Der Software EMS-EDM PROPHET® gelingt es, die umfassenden und differenzierten Arbeitsgebiete aller energiewirtschaftlich relevanten Beteiligten zu entlasten. Stromhändler, Stadtwerk, Netzbetreiber, Direktvermarkter und externer Dienstleister werden auf Grundlage aktueller gesetzlicher Vorgaben automatisch und umfassend in diesem komplexen Umfeld unterstützt. Beispielsweise durch Prognosen, dem Management von Zeitreihen und Bilanzkreisen, bei der Netznutzung oder durch Optimierung und Reporting. Im Interview erklärt Sven Möller vom Fraunhofer IOSB-AST den Einsatz des Energiemanagementsystems.

Hallo Herr Möller, die von Ihnen mitentwickelte Software hat einen vielversprechenden Namen: Mit EMS-EDM-PROPHET® spielen Sie aber vermutlich nicht auf die Verkündung prophetischer Botschaften an.

So ist es. Als Forscher am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST, interpretiere ich den Namen rational und sehe in den Prophezeiungen schlicht sehr genaue Vorhersagen, die durch unsere Software möglich werden.

Zumal es sich hier um einen sehr speziellen Propheten handeln müsste …

EMS-EDM PROPHET® ist ein modular aufgebautes Energiemanagement-System, dass eine Vielzahl von Aufgaben in der Energiewirtschaft zuverlässig übernehmen kann. Das Tool unterstützt das marktkonforme Arbeiten der Beteiligten nach regulatorischen Vorgaben der Bundesnetzagentur. Stromlieferanten gehören ebenso dazu wie Netzbetreiber, Bilanzkreisverantwortliche oder Messstellenbetreiber. Kernelement dabei ist neben dem flexiblen Zeitreihenmanagement die Vorhersage des Energiebedarfs. Als Energiehändler oder Lieferant wissen Sie also schon heute, wie viel Leistung Sie morgen zu welcher Tageszeit bereitstellen müssen. Durch ein großes Portfolio an spezialisierten Prognosemethoden für den Energiesektor können wir hier nahezu exakt arbeiten und sowohl im Kurz-, Mittel- und Langfristbereich sehr gute Ergebnisse erzielen. Auf dem Energiemarkt ist das von essentieller Bedeutung.

Dafür müssen Sie, beziehungsweise die Software, eine Fülle von Parametern berücksichtigen.

In der Regel kommt es dabei immer darauf an, was genau prognostiziert werden soll -also beispielsweise die Bedarfsgänge in der Strom-, Gas- oder Wärmeversorgung. Wir haben eine Vielzahl an Faktoren, die wir hier einbeziehen können und auch müssen. Dazu kommen die Unwägbarkeiten auf Seiten der erneuerbaren Einspeisungen der Solar- und Windkraftanlagen. Und wir müssen die Verbraucher*innen mit einkalkulieren. Sie spielen durch ihr verschiedenartiges Verhalten eine entscheidende Rolle für die Vorhersage. Dabei haben wir sowohl die herkömmlichen Abnehmer*innen des Industrie- und Haushaltsbereichs im Blick als auch die neuen Marktakteure und Technologien wie Speicher, Wärmepumpen und zunehmend auch Elektrofahrzeuge.

Es ist wichtig, die richtigen Muster zu erkennen?

Richtig. Denken Sie an den Gasverbrauch. Natürlich gibt es auch hier, wie bei allen Prognosen, Unsicherheiten. Es gibt aber eine Korrelation zwischen Außentemperatur und Verbrauch. Viele Heizungen arbeiten mit Gas. Wenn es kälter wird, schalten die Menschen ihre Heizungen an und der Gasverbrauch steigt. Unter Umständen spielen auch Wochen- und Tagesverlaufsmuster eine wichtige Rolle. Das Heizverhalten am Wochenende oder an Feiertagen unterscheidet sich von dem unter der Woche. Ein anderes Beispiel auf der Erzeugerseite ist die Prognose der fluktuierenden Einspeiseleistung von Photovoltaik-Anlagen: Hier sind die Abhängigkeiten ganz andere. Wann scheint wo die Sonne? Wie stark wirkt sich der Bedeckungsgrad aus? Welchen Einfluss hat die Globalstrahlung auf die Leistung der PV-Anlage? Exogene Einflussgrößen wie diese spielen bei Prognosen eine entscheidende Rolle. Sie beeinflussen das Ergebnis erheblich.

Sie können nur einen Teil der Erzeugeranlagen und der einzelnen Verbräuche erfassen oder arbeiten Sie mit Referenzen?

Im Prinzip können wir Messwerte von beliebig vielen Erzeugungsanlagen und Verbrauchern massendatentauglich in unserem System erfassen. Trotzdem macht es bei manchen Konstellationen Sinn, Cluster zu bilden. Wir können ein einzelnes Windrad als Referenzanlage abbilden und so die Leistung des zu dieser Anlage gehörenden Windparks berechnen. Allerdings ist es wichtig, dass wir uns genau ansehen, welche Anlagen als Referenz für ein bestimmtes Gebiet geeignet sind. Unter Umständen ist die Wettersituation wenige Kilometer weiter eine andere.

Ich nehme an, je länger wir in die Zukunft blicken wollen, desto unsicherer werden die Prognosen. Welchen Zeitraum schafft Ihr Tool?

Das stimmt. Es kommt dabei immer stark auf die zu prognostizierenden Anlagen und deren jeweilige Einflussgrößen und -faktoren an. Grundsätzlich können wir mit unseren Prognosen sowohl im kurzfristigen Bereich bis zu einem Tag, als auch mittelfristig bis zu zehn Tagen und langfristig je nach Datenlage ein bis zwei Jahre in die Zukunft schauen und dabei sehr gute Ergebnisse bereitstellen. 100 Prozent Prognosegenauigkeit sind aufgrund der zugrundeliegenden stochastischen Prozesscharakteristik nicht möglich. Aber wir spielen mit unseren neu entwickelten Modellen ganz vorne mit.

Wie beherrschen Sie die Komplexitäten?

Im Kern basieren unsere Prognosen wie auch unsere Optimierung in EMS-EDM PROPHET® auf mathematischen Modellen. Je mehr Rahmenbedingungen in den Modellen erfasst werden, umso komplexer werden die Berechnungen und umso länger dauert es, bis ein Ergebnis vorliegt. Wir nehmen deshalb bei der Berechnung Vereinfachungen vor, um auch in einem kurzen Zeitraum sehr gute Ergebnisse erreichen zu können. Neben den mathematischen und hardwaretechnischen Grenzen können wir auch die zu verarbeitende Datenmenge einschränken. Dafür begrenzen wir die Datenfülle durch geeignete Zuordnungen innerhalb des Systems so, dass nur notwendige Messwerte für Berechnungen bereitstehen. So können beispielsweise Erzeuger und Verbraucher*innen ihrer Regelzone, ihrem Bilanzierungsgebiet und den jeweiligen Bilanzkreisen zugeordnet werden, um Einschränkungen vorzunehmen. Somit sind für die Software selbst sehr große und deutschlandweit verteilte Bereiche über alle vier in Deutschland festgelegten Regelzonen kein Problem. Es können daher alle Marktakteure mit EMS-EDM PROPHET® deutschlandweit innerhalb des liberalisierten Energiemarktes hoch automatisiert und einfach arbeiten.

Um immer besser zu werden, nutzen Sie selbstlernende Systeme.

Wir nutzen neben einfachen Modellansätzen auch sehr komplexe Modelle, die auf Basis von Künstlich Neuronalen Netzen selbstlernende Eigenschaften besitzen. Dazu trainieren wir die Methoden mit Erfahrungswerten, also mit historischen Daten, um sowohl die eigentliche Prognosegröße sowie alle exogenen Einflussgrößen auf einer möglichst breiten Datengrundlage dem Modell zur Verfügung zu stellen. Durch die selbstlernenden Eigenschaften ist die Prognose in der Lage, sich auch auf neue Ereignisse automatisch einzustellen und ermöglicht je nach Art und Rahmenbedingungen Vorhersagegenauigkeiten um 95 Prozent.

Wobei Sie nicht nur mit informationellen Erfahrungen arbeiten, sondern auch konkret mit dem Forschungs-Know-how, dass ihre Kolleg*innen und Sie am Fraunhofer IOSB-AST in den vergangenen Jahrzehnten erworben haben.

Wir verfügen hier am Fraunhofer IOSB-AST in der Tat über ein breites Spektrum an Expert*innenwissen. Es kommt uns und vor allem natürlich den Anwender*innen der Software zugute, dass wir diese Erfahrungen und Erkenntnisse mit in die Weiterentwicklung einfließen lassen können. So entstehen beispielsweise neue und spezialisierte Prognosemethoden die auf Basis aktueller Forschungsergebnisse aus der Prototypenphase in die Software überführt werden können.

Neben dem Herzstück, der Prognosefähigkeit von EMS-EDM PROPHET®, soll die Software auch eine Vielzahl weiterer Funktionen bereithalten, die je nach Funktion des oder der Marktakteure genutzt werden.

Das System ist modular aufgebaut und bietet damit die Möglichkeit, sehr individuell und einfach auf die Bedürfnisse unserer Kund*innen angepasst zu werden. Im Kern der Anwendung liegt ein Zeitreihenmanagement. Es steht für alle andockbaren Module zur Verfügung und stellt die Datengrundlage bereit. Die Anwender*innen können also eine Vielzahl an Zeitreihen unterschiedlichster Dimensionen hinsichtlich der Abtastzeit und der Maßeinheiten verwalten. Diese Zeitreihen können über verschiedenste Mechanismen analysiert, interpretiert und verarbeitet werden. Dazu gehören Plausibilitätsprüfungen, Prognoseverfahren, Ersatzwertbildungsverfahren, Mathematik- und Visualisierungsfunktionen. Die von uns zur Verfügung gestellten verschiedenen Module erfüllen dann unter anderem die marktrollen-spezifischen Aufgaben, also beispielsweise für Messstellen- und Netzbetreiber sowie für Lieferanten und Bilanzkreisverantwortliche, welche durch die Bundesnetzagentur vorgeschrieben sind. All dies geschieht auf Wunsch vollautomatisch über ein separates Automatisierungsmodul. Damit können selbst komplexe zeitlich aufeinander abgestimmte Prozesse und Aufgaben der einzelnen Marktakteure durch unser System zu einem Großteil übernommen und auch individuell angepasst werden. Last but not least, ist noch unser Optimierungsmodul zu nennen. Es beschäftigt sich im Kern mit der Aufgabe, Erzeugungsanlagen in komplexen Systemen optimal in ihrem Betrieb auszusteuern. Dazu werden Fahrpläne für einzelne Anlagen erzeugt, die je nach angestrebtem Optimierungsziel wie beispielsweise CO2-Neutralität, Querverbundoptimierung, Vermeidung von Lastspitzen oder Kostenoptimal zu unterschiedlichen Zeiten am Markt agieren.

EMS-EDM-PROPHET® ist bereits im Einsatz?

Die Software ist marktreif und produktiv bei Industriekunden europaweit im Einsatz. Sie wird über uns, das Fraunhofer IOSB-AST angeboten und wird gegebenenfalls an die kundenindividuellen Wünsche angepasst. Sie kann aufgabenbezogen über unser Lizenzmodell flexibel konfiguriert und erworben werden. Die Referenzen und Nachfrage sind mittlerweile beachtlich. Die Software kommt dabei nicht nur bei etablierten Versorgungsunternehmen, wie beispielsweise der TenneT TSO GmbH, der Stadtwerke Erfurt Gruppe GmbH, der EINS – Energie in Sachsen GmbH & Co. KG, der Thüringer Energie AG, der N-ERGIE AG oder den Stadtwerken Bielefeld GmbH, um nur einige zu nennen, zum Einsatz. Sondern auch im Rahmen von Forschungsprojekten ist EMS-EDM PROPHET® ein fundamentaler Teil innerhalb eines noch zu entwickelnden komplexen IKT-Ökosystems. Im Umfeld von Forschungsfragen sind wir als Partner beispielsweise beim Sortimo Innovationspark Zusmarshausen an der A8, einer der größten Schnellladestandorte mit über 140 Landestationen und in weiteren Open District Hub (ODH) Projekten als Fraunhofer IOSB-AST mit an Bord. Darüber hinaus arbeiten wir mit unserer langjährigen Expertise an vielen weiteren Forschungsprojekten mit und haben dabei, neben den wichtigen Forschungsaufgaben, eben auch die Weiterentwicklung der Software fortlaufend im Blick. Dabei sehen wir gerade im Quartiersbereich noch sehr viel Potential was die intelligenten Managementsysteme angeht, um den optimalen Nutzen von Erzeugung und Verbrauch noch besser zu gewährleisten und damit entscheidend bei der Gestaltung der Energiewende und der CO2-Reduzierung im Gebäudebestand mitwirken zu können.

(hen)

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Interviewpartner
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Sven Möller
  • Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB
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