Wenn im Jahr 2021 voraussichtlich über 28 Milliarden Geräte und Anlagen miteinander kommunizieren, dann sollten sie das zum Wohl ihrer Betreiber tun. Im neu gegründeten Forschungszentrum IoT-COMMs bündeln fünf Fraunhofer-Institute ihre Kompetenzen, um Vernetzung, Lokalisierung und Informationssicherheit für Anwendungen im Internet der Dinge voranzutreiben. Das Zentrum ist Teil des Fraunhofer-Forschungsclusters Cognitive Internet Technologies. Einen Überblick über die neue Forschungsinfrastruktur und erste Projekte gibt Netzwerkmanager Dr. Philipp Schwerna vom Fraunhofer IIS.

Hallo Herr Dr. Schwerna, »Vernetzung schafft Effektivität« – mit diesem Slogan könnte man die Philosophie von Industrie 4.0 umschreiben. Aber das gilt wohl nicht nur für die Technik, sondern auch für diejenigen, die diese Technik voranbringen und implementieren wollen.

Womit wir beim Forschungszentrum IoT-Comms beziehungsweise dem Forschungs-Cluster Cognitive Internet Technologies (CCIT) wären. In der Tat leben beide von der Vernetzung – im doppelten Wortsinn.

Um über beides zu sprechen, sollten wir zunächst die organisatorischen Zusammenhänge klären. Das Forschungszentrum IoT-Comms bündelt die Kompetenzen von fünf Fraunhofer-Instituten.

Mit dem Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI, dem Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC, dem Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI und dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS verfügen wir über ein einzigartiges Know-how. Beispielsweise in der Sensorik, wenn es um die Orts- und Zeitbestimmung geht oder die Absicherung von IoT-Netzwerken auf Hardware- und Softwareebene. Auch für die nahezu störsicheren Übertragungen von latenzkritischen Daten in Funknetzwerken, für Verkehrstelematiksysteme und für industrielle Maschinen und Industrie-Prozesse stehen wir aus dem Cluster IoT-COMMs mit unseren Kompetenzen für die Entwicklung zukunftsorientierter IoT-Lösungen.

Die Arbeit im Forschungszentrum IoT-Comms zielt darauf ab, die Forschung in den Basistechnologien Vernetzung, Lokalisierung und Informationssicherheit voranzutreiben und zu kombinieren.

Richtig. Dabei haben wir zwei zentrale Stoßrichtungen. Einmal konzentrieren wir uns auf agile und mobile Produktionssysteme im Umfeld von Industrie 4.0. Und zum anderen steht der Bereich Mobilitätsanwendungen und autonomes Fahren im Mittelpunkt. Die Lokalisierung von Geräten und Behältnissen mit Hilfe von 5G oder intelligente, autonom fahrende Transportroboter in den Fabrikhallen sind hier beispielsweise relevante Themen. Das Ziel ist für beide Herausforderungen vergleichbar: Es geht um Robustheit, Störsicherheit und kurze Verzögerungszeiten.

Das Fraunhofer-Cluster Cognitive Internet Technologies ist sogar noch weiter gefasst.

Über das CCIT vereinen wir das Know-how »unseres« IoT-COMMs mit dem Forschungszentrum Machine Learning und dem Forschungszentrum Data Spaces. Beides sind ebenfalls Fraunhofer-Forschungszentren, an denen vier beziehungsweise fünf Fraunhofer-Institute beteiligt sind.

Im Zentrum des Clusters Cognitive Internet Technologies steht - »nomen est omen« - das Kognitive Internet!

Wobei wir spezifizieren sollten: Es geht dabei vor allem um industrielle Anwendungen. Und wir forschen an Methoden, die über klassische, digitale Prozesse hinausgehen. Wir nutzen beispielsweise die Daten vernetzter Sensoren, um unternehmensinterne, intelligente Dienstleistungen möglich zu machen. So entsteht eine neue Form moderner Produktion. In den Produktionsanlagen werden die Vorgaben nicht mehr stoisch abgearbeitet, stattdessen tauschen sie gegenseitig Informationen aus. Sie treffen eigenständig Entscheidungen, um sich selbst – je nach Situation – optimal zu steuern. Kognitive Internet-Technologien sind hier der Schlüssel für die digitale Souveränität und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.

Aber es geht nicht nur um die Produktion an sich, sondern auch um die Produkte.

Natürlich, aber selbst das greift zu kurz. Wir wollen eine Brücke schlagen zwischen physischer Welt, digitaler Welt und sozialer Welt, um Nutzern die Vorteile eines Kognitiven Internet zugänglich zu machen. Aber um bei Ihrer Frage zu bleiben: Auch Produkte bekommen künftig »Köpfchen«! Sie wissen jederzeit, wo sie sind, und kennen ihre Historie, ihren aktuellen Zustand sowie den Weg zu ihrem Zielzustand. Das wiederrum hat teils weitreichende Auswirkungen auf die Produktion. Sie kann flexibler werden, so dass Produkte kundenindividuell gestaltet werden können. Und das bis zur Losgröße Eins. Um das zu erreichen, haben wir die Kompetenzen von insgesamt 13 Fraunhofer-Instituten aus der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechnik und der Produktion in diesen 3 Forschungsschwerpunkten des CCIT zusammengeführt.

Kommen wir zurück zum Forschungszentrum IoT-COMMs, für das Sie seitens des Fraunhofer IIS mitverantwortlich sind: Hier forschen Sie derzeit stark in den Bereichen Lokalisierung, Vernetzung und Informationssicherheit. Was heißt das für die Arbeit der Teams?

Diese drei Themen/Technologien sind in der Tat unsere Kernthemen, weil sie praktisch mit allen konkreten Projekten verknüpft sind. Deshalb ist es schwer, einzelne Projekte zu schildern, ohne weit ausholen zu müssen. Generell forschen wir im Bereich Lokalisierung beispielsweise an Empfängern von Galileo-Satellitensignalen, die für sicherheitskritische, zivile Anwendungen nutzbar sind. Im Bereich Vernetzung arbeiten wir an einem – je nach Anforderung – individuellem Mix von schmalbandiger und breitbandiger Kommunikationstechnologie. Und um dieses und eine Vielzahl anderer Ansätze nicht nur funktional sicher zu machen, sondern auch gegen unterschiedlichste Klassen von Angriffen zu schützen, gehört auch die Informationssicherheit zu unseren Aufgabengebieten. Unser Ziel ist es, Hardware und Software zu entwickeln und einzusetzen und die Daten absolut sicher im System zu halten.

Vielleicht können Sie uns ein oder zwei aktuelle Projekte konkret beschreiben? Beispielsweise aus dem Bereich Produktionssysteme?

Im Projekt CPS.Connect beschäftigen wir uns mit dem intelligenten Stanzen von Blechen. Für die Automobilindustrie ist die Qualität des gestanzten oder umgeformten Teiles entscheidend. Diese ist aber unter anderem auch abhängig vom Winkel, mit dem das Werkzeug presst. Weil es hier Varianzen gibt, ist es ein großer Vorteil, wenn die Maschine weiß, welche Teile noch wo nachbearbeitet werden müssen und welche nicht. Möglich wird das über eine sehr kleine und feine Sensorik, die aus vielerlei Gründen nicht kabelgebunden sein kann – unter anderem um ein wiederholtes Ein- und Ausstecken oder gar einen Kabelbruch zu vermeiden.

Ein anderes Beispiel ist das Projekt SmartTool.Connect. Hier geht es um Spanprozesse, also das Bilden von Spänen beim Fräsen. Löst sich Span, kann er sich am Bohrkopf oder auch in der Maschine verheddern und dazu führen, dass dieser Prozess blockiert wird. Wir erarbeiten deshalb eine Methode, um mit Hilfe von Sensoren Daten zu erhalten. Sie sollen messen, wann ein Span abbrechen kann, um den Prozessverlauf darauf einzustellen. Für beide Projekte ist im Frühsommer ein Demonstrator verfügbar.

Und an welchen Projekten arbeiten die Teams im Bereich Mobilität?

Eines unserer derzeit größten Projekte ist »Smart Intersection«. Dabei geht es letztlich darum, die Informationen von Kamerasystemen an Kreuzungen untereinander und mit den sich nähernden beziehungsweise stehenden Fahrzeugen zu koppeln und mit einer Intelligenz zu verbinden. So könnte ein Autofahrer z.B. vor einem ankommenden Radfahrer gewarnt werden, wenn dieser mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Kreuzung trotz Gelb- oder Rotphase überquert. Dafür aber müssen unsere Lokalisierungen, die unter anderem mit geostationären Daten arbeiten, und die Zeitstempel absolut zuverlässig, genau und fälschungssicher funktionieren. Und wir müssen die Latenz auf unter drei Millisekunden drücken. Um all das zu erreichen, wollen wir unter anderem das neue, standarisierte Protokoll CPM nutzen, das unsere Kollegen und Kolleginnen am Fraunhofer IVI gerade mitentwickeln. Es wird also noch etwas dauern, bevor Ergebnisse vorliegen.

Zumal es das Forschungszentrum IoT-COMMs auch erst seit rund einem Jahr gibt.

Viele Forschungsfragen haben die Institute ja auch schon im Vorfeld bei sich behandelt. Darauf können wir jetzt aufbauen und Mehrwerte schaffen. Denn mit IoT-COMMs verfügen wir über eine Forschungsstruktur, die das Bündeln von verschiedenen Kompetenzen über die Instituts-Grenzen hinweg deutlich erleichtert. Und das merken wir schon heute.

(md)

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