Die Geschichte der Informations- und Kommunikationstechnik (IUK) in der Fraunhofer-Gesellschaft ist von Beginn an von den Anwendungsgebieten in der Industrie geprägt. Schon früh bedienten sich immer mehr Fraunhofer-Institute pragmatisch der Komponenten, die in der Grundlagenforschung entwickelt wurden, mussten aber Systemlösungen liefern, die weit über das hinausgingen, was die Informatik liefern konnte. In der Verbindung von IUK mit Mikroelektronik, Produktions-, Nachrichten-, Werkstoff- und Medizintechnik entstand eine Fülle von neuen Technologien und Systemen, die den digitalen Wandel in vielen weiteren Branchen befeuerten.

Heute sprechen alle ganz selbstverständlich von der Digitalen Transformation, die alle Lebenswelten und Branchen durchdringt und verändert. Einige sprechen von der größten Revolution im Zivilisationsprozess seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks; andere wie der Technikhistoriker Karl H. Metz sagen sogar »das Außerordentliche der neuen Technologie« sei »vergleichbar nur dem Übergang von der sprachlichen Abspeicherung des Wissens in Erinnerung zu dessen schriftlicher Abspeicherung in Materie, Papier. Hier wie dort wird die Speicherung und Verarbeitung von Daten radikal gesteigert, nicht allein was die Menge, auch was den Grad der Komplexität betrifft.«

Sucht man aber nach den Ursprüngen dieser technologischen Revolution, landet man bei den unterschiedlichsten Geschichten, die oft kaum miteinander zusammenhängen: Geschichten über Theoretiker, Mathematiker, Rechenmaschinenerfinder, Halbleiterpioniere, Raketentechniker, Teilchenbeschleuniger am CERN, Bastler und Garagenunternehmen. »Der anschwellende Strom der Computer- und Internetgeschichten tendiert dahin«, kritisiert der Technikhistoriker Joachim Radkau, »selbst dieses Geschichtensyndrom mit seinen Zufällen und seinen bizarren Wendungen zur linearen, quasi organischen Evolution zu begradigen.« Und er fügt hinzu: »Das kann jedoch nur der glauben, der sich nicht sehr weit zurückerinnert oder seine Erinnerung allzu gründlich zurechtfrisiert hat. Denn nicht zuletzt darin besteht der Witz der Geschichte, dass diese fortwährend von Fehlprognosen begleitet war und immerfort etwas herauskam, was kaum einer der Beteiligten vorausgesehen hatte.«

Niemand hatte beispielsweise den umfassenden Siegeszug des Personal Computers, des Internets oder des Smartphones vorhergesehen.
Natürlich ist auch die Geschichte der Informations- und Kommunikationstechnik in der Fraunhofer-Gesellschaft von diesen überraschenden Kurswechseln und unvorhergesehenen Durchbrüchen geprägt. Denn sie ist im Zusammen- und Wechselspiel mehrerer neuer Technologien entstanden: Der Computertechnik, der Mikroelektronik, der Nachrichtentechnik, der Telekommunikation, der Rundfunk- und Fernsehtechnik, der Informatik und Softwaretechnik sowie der Netzwerktechnik: Jeder Technologiesprung auf dem einen Fachgebiet löste einen Schub in den anderen Disziplinen aus. Wechselwirkungen führten mehrmals zu einem explosionsartigen Anwachsen der Nutzung und Verbreitung dieser Technologien. Heute treiben die Informations- und Kommunikationstechnologien, die im Internet miteinander verschmolzen sind, den digitalen Wandel voran, der alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft durchdringt und tiefgreifend verändert.

Großcomputer in Rechenzentren

Die Frühzeit der Computer in den 40er Jahren war von militärischen Anwendungen in den USA geprägt. Von 1955 bis 1965 entwickelte sich ein kommerzieller Markt, der in den Jahren 1965 bis 1975 zu einer wichtigen Größe der Wirtschaft heranwuchs. Hemmender Faktor einer wirtschaftlichen Nutzung dieser Großrechner waren neben der Größe die immensen Kosten. Die Monatsmiete eines Großrechners konnte im Jahr 1959 bis zu 300.000 DM betragen. Selbst mittlere Rechner wie der IBM 650 kosteten 35.000 bis 80.000 DM Monatsmiete. Der Siemens 2002, der ab 1959 hergestellt wurde, auch ein mittlerer Rechner, hatte einen Kaufpreis von 1,2 Millionen DM. Das konnten sich nur Großunternehmen leisten und alle waren überzeugt, dass dies so bleiben würde.»

Zur geschichtlichen Einordnung: Erst ab 1967 wurde die Informatik an einigen wenigen Universitäten als Studiengang eingerichtet. Am 23. April 1968 wurde in Bonn die Großforschungseinrichtung Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) gegründet. Neben der Kerntechnik galt die elektronische Datenverarbeitung als die zweite große Zukunftstechnologie, in der die Bundesrepublik einen großen Nachholbedarf besaß und den Anschluss an die USA nicht verlieren wollte.

Erstes Fraunhofer-Institut, das sich mit Datenverarbeitung beschäftigte, war das Institut für Schwingungsforschung, das 1967 zur Fraunhofer-Gesellschaft kam. 1970 wurde es in Institut für Informationsverarbeitung in Technik und Biologie IITB und 1979 in Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung IITB umbenannt. Heute heißt es Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB. Der damalige Institutsleiter, Prof. Max Syrbe, richtete das Institut sehr erfolgreich auf die Informations- und Datenverarbeitung aus. Zentrale Themen wurden Bildverarbeitung und optische Mustererkennung sowie Automatisierung technischer Prozesse und Mensch-Maschine-Kommunikation.

In der industriellen Produktion hatten sich schon in den 1960er Jahren NC-Werkzeugmaschinen durchgesetzt (Numeric Control). Für diese Maschinen erstellte ein Großrechner das Programm, das auf ein Speichermedium – meist einen Lochstreifen – übertragen würde. Erst der Lochstreifen setzte die numerische Steuerung der Maschine in Gang.

Der Lochstreifen - einer der ersten Datenspeicher in der Computergeschichte Bild: Nyxos, Daniel FR | Wikimedia Commons

Der Durchbruch begann auch hier mit den Mikroprozessoren. Durch die Integration der Mikrocomputer in die Werkzeugmaschinen entstanden CNC-Maschinen, (Computerized Numeric Control). Sie erreichten in den 1980er Jahren eine Leistungsfähigkeit, die es erlaubte, die Programmierung vom Bedienungspersonal im Werkstattbetrieb durchzuführen. Vor allem aber wurde es nun möglich, die einzelnen Maschinen in Fertigungszellen zu integrieren und damit Bearbeitungsabläufe zu automatisieren. Da die Industrie einen großen Bedarf hatte, diese neuen Technologien in ihre Fabriken zu integrieren, fanden die produktionstechnischen Institute der Fraunhofer-Gesellschaft hier ein breites Aufgabenfeld. Neben dem IITB waren das vor allem das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart, das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin.
Die Ablösung der Programmierung von den konkreten Maschinen führte zu einer enormen Effizienzsteigerung der Rechentechnik, da nun sehr viel komplexere und flexiblere Anwendungen als durch »fest verdrahtete« Systeme möglich wurden. Die Software entlastete damit die elektronische Hardware von den konkreten Anwendungen der Maschinen und gab letztlich nur noch ein einziges Ziel vor: Auf immer kleinerem Raum immer leistungsfähigere Schaltkreise zur Verfügung zu stellen.

Die mikroelektronische Revolution

So trieb der Vormarsch der Computer die Halbleiterindustrie an, die elektronischen Bauelemente zu miniaturisieren und zu verbilligen. Mit der Erfindung des Transistors, des Integrierten Schaltkreises, vor allem aber des Mikroprozessors im Jahr 1971 begann die mikroelektronische Revolution, die nicht nur in der informationstechnischen Industrie, sondern auch in vielen anderen Branchen zu einer Revolution führte. Schon 1965 formulierte Gordon Moore das berühmte »Gesetz«, dass sich die Zahl der auf einem Chip befindlichen Transistoren alle 18 Monate verdopple und sich gleichzeitig der Preis halbiere. Der erste von Intel hergestellte Mikroprozessor 4004 hatte 2300 Transistoren, der 8.088 schon 29.000 Transistoren, der 80.286 im Jahr 1982 kam bereits auf 134.000 Transistoren. Der 1993 erschienene Pentium verfügte über 3,1 Millionen Transistoren. Intels neueste Mikroprozessoren haben mehrere Milliarden Transistoren.

Immer schnellere Mikroprozessoren und größere Speicher ermöglichten Anwendungen, an die vorher niemand gedacht und eröffneten Märkte, die es vorher nicht gegeben hatte. Mit dem Personal Computer entstand ein rasant wachsender Markt, der sich schnell zum Leitmarkt für die Halbleiterhersteller aufschwang.
1983 wurde Max Syrbe Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. Als Informationstechniker kannte er das Potential der Computerisierung für beschleunigte Informationsbeschaffung, Vernetzung und Unterstützung bei standardisierten Arbeitsvorgängen. Unter dem Begriff »Wissenschaftler-Arbeitsplatz WAP« sollten die Arbeitsbedingungen in den Instituten wie in der Zentralverwaltung auf den neuesten informationstechnischen Stand gebracht werden. Das vernetzte System anstelle der bisherigen Insellösungen flächendeckend durchzusetzen, erwies sich als zähes Unterfangen, denn zum wirkten die die Kosten abschreckend, zu anderen wurde die Vernetzung als Instrument zentraler Kontrolle empfunden.

1983 wurde Max Syrbe Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft und hatte das Amt bis 1993 inne. Bild: Fraunhofer-Gesellschaft

Dennoch war die Einführung eines einheitlichen Kommunikationsnetzes, das die dezentralen und zentralen Rechnersysteme verband, langfristig der richtige Weg, die internen Betriebsabläufe auf einen neuen Stand zu bringen. Auch wenn hier der unvorhergesehene Vormarsch der Personal Computer dazwischenfunkte.
Noch in den siebziger Jahren planten Siemens und AEG eine »Großrechner-Union«. Der Anteil der Großrechner am europäischen Computermarkt, der in der Mitte der siebziger Jahre noch rund achtzig Prozent ausmachte, sank bis zum Anfang der neunziger Jahre auf knapp zwanzig Prozent. Mit der Ablösung der klassischen Großrechner durch dezentral verteilte Systeme endete die Ära der Rechenzentren und der PC drang vom Heimbereich in die Geschäftswelt vor.

Ulrich Trottenberg, Institutsleiter am GMD, initiierte im Jahre 1984 das nationale Parallelrechner-Projekt SUPRENUM. Der SUPRENUM-Prototyp war im Jahre 1990 eine Zeit lang der schnellste MIMD-Parallelrechner der Welt, wissenschaftlich war das ein Erfolg, wirtschaftlich jedoch ein Flop, denn er ging nie in Serie.
Inzwischen waren weitere Fraunhofer-Institute entstanden wie das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen, das Mikroelektronik mit Nachrichtentechnik verband oder das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD im Darmstadt, das die bildbasierte Informatik vorantrieb. Anfang der 1990er Jahre kamen dann Software-Institute hinzu, wie das Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik ISST in Berlin und Dortmund und das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern.

Telefon, Rundfunk und Tonträger werden digital

Die Digitalisierung erfasste immer weitere Branchen, die Telefon-, die Rundfunk- und die Musikindustrie. Die weltweiten Bestrebungen, die 100 Jahre alten analogen Telefonnetze zu digitalisieren, begannen in den 70er Jahren. 1989 begann in der Bundesrepublik der offizielle Betrieb ISDN-Technik. Seit September 1995 ist das digitale Telefonnetz flächendeckend verfügbar. Inzwischen wurde ISDN durch neuere Digitaltechnik abgelöst, die erheblich höhere Übertragungsraten erreichen.
Anfang der 80er Jahre stellte die Elektrogeräteindustrie mit der Compact Disc ein neues Speichermedium vor, das in wenigen Jahren die analogen Tonträger fast vollständig verdrängte. Die CD läutete die digitale Ära der Audiotechnik ein. Der Rundfunk wollte der neuen Qualität nicht nachstehen und ebenfalls auf Digitaltechnik umstellen. Im EUREKA-Projekt »Digital Audio Broadcasting« DAB wurde von 1987 bis 1991 ein Übertragungsstandard für Digitalradio entwickelt, der schließlich durch die Moving Picture Experts Group MPEG zum weltweiten Standard für Video- und Audiosignale erweitert wurde. Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS entwickelte dafür gemeinsam mit internationalen Partnern das später so berühmte Kompressionsformat mp3.

Der erste Prototyp eines mp3-Players aus dem Jahr 1994. Der Prototyp hatte die Größe einer Zigarettenschachtel und war mit einem Megabyte Speicher ausgerüstet. Die Fraunhofer-Entwickler zeigten das revolutionäre Gerät auf vielen internationalen Fachmessen. Bild: Fraunhofer IIS

Auch an diesem Beispiel zeigen sich wieder die Irrläufe der Geschichte: mp3 wurde nicht für DAB vorgeschlagen, das sowieso zunächst stagnierte. Erst 2011 begann mit DAB+ begann ein Neustart des Digitalen Rundfunks, nun aber mit Technologie des Erlanger Fraunhofer IIS. Durch seine starke Datenreduktion war mp3 das ideale Audioformat für das aufkommende Internet. Dort wurde es von eine rasant wachsenden Menge von Nutzern nicht nur zum Hören, sondern auch zum Tauschen von Musik genutzt, was letztlich die ganze Musikindustrie veränderte.

(fmi)

Der zweite Teil dieses Jubiläumsbeitrags ist bei uns am 20.06.2019 erscheinen.

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Franz Miller
  • Franz Miller war langjähriger Leiter der Presse und Öffentlichkeitsarbeit der Fraunhofer-Gesellschaft, veröffentlichte das Buch »Die mp3-Story« und arbeitet zur Zeit als freier Journalist.
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