Das drittgrößte Betätigungsfeld organisierter Krimineller ist der illegale Handel mit Kulturgütern. An nahezu jeder nationalen Grenze der Welt versuchen sie, antike Gegenstände und archäologische Objekte aus- oder und einzuführen – häufig mit gefälschten Zollpapieren, die Artefakte als kulturell unwichtig und damit legal handelbar ausweisen. Um das zu verhindern, müssten Polizei und Zoll die Herkunft und das Alter der Objekte noch vor Ort einschätzen können. Was bislang als kaum realistisch galt, könnte sich nun ändern. Dank einer neuen App des Fraunhofer SIT.

125 Staaten haben das UNESCO-Übereinkommen von 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut ratifiziert. Dabei verpflichten sie sich, Verbrechen mit Kulturgütern konsequent zu verfolgen und zu ahnden. Sie verzeichnen beeindruckende Erfolge – zumindest auf den ersten Blick: Allein im Jahr 2020 haben Polizei und Zollbehörden mehr als 850.000 Kulturgüter beschlagnahmt. Und das sind nur die Fahndungserfolge der 72 Staaten, die ihre Zahlen für den Interpol-Bericht zur Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgütern gemeldet haben. Weltweit dürften also deutlich mehr Schmuggelversuche vereitelt worden sein.

Das allerdings ist nur die eine, die positive Seite der Medaille. Denn Erfolgen wie diesen steht eine hohe Dunkelziffer der Artefakte gegenüber, die unentdeckt bleiben und in Hinterzimmern oder bei Online-Auktionen ihre Besitzer*innen wechseln. Vor allem bei Fundstücken aus Raubgrabungen laufen die Fahndungsanstrengungen der Behörden oft in Leere, denn wenn wertvolle Ausstellungsstücke aus Museen oder Privatsammlungen gestohlen werden, gibt es dazu in der Regel auch einen internationalen Fahndungsaufruf inklusive Fotos und Beschreibungen. »Bei einer Raubgrabung jedoch ist unklar, welche Art von Artefakten dort gefunden wurden. Die Ermittler*innen können also gar nicht wissen, wonach sie suchen müssen«, betont Prof. Martin Steinebach vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT. Dabei ist der Schaden, der durch die Plünderung antiker oder archäologischer Stätten entsteht, immens. Und das nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Denn meist werden auch die Grabungszusammenhänge zerstört, bevor sie Archäolog*innen, Kunsthistoriker*innen und anderer Expert*innen mit Umsicht freilegen und dokumentieren können. Mögliche Erkenntnisse über die geschichtliche Entwicklung in den jeweiligen Ländern und über das Leben vorangegangener Zivilisationen gehen unwiederbringlich verloren – nur weil die Kriminellen davon ausgehen, aus ihren Taten Kapital schlagen zu können.

Illegalen Kulturguthandel erkennen

Wie aber lässt sich ein Schmuggelversuch beispielsweise mit geraubten Grabbeigaben erkennen, wenn die Fahndungshinweise fehlen? Was, beispielsweise, passiert, wenn ein Flugpassagier beim Zoll ein kunstvoll bemaltes Keramikgefäß zur Einfuhr anmeldet? Laut Papieren handelt es sich um eine Vase aus dem frühen 18. Jahrhundert. Sie stammt aus dem Nachlass einer Manufaktur in Armenien. Alles scheint legal und in Ordnung zu sein. Ist es aber nicht. In Wirklichkeit handelt es sich um ein antikes Fundstück aus einer Raubgrabung in Syrien, das gesäubert und vorsichtig poliert wurde, um seine Herkunft und sein Alter zu verschleiern. »Zollmitarbeiter*innen müssten mindestens ein vergleichbares Artefakt kennen, um zu sehen, dass Objekt und Zollpapiere in diesem Fall nicht zusammenpassen können«, erklärt Steinebach. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass ein ähnliches Stück bereits irgendwo in einem Museum gezeigt worden ist. Das Problem: Zwischen dem Museum und der Zollabfertigung liegen mehrere Tausend Kilometer – ein Bestandsabgleich ist also nur durch eine funktionale und leicht bedienbare Datenbank möglich und selbst dann auch nur, wenn das gesuchte Vergleichsobjekt zügig gefunden werden kann.

Möglich machen soll all das ein Projekt namens »KIKu« in dem Forscher*innen am Fraunhofer SIT gemeinsam mit dem Software-Unternehmen cosee zusammenarbeiten: Ziel ist ein KI-System, das innerhalb weniger Sekunden passende Objekte findet und die Einschätzung von Herkunft und Alter der (in diesem Fall) Vase durch Vergleich mit den Eigenschaften dieses ähnlichen Kulturguts unterstützt. Das Projekt wird mit Mitteln der nationalen KI-Strategie der Bundesregierung gefördert.

Experteneinschätzung per App

Für die Suche nach Vergleichsobjekten nutzt das KI-System ein Deep-Learning-Netz, das auf die Erkennung und Analyse antiker und archäologischer Artefakte trainiert ist. Als Basis dafür setzen die Forscher*innen eine bereits vortrainierte KI zur Bildanalyse ein. In zusätzlichen Trainingsrunden mit Datensätzen zu dreidimensionalen Kulturgütern lernte das Netz dann die spezifischen Eigenheiten und Kriterien für eine Analyse der Objekte zu erkennen und zu bewerten. Als Quelle nutzt KIKu die digitale Objektsammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Sie umfasst derzeit etwa 140.000 Datensätze zu antiken Kulturgütern und archäologischen Artefakten mit Bildern sowie den dazugehörigen Beurteilungen von Expert*innen für Archäologie und Kunstgeschichte.

Bei den Kontrollen vor Ort lässt sich das KI-System einfach über die als Prototyp von den Projektpartner*innen entwickelte KIKu-App nutzen. Im Fall der Einfuhrkontrolle der Vase etwa nimmt der Zollmitarbeitende dann mit dem Smartphone das Objekt aus verschiedenen Richtungen auf und startet eine Suchanfrage. Danach zeigt ihm die App Bilder von Museumsstücken an, die in Form und Verzierungsstil sehr ähnlich sind. Zusätzlich wertet das System die Metadaten der in der Datenbank gefundenen Objekte aus und gibt eine grobe Einschätzung über das Herkunftsland und die zeitgeschichtliche Einordnung ab.

»Was die App und das Analysesystem leisten müssen, um zu einem aussagekräftigen und praktikablen Ergebnis zu kommen, ist bei Weitem umfangreicher, als es sich zunächst anhört«, meint Steinebach. Denn würde KIKu dem Zollmitarbeitenden die Bilder von hunderten ähnlich verzierten Vasen präsentieren, wäre ihm oder ihr ebenso wenig geholfen, wie mit einer Null-Treffer-Meldung, weil die Suchalgorithmen die Kriterien für eine Einordnung als »ähnlich genug« zu eng fassen.

 

KI lernt abzuwägen

Die Forscher*innen mussten ihrer KI daher Schritt für Schritt beibringen, nicht nur alle wichtigen Merkmale eines fotografierten Objektes zu erkennen, sondern auch zu entscheiden, was davon besonders relevant für eine kulturhistorische Klassifizierung ist. Sie haben die Algorithmen dazu so angepasst und verfeinert, dass sie nun nicht nur die Ergebnisse mit der größten Übereinstimmung über alle Suchkriterien hinweg berücksichtigen, sondern auch die weniger exakten Zwischenergebnisse ihres Entscheidungsgeflechts. Weist die Vase zum Beispiel einen sehr spezifischen Malstil auf, erkennt das System diesen als besonders zu beachtendes Merkmal und zeigt als Treffer dann auch, wenn es in der Datenbank eine sehr ähnlich bemalte Schale findet. »Inzwischen haben wir einen Entwicklungsstand erreicht, mit dem sehr viele Objekte äußerst treffsicher zuordnen und einschätzen können – zumindest soweit die KI über entsprechende Referenzobjekte verfügt«, sagt Steinebach.

Mehr Expertenwissen in die KI bringen

Die 140.000 Artefakte, die das System bereits kennt, sind eine gute Basis. Aber im Vergleich zu der kulturellen Vielfalt der Menschheitsgeschichte dennoch nur ein kleiner Ausschnitt. »Unser Deep-Learning-Netz hat also noch viel zu lernen und ist darauf auch vorbereitet«, sagt Steinebach. Ein vielversprechendes Procedere dafür sei die Methode des sogenannten »Federated Machine-Learning«. Der große Vorteil dieses Lernansatzes liegt darin, dass die für das KI-Training verwendeten Datensätze nicht zentral zusammengeführt werden, sondern vor Ort in den jeweiligen Archiven verbleiben. Datenschutz und Datenhoheit lässt sich dadurch wirkungsvoll durchsetzen und dennoch erreichen, dass die KI durch das Lernen zusätzlichen Expert*innenwissens seine Fähigkeiten erweitert. »Unter Einbeziehung digitaler Archive etwa der UNESCO sowie stattlicher Behörden, Museen, Auktionshäuser und Kunsthändler weltweit könnte so ein sehr mächtiges Instrument im Kampf gegen den illegalen Kulturguthandel entstehen«, betont Steinebach.

Zurzeit wird KIKu von Polizei und Zoll getestet. Ihr Feedback will das Forschungsteam dann nutzen, um ihr System weiter zu optimieren – von der Usability der App-Funktionen über die Algorithmen der Ähnlichkeitssuche bis zu der Präsentation der Ergebnisse.

(stw)

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