Windkraftanlagen sind permanent Wind und Wetter ausgesetzt. Das ist zwar sinnvoll, erhöht aber auch deren Anfälligkeit für Verschleiß. Eine effiziente, vorausschauende Wartung ist deshalb besonders wichtig. Sie erhöht die Zuverlässigkeit und trägt dazu bei, kostspielige Reparaturen zu vermeiden. Messdaten von Sensoren an Rotorblättern sind durch den Wind aber so stark verrauscht, dass sie bisher wenig eindeutige Rückschlüsse auf Zustand und Belastung der Mechanik erlauben. Durch den Einsatz einer mittels simulierter Windszenarien trainierten KI soll sich das nun ändern.

Etwa 30.000 Windkraftanlagen sind derzeit deutschlandweit in Betrieb. Mit einem Energieertrag von rund 130 Terrawattstunden pro Jahr liefern sie etwa ein Viertel der Energie, die Deutschland aktuell für seine Stromversorgung benötigt. Die Windenergie ist damit schon heute die tragende Säule der Energiewende. Der weitere Ausbau ist zudem die vorrangige Maßnahme, mit der Deutschland seine Abhängigkeit von fossilen Energieträgern rasch und nachhaltig reduzieren will. Der Beitrag, den die Windkraft zur Stromversorgung leistet, hängt allerdings nicht allein davon ab, wie viel Anlagenleistung installiert ist und wie stark und ausdauernd der Wind weht. Auch auf die Funktionsfähigkeit der Anlagen muss Verlass sein: Unerwartete Ausfälle sind ein Risiko für die Versorgungssicherheit. Tritt ein Defekt am Getriebe oder dem Rotorenlager auf, bedeutet dies den Stillstand der Anlage – meist über einen längeren Zeitraum hinweg. Reparaturen in einer durchschnittlichen Höhe von 140 Metern sind aufwendig und erfordern eine umfassende Planung.

Wie also lassen sich Anlagenausfälle und hohe Reparaturkosten bei Windkraftanlagen möglichst vermeiden? Wie können Anlagenbetreiber*innen die bestmögliche Vorsorge treffen? »Die Schäden an den mechanischen Komponenten der Anlagen treten in den allermeisten Fällen nicht so plötzlich auf, wie es zunächst den Anschein hat. In der Regel sind sie Resultat eines länger währenden Verschleißprozesses«, erklärt Prof. Jochen Garcke vom Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI. Ein typisches Beispiel dafür sei die Entstehung eines Risses an einem Zahnradzahn des Getriebes zwischen Rotor und Windkraftturbine. »Das Getriebe läuft dann nicht mehr ›rund‹. Deshalb werden nun andere Zahnräder und Getriebekomponenten einer erhöhten Beanspruchung ausgesetzt und verschleißen schneller als normal. Das Resultat: Das Getriebe in seiner Gesamtheit wird irreparabel beschädigt«, erläutert Garcke. In dieser Kettenreaktion sieht der Forscher nicht nur den Totalausfall des Windrades mit allen negativen Konsequenzen. Eine Kettenreaktion beinhalte immer auch einen grundsätzlichen Lösungsansatz: »Verhindere das Auslösen der Folgen durch frühes Eingreifen.« Denn weil der erste initiale Riss die Funktion der Windkraftanlage nur wenig beeinträchtigt und sich Folgewirkungen erst nach Wochen oder Monaten entwickeln, haben die Betreiber*innen der Anlagen die Möglichkeit, einzelne Teile in aller Ruhe auszutauschen und einen größeren Schaden und damit den Ausfall ihrer Anlage zu verhindern.

Zustandsmonitoring für Windkraftanlagen

»Voraussetzung dafür aber ist, dass der Betreiber rechtzeitig Informationen über den Verschleiß zur Verfügung hat und sie entsprechend interpretiert – dies gilt für das Beispiel des Zahnradzahnrisses ebenso wie für eine Unwucht am Rotorlager«, sagt Garcke. Nötig ist deshalb ein Monitoringsystem, das den Zustand der Anlageteile kontinuierlich überwacht und ein vom Normalzustand abweichendes Verhalten registriert. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt »MADESI« haben Forscher*innen von Fraunhofer SCAI und weiteren Partnerorganisationen nun wichtige Grundlagen dafür geschaffen, den Zustand von Windkraftanlagen besser zu erfassen und die Auswirkungen einzuschätzen.

Vorbild eines solchen Systems sind Predictive-Maintenance-Lösungen, wie sie bei Produktionsanlagen bereits im Einsatz sind. An Maschinen in der Industrie werden unter anderem Sensoren eingesetzt, die die Vibrationen erfassen. Deren Daten dienen zunächst als Trainingsdaten, um ein KI-System anzulernen. So wird KI in die Lage versetzt, zwischen normalen Betriebszuständen der Maschine und auffälligen Ereignissen zu unterscheiden.

Das Monitoringsystem, das die Forscher*innen für die Windkraftanlagen vorgesehen haben, soll nach einem ähnlichen Konzept arbeiten. »Viele Windkraftanlagen müssen dafür nicht einmal mehr mit neuen Sensoren ausgestattet werden«, erklärt Garcke. Denn sie verfügen bereits über eine kontinuierliche Vibrationserfassung an den Rotoren. Deren Messwerte werden derzeit vorrangig dazu genutzt, Eisbildung an den Rotorblättern zu erkennen. Besteht die Gefahr, dass Eisklumpen von den drehenden Rotorblättern geschleudert werden könnten, schaltet sich die Anlage automatisch ab.

Es gib also bereits Vibrationsmessungen, aus denen das KI-System für das Windkraftmonitoring künftig auch auf den Verschleißzustand von Rotorenlager oder Getriebe schließen könnte. »Diese Daten sind allerdings ungeeignet, um KI so zu trainieren, dass sie zwischen den ‚Normalbetrieb‘ und ‚Auffälligkeit durch Verschleiß‘ unterscheiden kann«, betont Garcke. Grund dafür ist, dass die Stärke und Frequenz der Vibrationssignale an einer Windkraftanlage zum allergrößten Teil von der jeweils aktuellen Windsituation bestimmt werden. »Wir haben also extrem volatile Signalstrukturen, die aufgrund des komplexen Zusammenspiels und Wechsels der Windsituationen an einer Windkraftanlage auch nicht erklärbar sind«, so Garcke. Hinzu komme, dass es kaum Vibrationsmessungen gibt, die einem spezifischen Schadensbild sicher zugeordnet werden können.

Maschinelles Lernen mittels Simulation

Um das Systems zur Anomalieerkennung an Windkraftanlagen dennoch anlernen zu können, entwickelten die Forscher*innen eine neuartige Trainingsarena: Sie ersetzen reale Daten (die sich nicht eindeutig interpretieren lassen) durch errechnete Daten (die sie durch Numerische Simulation erzeugen). Denn dank der Numerischen Simulation lässt sich sowohl das Verhalten eines schadhaften Getriebes als auch komplexe physikalische Phänomene wie die Einwirkungen des Windes exakt modellieren und berechnen. »Mit unseren Verfahren können wir nun nicht nur den Normalzustand und verschiedenste Verschleißzustände klar definieren und die entsprechenden Signalausprägungen berechnen. Wir können die verschiedenen Zustände nun auch mit zufällig gewählten, statistisch berechneten Windkonstellationen kombinieren. So erhalten wir Trainingsdaten für KI, die den tatsächlichen Messdaten vor Ort entsprechen würden«, sagt Garcke. Beides zusammen schaffe die Voraussetzung für die KI, den Verschleißzustand einzelner Teile in einem Windrad zu erkennen und die Betreiber*innen zu informieren.

Bis zum Praxiseinsatz des Systems sind jedoch noch weitere Verfeinerungen der Analysesysteme sowie Feldversuche an realen Windkraftanlagen erforderlich. »Fest aber steht schon jetzt, dass solch ein System den Betrieb von Windkraftanlagen deutlich zuverlässiger und wirtschaftlicher machen kann«, sagt Garcke. Die kontinuierliche Kenntnis des Verschleißzustandes der Anlagen ermöglicht den Betreiber*innen nicht nur, eine Wartung oder Reparatur so rechtzeitig auszuführen. Zusätzlich lässt sich weiterer Verschleiß deutlich verlangsamen. Denn nun kann eine Windkraftanlage, die bereits deutliche Verschleißerscheinungen an Lager oder Getriebe zeigt, bei vorhergesagten, besonders belastenden Strömungen vorübergehend aus dem Wind gedreht werden. Damit kann beispielsweise auch eine ältere Windkraftanlage, bei der sich ein kompletter Getriebewechsel nicht mehr lohnen würde, noch einige Jahre länger in Betrieb bleiben und einen Beitrag zur Energieversorgung leisten.

(ted)

 

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