Das Ziel ist groß und umfangreich: In den kommenden Jahren soll eine leistungsfähige Gas-Infrastruktur die Versorgung der Bundesrepublik mit grünem Wasserstoff gewährleisten. Grundlage dafür ist das bestehende Erdgasnetz, das nun fit gemacht wird für den Transport gewaltiger Wasserstoffmengen und das Einspeisen von regional erzeugtem Wasserstoff. Im Leitprojekt TransHyDE hat das Fraunhofer SCAI die Aufgabe übernommen, die Ausbaustufen vorab zu modellieren. Die Simulationen erlauben es, von Anfang an die richtigen Maßnahmen einzuleiten und die einzelnen Projektabschnitte zügig umzusetzen.

Wir müssen die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen loswerden. So viel ist klar. Was wir aber weiter nutzen sollten und können, ist die Infrastruktur, die wir für Fahrzeuge oder auch Erdgas aufgebaut haben. Dass Straßen auch von Elektrofahrzeugen genutzt werden und nur die klassischen Tankstellen verschwinden, ist ebenso offensichtlich wie selbstverständlich. Wie aber steht es um die Infrastruktur beim Gas? Immerhin haben Fernleitungen und das eng vermaschte Gastransport- und Verteilungsnetz in Deutschland eine Länge von 511.000 Kilometern. Das ist deutlich mehr als die Strecke von der Erde zum Mond und vor allem: Es ist in Bezug auf eine intelligente Verteilung bereits optimiert. 

Geht es nach den Plänen der Partner*innen im Leitprojekt TransHyDE des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, sollen hier künftig statt Erdgas Gasgemische mit einem hohen Wasserstoffanteil (bis hin zu reinem Wasserstoff) fließen und – neben Strom aus erneuerbaren Energien – für eine nachhaltige energetische Versorgung von Industrie, Handwerk und Privathaushalten sorgen. Aber nicht nur das: Produktionsintensive Orte für Ökostrom, Windparks beispielsweise, könnten zusätzlich mit einem System für die Elektrolyse ausgestattet werden, um im Fall einer anstehenden Strom-Überproduktion vor Ort Wasserstoff zu gewinnen, statt (wie bislang) herabgeregelt zu werden. Der Wasserstoff würde dann in die Verteilung eingespeist. Er stünde temperaturintensiven Industrien oder auch Stadtwerken also zusätzlich zur Verfügung. »Bei Weitem wird nicht jede Kilowattstunde, die durch Windkraft erzeugt werden könnte, auch tatsächlich genutzt, weil eine zu hohe Produktion die Netze überlasten würde«, fasst Dr. Bernhard Klaaßen zusammen. »Wir könnten nun also etwas nutzen, was ansonsten verloren gegangen wäre.«

Aussagekräftige Simulationen

Klaaßen leitet eine Arbeitsgruppe am Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI, das bei TransHyDE vor allem für die Modellierung des sogenannten Transformationspfades zuständig ist. Letztlich bedeutet das nichts anderes, als die Möglichkeiten und Unzulänglichkeiten der einzelnen Ausbaustufen von ersten lokalen Netzen bis zum vollständigen Ausbau vorab zu modellieren. Ziel sind aussagekräftige Simulationen unter anderem in Bezug auf die Dynamik, Regelungsmechanismen und die Gaszusammensetzung vor Ort. So können die Expert*innen beispielsweise mögliche physikalisch-technische Probleme frühzeitig erkennen und die weitere Entwicklung anpassen. Das SCAI hat dafür ein Modellierungs- und Simulationssystem programmiert, das die Struktur der realen Gasnetzeigenschaften vor Ort abbildet. Andere Institute steuern Daten und Modelle mit weiteren Schwerpunkten bei. 

»Generell wissen wir schon heute, dass bei der Verteilung von Gas im bundesdeutschen Netz das Erdgas nicht einfach durch grünen Wasserstoff ersetzt werden kann. Denn Wasserstoff verhält sich physikalisch deutlich anders«, betont Klaaßen. Zudem gebe es zwei grundsätzliche Hürden, die beide allerdings überwindbar sind: Zum einen ist das Gasnetz in einer Region nicht unbedingt vergleichbar mit dem einer anderen Region. So wurden für die Pipelines bislang beispielsweise verschiedene Stahlsorten verwendet. Bei einigen dieser Sorten dürfte es beim Durchlass von Wasserstoff zu Versprödungseffekten kommen. Um Mikrorisse zu verhindern, müssen sie mit einer resistenten Innenhaut ausgerüstet werden. Und zum anderen fließt der Wasserstoff (wie Erdgas auch) nicht selbsttätig durch die Röhren. Deshalb nutzt das Gasnetz Verdichterstationen, also Turbinen, die den Brennstoff bis zur nächsten Station oder beispielsweise einem Stadtwerk weiterdrücken. Das Problem: Die bisher eingesetzten mehreren hundert Verdichterturbinen sind für die Weiterleitung von Wasserstoff ungeeignet und müssen peu à peu ausgetauscht werden. Das aber, so Klaaßen, ist weniger dramatisch, als es zunächst klingt. Denn die Turbinen müssen ohnehin in bestimmten Abständen ausgewechselt werden. Zudem können die Netzbetreiber auch einen Vorteil des bisherigen Erdgas-Netzes nutzen: Wegen der Bedeutung der Versorgung sind viele der Hauptstrecken redundant ausgelegt. Es gibt also über Hunderte von Kilometern eine zweite Leitung, die parallel zur bisherigen Leitung verlegt wurde und nun für die Phasen des Übergangs genutzt werden kann.

Impulsgeber für weitere Optimierungsschritte

»Wichtig für das Projekt ist es, dass wir in Prozessschritten denken, also uns zunächst auf einen oder mehrere kleine, überschaubare Abschnitte beschränken, um Erfahrungen zu sammeln und diese Erfahrungen dann in die weitere Modellierung einfließen zu lassen«, betont Klaaßen. Deshalb wollen die Expert*innen zunächst bei einigen hundert Kilometern beginnen und die Modellierung und das Ausarbeiten der Umsetzungspläne sukzessive ausweiten. Der Fokus liegt dabei auf mathematischen Modellen zur Berechnung des Druckverlustes durch den Leitungstransport über weite Strecken sowie den Limitierungen, also z.B. den möglichen Engstellen im jeweils betrachteten Teilnetz. Das so entstandene virtuelle Modell kann dann zum Impulsgeber für notwendige Optimierungsschritte werden. Genutzt werden sollen dafür immer wieder auch genauere Detailsimulierungen, um Einzelprobleme »unter der Lupe« zu identifizieren. 

Das dabei – neben der mathematisch-physikalischen Aufgabe – vor allem das Beschaffen der realen Daten und Entwicklungen vor Ort ein, so Klaaßen, »Riesenproblem« ist, scheint offensichtlich. Zu unterschiedlich sind die Variablen und Datenformate je nach Detailaufgabe und zu verschieden die nötigen Schnittstellen. Doch auch hier ist es den Projektverantwortlichen gelungen, Standards für die Daten vorzugeben und eine Art zentrales Datenverwaltungswerkzeug zu nutzen. 

Die Arbeit des Fraunhofer SCAI deckt nur einen Teilbereich des vieldimensionalen Leitprojekts TransHyDE ab. Insgesamt haben sich 85 Partner aus Industrie, Verbänden, Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie weitere 20 assoziierte Partner zusammengeschlossen. Die Wasserstoff-Leitprojekte bilden die bisher größte Forschungsinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Thema Energiewende. 

(aku)

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