Die Erhaltung der Lebensgrundlagen unserer Erde ist eine der großen Menschheitsaufgaben. Verantwortungsvolles Handeln setzt neben Willen aber auch Wissen voraus. Dazu gehören beispielsweise fundierte Erkenntnisse über den Status quo und die Entwicklung der Biosphäre. Unter anderem bei Fragen zur Artenvielfalt existieren aber große Lücken, denn viele Modelle beruhen auf punktuellen Beobachtungen. Gemeinsam mit Kollegen anderer Institutionen haben Forscher vom Fraunhofer FKIE nun ein Konzept für ein kontinuierliches und flächendeckendes Akustik-Monitoring von Tierpopulationen entwickelt.

Die Artenvielfalt ist bedroht – weltweit ebenso wie in einzelnen Regionen etwa in Deutschland. Bei Fragen, wie die Biodiversität besser geschützt werden kann, sind sich Forscher und Beobachter allerdings uneinig. Das liegt weniger an wissenschaftlichen Differenzen als an einer mangelhaften Datengrundlage. Denn das klassische Beobachten der Lebensräume durch Forscher, Naturschutzvereine und Laien ermöglicht nur Momentaufnahmen der Vorgänge in einzelnen Habitaten. Natürliche Zusammenhänge bei der individuellen Entwicklung lassen sich daraus nur schwer ablesen. Besser wäre deshalb der kontinuierliche Einsatz selbstständig arbeitender Sensoren. Besonders sinnvoll wäre das, wenn diese durch spezielle Analysemethoden Künstlicher Intelligenz erweitert werden. So könnten viele Bestände und die Entwicklung der Arten automatisiert und lückenlos über längere Zeiträume erfasst und ausgewertet werden.

Um diesen Plan umzusetzen, haben 18 Universitäten und Institutionen mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF ein groß angelegtes Entwicklungsprojekt für Deutschland gestartet: Ziel von »AMMOD« ist es, überall in der Bundesrepublik Stationen aufzubauen, die Fauna und Flora automatisiert beobachten. Vorbild dafür sind die über einhundert automatisch arbeitenden Wetterstationen in Deutschland, die mit einer Vielzahl einzelner Systeme vom Windmesser bis zum Niederschlagszähler umfassend Daten für die meteorologische Forschung sammeln. Für die neuartigen »Wetterstationen für Artenvielfalt« sind allerdings auch neue Beobachtungs- und Analysesysteme erforderlich, die im Rahmen des Projekts ebenfalls entwickelt und getestet werden: Jede Station soll zum Beispiel mit speziellen Kameras und Mikrofonen bestückt sein, die die unmittelbare Umgebung visuell und akustisch erfassen. Außerdem beobachten Skyscanner den Himmel, ein Multisammler nimmt Pollen, Sporen und Insekten auf und Analysatoren detektieren Duftstoffe. Beteiligt an AMMOD sind auch Dr. Felix Govaers und sein Team vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, Analysetools zu entwickeln, die die gesammelten Daten zusammenführen und auswerten. Mithilfe von KI wollen sie so beispielsweise das Vorkommen und die Populationsgrößen der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten bestimmen.

Ergebnisanzeige einer 24-Stunden Erfassung der Anzahl detektierter Laute nordamerikanischer Zwergdrosseln. Bild: Fraunhofer FKIE

Vom Biosphärenüberblick zur Einzelbewertung von Artenschutzmaßnahmen

Die fest installierten AMMOD-Stationen werden in den kommenden Jahren erstmals einen Langzeitüberblick über den Status und die Entwicklung der Artenvielfalt an ausgewählten Standorten in Deutschland ermöglichen. Aber reicht dies schon aus, um nachzuweisen, welche Wirkungen etwa eine konkrete Artenschutzmaßnahme im Bereich der Landwirtschaft hat? »Um Einzelfragen wie diese beantworten zu können, ist eine sehr feinmaschige Beobachtung in der Fläche notwendig. Wir brauchen dazu nicht nur eine große Station, die in einer Region ihre Beobachtungen aufzeichnet, sondern eine Vielzahl an Stationen auf verhältnismäßig engem Raum, zum Beispiel in und um Felder, auf denen landwirtschaftliche Maßnahmen zur Erhaltung der Artenvielfalt erprobt werden. Und parallel dazu brauchen wir weitere Stationen in und um herkömmlich bewirtschaftete Vergleichsflächen«, erklärt Govaers. Um ein solches Szenario umzusetzen, seien die mit komplexen Sensoriksystemen ausgestatteten AMMOD-Stationen jedoch schlicht zu kostspielig. Eine wichtige Ergänzung wäre also ein zusätzliches Monitoringsystem mit kompakten, mobilen und vor allem auch kostengünstigen Stationen.

»Shazam4Nature«

Mit dieser Idee im Gepäck reiste Govaers zu einem Treffen des »EarthLab« von Microsoft Berlin. Die Veranstaltung bringt Expertinnen und Experten aus den Bereichen Technologie, Umwelt, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung zusammen, um KI-basierte Ideen zum Schutz der Lebensgrundlage Erde zu entwickeln. Die besten Vorschläge werden ausgezeichnet und im Rahmen des Microsoft-Programms »AI for Earth« unterstützt. Unter anderem ermöglicht das Technologieunternehmen den Forschern eine kostenfreie Nutzung von Ressourcen der Microsoft Azure Cloud.

Gemeinsam mit weiteren interessierten Teilnehmern des EarthLab entwickelte Govaers seine Idee zu einem Konzept weiter: Ihr Ansatz zur »Entwicklung eines akustischen Biodiversitäts-Monitoringsystems« orientiert sich am einfachen Hören von Musik. Die Grundidee dabei: So wie Streamingdienste per Analysealgorithmen aus den Lieblingsstücken eines Hörers treffsicher seinen Musikgeschmack bestimmen, müsste es möglich sein, eine in der Natur aufgenommene Vogelstimme per Referenzabgleich schnell, günstig und automatisiert ihrer Gattung zuzuordnen. In Analogie zum Pionier der Musikempfehlungssysteme Shazam lautete der Arbeitstitel der Projektidee kurz »Shazam4Nature«. Beim EarthLab schaffte des Team Govaers damit eine Platzierung unter den Besten – inklusive Zusage weiterer Unterstützung bei der Umsetzung.

Low-Budget – vom System bis zum Team

Was Govaers jetzt noch fehlte war ein Team, um das Projekt umzusetzen. Auch wenn dafür keine Finanzierung in größerem Umfang gegeben war. Unterstützer fand er unter Studierenden der Arbeitsgruppe Sensordaten- und Informationsfusion an der Universität Bonn. »Für sie war es eine gute Gelegenheit, die theoretischen Grundlagen aus dem Studium und ihren Forschergeist in der Wissenschaftspraxis zu erproben«, sagt Govaers. Gemeinsam mit einer Reihe von Experten, die ihre Expertise ebenfalls aus wissenschaftlichem Interesse ohne dezidierten Auftrag einbrachten, entstand ein erster Prototyp des Systems: Die Beobachtungsstationen selbst sind dabei nicht größer als ein handelsüblicher Router. Sie beinhalten ein Mikrophonarray, Komponenten für die Datenverarbeitung sowie eine Funkschnittstelle zur Übertragung der Aufnahmen in die Cloud. Strom bezieht der Prototyp über eine Autobatterie.

Bei einem flächendeckenden Feldeinsatz ist eine autarke Energieversorgung mittels Solarpanel vorgesehen. »Wir rechnen damit, dass die Herstellung der Stationen in größerer Stückzahl zu maximal 250 Euro je Einheit möglich ist«, erklärt Govaers. Die Station sendet die aufgenommenen Vogelstimmen in die Cloud. Hier haben die Systementwicklerinnen und -entwickler eine Software installiert, die die Analysearbeit übernimmt. Anhand einer Referenzdatenbank mit Vogelstimmen lassen sich die einzelnen Vogelarten bestimmen. Zusätzlich nutzt das System Lautstärke und Richtungsinformationen der Akustiksignale, um den Standort der Tiere im Gelände zu lokalisieren. Über die Zeit und über mehrere Stationen hinweg ist es damit auch möglich, Erkenntnisse zur Entwicklung von Vogelpopulationen und ihrem Bewegungsverhalten zu gewinnen. »Mit dem Prototyp konnten wir zeigen, dass unser Konzept funktioniert. Aktuell geht es nun darum, die weitere Entwicklung zu ermöglichen, zum Beispiel im Rahmen eines Förderprojekts oder Kooperation mit Behörden und Verbänden«, resümiert Govaers.

(mab)

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