Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM beweist, dass Mathematik für die Wirtschaft unumgänglich ist. Seit 25 Jahren unterstützen die Mitarbeiter*innen Industriepartner und Unternehmen bei der Beratung und Umsetzung verschiedener Projekte unter anderem in den Bereichen Automotive, Medizin, High Performance Computing und Finanzen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf mathematisch basierten Modellierungen, Simulationen und Optimierungen. Mittlerweile zählt das Fraunhofer ITWM zu den größten mathematischen Forschungsinstituten weltweit.

Prof. Dr. Anita Schöbel Bild: bearbeitet von Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, Bild von Fraunhofer ITWM

Frau Professor Schöbel, Sie sind seit 2019 Leiterin des Fraunhofer ITWM. Mussten Sie sich damals komplett neu in die Infrastrukturen einarbeiten? Auf welche Herausforderungen sind Sie gestoßen?

Ich hatte schon 1998/99 am ITWM gearbeitet und den wissenschaftlichen Kontakt nach meinem Wechsel an die Universität Göttingen nie abreißen lassen. Die Strukturen und Inhalte waren mir also nicht gänzlich neu. Trotzdem war es eine große Umstellung, die Leitung eines Fraunhofer-Instituts zu übernehmen.  Es ist viel Arbeit, aber spannend! Ich habe versucht, möglichst viele Projekte kennenzulernen. Mathematik ist viel facettenreicher, als man sich das vorstellt und es ist großartig zu sehen, wo überall mathematische Methoden zum Einsatz kommen.

Sie waren vorher Professorin an der Universität Göttingen. Was hat Sie bewogen, die Leitung des Fraunhofer ITWM zu übernehmen?

Schon immer hatte ich viel Spaß am Transfer von Mathematik in die Praxis und wollte mathematische Methoden in relevante Anwendungsprojekte einbringen. Genau das passiert am ITWM seit vielen Jahren und zwar sehr erfolgreich. Außerdem war das Umfeld an der TU Kaiserslautern für mich attraktiv – und die Umstände günstig: Meine Kinder waren aus dem Haus und ich kannte die Pfalz von früher, darum habe mich über die Möglichkeit gefreut, hierher zurückzukommen.

Wenn man Ihren Lebenslauf anschaut, wirkt alles sehr zielgerichtet. Hatten Sie den akademischen Pfad immer in Auge?

Nein, tatsächlich überhaupt nicht. Das hat sich erst mit der Zeit ergeben. Am Anfang hatte ich verschiedene Studienfächer in Erwägung gezogen und mich eher knapp für Mathematik entschieden. Diese Entscheidung habe ich nie bereut. Eigentlich hatte ich auch nicht geplant, zu promovieren. Mir hat das Studium aber so viel Spaß gemacht, dass ich noch weiter an der Uni geblieben bin.  Nach der Promotion hatte ich zunächst immer noch keine akademische Karriere geplant, sondern war erst am ITWM.  Obwohl mir praktische Projekte damals schon Spaß gemacht hatten, habe ich mich dann doch für die Forschung entschieden, weil ich Mathematik besser verstehen wollte.

Wie stellen Sie sich die Zukunft des Instituts vor?

Unser Motto ist »Mathematik für eine gute Zukunft« und das möchte ich mit dem ITWM weiter verwirklichen. Ich stelle mir vor, dass wir unsere Methoden erfolgreich in praktisch relevanten Projekten einsetzen, zum Erreichen wirtschaftlicher, aber auch gesellschaftlicher Ziele. Dabei erweitern wir unser methodisches Portfolio, nutzen neue wissenschaftliche Erkenntnisse und entwickeln sie weiter.  Wir haben schon jetzt viele Projekte im Bereich KI, wir arbeiten am Quantencomputing und haben Visionen für das Next Generation Computing. Ganz wichtig dabei sind unsere Mitarbeitenden, ihr Engagement und ihre Begeisterung. Das gute und vertrauensvolle Miteinander hat die Corona-Krise überstanden und wird hoffentlich auch in Zukunft erhalten bleiben. 

Steffen Grützner Bild: bearbeitet von Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, Bild von Fraunhofer ITWM

Herr Grützner, Sie sind bereits seit 25 Jahren, also von Anfang an, am Fraunhofer ITWM tätig. Welche Entwicklungen hat das Institut seitdem durchlaufen?

Eine hervorragende Entwicklung! Wir haben 1996 mit drei Kernabteilungen begonnen, die vorher als Gruppen am Zentrum für Techno- und Wirtschaftsmathematik der TU Kaiserslautern existierten. Das waren damals Transportvorgänge, Berechnung-Visualisierung-Bildverarbeitung und Adaptive Systeme. Im Laufe der Zeit sind weitere hinzugekommen und inzwischen haben wir insgesamt neun Abteilungen. Das breite thematische Spektrum, das wir mittlerweile abdecken, ist dem Wachstum unseres Instituts geschuldet und orientiert sich natürlich am Bedarf unserer Kund*innen.

Sie haben die Leitung der Kommunikation am ITWM inne. Was waren hier im Laufe der Jahre die größten Herausforderungen?

Am Anfang gab es noch Skepsis, ob die Techno- und Wirtschaftsmathematik das Potenzial hat, ein wirtschaftlich valides Fraunhofer-Institut hervorzubringen. Wir mussten zunächst viel Überzeugungsarbeit leisten, inzwischen hat sich das Vertrauen in die Industriemathematik aber etabliert.

Grundsätzlich haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, Kund*innen mit unserem Mathe-Knowhow in konkreten Fragestellungen zu unterstützen. Mittlerweile haben wir gezeigt, dass man mit einem mathematischen Ansatz Produkte und Prozesse analysieren, modellieren, visualisieren und vor allem optimieren kann. Wenn wir mit derartigen Erfolgen an die Öffentlichkeit treten, entsteht ein gewisser Aha-Effekt: Die Leute stellen fest, dass wir nicht im Elfenbeinturm mit unseren mathematischen Formeln hantieren, sondern konkrete Anwendungen für die Praxis entwickeln.

Sie selbst sind auch Mathematiker. Warum haben Sie sich entschieden, in die Kommunikation zu gehen? Wie ist es für Sie, in dem Berufsfeld zu arbeiten?

Ich fand den Ansatz spannend, Mathematik in der Wirtschaft anzuwenden. An der Kommunikationsarbeit selbst begeistert mich vor allem der Kontakt mit den Kund*innen. Unser Team übersetzt Mathematik für Nicht-Mathematiker und zeigt auch ihnen, was Mathematik kann. Auch, weil unsere Themen so tiefgehend und vielseitig sind. Wir haben hier eine Abteilung für die Fahrzeugindustrie, eine für Optimierung, eine für Finanzmathematik, eine für High Performance Computing und so weiter. Es gibt nichts, was wir nicht machen. Man könnte auch sagen: »Mathe ist überall«.

Außerdem ist mir die Neugierde gegenüber Kund*innen wichtig. Welche konkreten Probleme haben sie? Denn dann ist die nächste Frage: Wie können wir als ITWM helfen? Wenn ich über eine Industriemesse gehe, komme ich mir manchmal vor wie im Schlaraffenland, weil ich mir dauernd denke: Da könnte das ITWM aber helfen.

Paula Harder Bild: bearbeitet von Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, Bild von Fraunhofer ITWM

Frau Harder, Sie schreiben derzeit an Ihrer Doktorarbeit über Klimamodelle. Was ist Ihnen an Ihrer Arbeit am Fraunhofer ITWM besonders wichtig?

Besonders wichtig ist es mir, aktiv etwas für die Umwelt zu tun. Deswegen war es schon immer mein Traum, Mathematik in der Klimaforschung anzuwenden. Mir liegt es sehr am Herzen, bei der Arbeit das Gefühl zu haben, etwas Gutes und Sinnvolles zu tun. Das Fraunhofer ITWM macht ohnehin schon sehr viel im Bereich ML und auch im Bereich erneuerbare Energien. Und ich bin hier sozusagen als Pionierin - ich bin die Erste, die mit dem Thema hier startet, um so einen Fuß in die Tür der Klimaforschung zu kriegen.

Sie haben vorher Mathematik in Tübingen studiert. Haben sich Synergien aus dem Studium und Ihrer Arbeit am Fraunhofer ITWM ergeben?

Ja, auf jeden Fall - ich mache hauptsächlich Maschine Learning und das hat sehr viel Mathe in sich, besonders Numerik, aber auch Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Ich hatte auch eine sehr mathematische Machine Learning Vorlesung. Das hilft sehr nach der Studienzeit. Das hilft beim Paper lesen und das hilft, wenn man sich einen neuen Algorithmus aneignet und den programmieren will. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Hintergrund habe.

Wie sind Sie darauf gekommen, nach dem Studium einer Doktorarbeit am Fraunhofer ITWM nachzugehen?

Ich habe nach dem Studium erst als Entwicklungsingenieurin gearbeitet und das habe ich sehr gerne gemacht. Ich hatte aber immer im Hinterkopf, noch zu promovieren. Nach dem Studium war mein Horizont aber noch etwas beschränkt. Ich dachte, Promotion ist gleichbedeutend mit theoretischer Mathematik. Mathe hat mir zwar wahnsinnig Spaß gemacht, aber ich wollte mehr in die Anwendung und ich dachte: »Dann lieber erst mal was Praktisches. « Es hat erst mal Zeit gebraucht, damit mir klar wurde, dass es auch so großartige Dinge wie das Fraunhofer-Institut gibt, bei denen ich einerseits meinen mathematischen Hintergrund einbringen kann, aber andererseits auch anwendungsorientiert promovieren kann. Und eine Stelle, bei der ich Machine Learning kombiniert mit Klimaforschung habe ist einfach ideal. Das war einfach das, was ich wollte.

Sascha Feth Bild: bearbeitet von Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, Bild von Fraunhofer ITWM

Als Forscher am Fraunhofer ITWM beschäftigen Sie sich vor allem mit Projekten zu mathematischer Statistik. Was fasziniert sie an der Thematik?

Der große Aha-Effekt kam bei mir in der Schule. In Stochastik wurde uns eine Übungsaufgabe gestellt: »Ein Buch mit 100 Seiten hat 10 Seiten, in denen kein einziger Fehler ist. Wie viele Fehler sind insgesamt im Buch?«. Ich dachte, das kann man nicht beantworten. Schließlich weiß man nicht, wie viele Fehler auf den anderen Seiten sind. Aber es gibt statische Verteilungen, mit denen man die Häufigkeit seltener Ereignisse einschätzen kann, dann muss man nur wissen, wie viele Seiten fehlerhaft sind, um vorherzusagen, wie viele Fehler es insgesamt gibt. Dass man mit scheinbar unvollständiger Datenlage so eine Wissenslücke schließen kann, hat mich umgehauen.

Und dann haben sie sogar einen Blog und einen Podcast dazu gemacht.

Das kam über Umwege. Wir arbeiten am Fraunhofer ITWM viel mit Ingenieur*innen zusammen. Die haben eine starke Matheausbildung, aber lernen wenig über Statistik. Statistik brauchen sie dann aber, wenn sie sich mit Zuverlässigkeit und Qualitätssicherung beschäftigen. 

Deswegen bieten wir Ingenieur*innen Weiterbildungsveranstaltungen in Statistik an. Dort kommen immer wieder Fragen auf, die man mit einem Formelerguss an der Tafel abfertigen könnte. Oder man erklärt das Konzept eben vernünftig. Dann sagen wir: »Vergessen Sie mal ihre Bauteile und die Produktionsprozesse. Gehen Sie gedanklich auf den Jahrmarkt an die Losbude. Wie finden wir raus, ob ein Losbudenbetreiber betrügt? Wie viele Lose müssen wir dafür ziehen?« Sobald das klar ist, verstehen die Leute auch, wie viele Bauteile sie prüfen müssen. Nachdem wir das Jahr für Jahr gemacht haben, dachte ich, wir müssen dieses Wissen allen zur Verfügung stellen. So hat der Blog begonnen.

Sie arbeiten neben Ihrer Tätigkeit als Forscher auch als Personal Trainer. Welche Synergien ergeben sich aus ihren Erfahrungen in den beiden Berufen?

Ich habe das als reinen Ausgleich gestartet, sodass ich mich neben diesen sitzenden Tätigkeiten auch noch bewegen kann. Früher bin ich immer viel gelaufen und das war vor allem zu Promotionszeiten ein sehr schöner Zeitpunkt, um nachzudenken und auf Ideen zu kommen. Aber der wichtigste Punkt für mich war, dass ich vieles über Selbstorganisation lernen musste, um Forschung und meine Tätigkeit als Personal Trainer unter einen Hut zu bringen. Die Selbstorganisation, die man lernt, wenn man nebenberuflich was macht, überträgt sich immer in den Beruf.

(che)

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Ilka Blauth
  • Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM
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