme für die Industrie oder den Warmwasserspeicher und die Waschmaschine in Wohnung oder Eigenheim - je nach Angebot, Dringlichkeit und Bedarf. Und als Königsweg dafür gelten dezentral angelegte Steuerungskonzepte.
»Die Verknüpfung und Steuerung zwischen Stromangebot und -verbrauch sollte lokal über das Stromnetz einer Stadt, einer Gemeinde oder einer Region betrieben werden«, empfiehlt Mendes. Im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekt »5Gain – 5G Infrastrukturen für zellulare Energiesysteme mit KI« entwickeln und erproben Wissenschaftler vom Fraunhofer ITWM deshalb gemeinsam mit Partnerorganisationen aus Forschung, Industrie und der Energiewirtschaft Ansätze, wie solch ein intelligent und weitgehend automatisiert gesteuertes Energie-Kooperationsnetz bestmöglich und zügig verwirklicht werden kann.

Unterteilung des Stromnetzes in lokale Energiezellen

Grundlegendes Element des 5Gain-Konzepts ist das Clustern des Stromnetzes. Wie groß die einzelnen Zellen sein können, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab. Zum Beispiel von der Dichte und Zusammensetzung eines Siedlungsgebietes oder dem Umfang und der Komplexität der Stromnetze. Die geplante, zellulare Struktur birgt nach Ansicht der Wissenschaftler gleich mehrere Vorteile: Sie gewährleistet, dass möglichst viel Grünstrom dezentral vor Ort eingesetzt wird - so werden Transportwege eingespart und damit der Ausbaubedarf des Stromnetzes insgesamt möglichst geringgehalten. Die Netzzellen erhöhen zudem die Übersichtlichkeit vor Ort - die Anzahl von Erzeugungsanlagen und Stromverbrauchsstellen je Cluster wird überschaubar.
»Die Energieflüsse so zu steuern, dass die Netzstabilität zu jeder Zeit aufrechterhalten bleibt, ist zwar auch auf dieser Ebene eine vielschichtige Aufgabe. Im Gegensatz zu einem Energiemanagement in größerem räumlichem Umfang ist sie aber technisch und organisatorisch deutlich besser beherrschbar«, betont Mendes. Deshalb könne innerhalb jeder Netzzelle das Last- und Einspeisemanagement sowie die Vermarktung der flexibel steuerbaren Stromabnahme nun auch möglichst autark arbeiten. Die Forscher entwickeln dafür ein spezielles KI-System, das aus den Energieflüssen und Regelungsmöglichkeiten des lokalen Energiesystems lernt. Bei der KI werden zudem Methoden des Reinforcement Learning genutzt, um Strategien zur (immer besseren) Steuerung der Energieflüsse selbsttätig entwickeln, testen und bewerten zu lassen.

Sicher und zuverlässig vernetzt über 5G

Auch für die Vernetzung der Stromnetzakteure haben die Forscher ein neuartiges Konzept entwickelt und umgesetzt: Für die Anbindung der Anlagen zur Stromerzeugung und -abnahme verwenden sie eine Kommunikationsinfrastruktur auf der Basis des 5G-Funkstandards. »Mit den 5G-Gateways lassen sich nicht nur Stromzähler und Netzkomponenten ortsunabhängig und flexibel in das Kommunikationsnetzwerk einbinden, sondern direkt die Steuerungsschnittstelle jeder Einzelanlage - vom PV-Modul bis zu einer Ladesäule oder einem Haushaltsgerät«, erklärt Mendes. Für den Datenaustausch mit dem Netzmanagementsystem muss also weder ein eigenes Leitungsnetz verlegt werden noch muss ein Internetanschluss vor Ort vorhanden sein. Außerdem könne die 5G-Kommunikation die notwendigen Bandbreiten und Übertragungsgeschwindigkeiten bei gleichzeitig ausgesprochen geringen Latenzzeiten hochzuverlässig gewährleisten. Der Enabler dafür ist das »Network Slicing«. Dieses Verfahren ermöglicht es, die verfügbaren Funkfrequenzen in abgegrenzte Bereiche (Slices) aufzuteilen und dadurch definierte Funkverbindungen zwischen einzelnen 5G-Gateways exklusiv zu reservieren und zu nutzen.

Prognose-KI minimiert Bedarf an 5G-Ressourcen

Dank Network Slicing wäre zwar möglich, zu jeder angebundenen Einheit und zu jeder Zeit und mit der maximal benötigten Leistung eine exklusiv verfügbare 5G-Verbindung vorzuhalten. Das Funknetzwerk müsste nur entsprechend leistungsfähig ausgebaut werden. »Solch eine 5G-Infrastruktur jedoch würde nicht nur einen enormen Einrichtungsaufwand und hohe Kosten verursachen. Sie würde auch alles andere als effizient genutzt«, sagt Mendes. Denn ein intensiver Austausch von Daten und Steuerungssignalen zu vielen der 5G-Gateways ist nur phasenweise erforderlich, zum Beispiel zu Zeiten, in denen überschüssiger PV-Strom verfügbar ist. Den Rest der Zeit liege die der reservierte Teil der 5G-Infrastruktur vor Ort theoretisch brach.
Die Forscher am Fraunhofer ITWM haben deshalb eine Methode entwickelt, mit der sie auf exklusive Funkverbindungen nur dann zurückgreifen, wenn sie auch gebraucht werden. Den Rest der Zeit steht sie dann auch anderen Anwendungen zur Verfügung.
Dafür aber ist es notwendig zu wissen, wann eine sichere Funkverbindung bereitstehen muss. Hier hilft eine KI-basierte Prognosesoftware weiter, die Kommunikationsanforderungen innerhalb des 5G-Netzes zuverlässig prognostiziert. »Die Ergebnisse im Laborbetrieb haben gezeigt, dass wir damit den Bedarf an 5G-Ressourcen erheblich senken und dennoch sicherstellen können, dass die erforderlichen Kommunikationswege bedarfsgerecht und hochzuverlässig zur Verfügung stehen«, resümiert Mendes. Aktuell evaluieren die Forscher das 5Gain-Konzept mit Testinstallationen bei den Projektpartnern, unter anderem im 5G-Labor der Technischen Universität Dortmund und bei der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH.

(stw)

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