Bei der Car-to-Car-Kommunikation sind viele grundlegende Forschungen bereits weitgehend abgeschlossen. So ist es möglich, dass sich Fahrzeuge etwa über Gefahrenstellen unmittelbar austauschen. Aber ausgereifte Technik alleine reicht nicht. Sie muss auch auf die Straße gebracht werden. Hier gibt es im Moment noch eine hohe Hürde, meint Dr. Ilja Radusch vom Fraunhofer FOKUS. Im Interview erklärt er die Gründe hierfür und spricht über mögliche Weiterentwicklungen.

Hallo Herr Radusch, Kommunikation meint längst nicht nur die Verständigung zwischen Menschen, sondern auch den Austausch zwischen Mensch und Maschine beziehungsweise zwischen Maschinen untereinander. Für die Fahrzeugkonzeption bedeutet das zum einen, dass die Weiterentwicklung und Programmierung von Touchpads und Stimmeingabemodulen ganz oben auf der Agenda stehen. Zum anderen, dass eine umfassende und sichere Direkt-Kommunikation der Fahrzeuge untereinander und zu Funkstationen am Straßenrand essenziell geworden ist. In diesen Vehicle-to-X-Techniken (V2X) liegt ein Schwerpunkt Ihrer Forschungen am Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS.

Durch die V2X-Kommunikation können sich Informationen in Sekundenbruchteilen wie bei einem Schneeballsystem ausbreiten. So entsteht beispielsweise ein effektives Frühwarnsystem für mehr Fahr- und Verkehrssicherheit, weil ein Fahrzeug die folgenden vor einem Hindernis oder vor Glatteis warnen kann. Diese Vernetzung ist also auch ein wichtiger Baustein für das autonome Fahren, weil durch den Input anderer Verkehrsteilnehmer die Sinne des eigenen Bordsystems deutlich erweitert werden können.

Wir haben vor rund acht Jahren schon einmal über die Entwicklungen und Erwartungen an V2X gesprochen. Bereits damals haben geschätzt Hunderte von Forschern an der Spezifizierung und Umsetzung einer sicheren Technik für die V2X-Kommunikation gearbeitet. Und die Erfolge wurden beispielsweise durch simTD auf einem Testfeld, dem mit rund 300 Quadratkilometern größten Europas, durch 400 Fahrzeug unter Beweis gestellt. Was hat sich seit damals getan?

Seither hat die Industrie – was die tatsächliche Anwendung angeht – leider vergleichsweise wenig Fortschritte gemacht. Konkrete Produktankündigungen gab es kaum. Ausnahmen sind der neue Golf 8 oder Installationen wie in Österreich, bei denen eine Autobahn mit Sensoren und Roadside-Units ausgestattet werden. Auch in Deutschland gibt es ähnliche, aber deutlich kleinere Projekte. Immerhin hat sich zumindest hinter den Kulissen einiges getan. Trotzdem müssen wir aber konstatieren: Der Teufel steckt im Grundsätzlichen.

Meinen Sie damit eher die Technik oder eher das politisch-wirtschaftliche Umfeld?

Natürlich gab es gesetzliche Neuerungen. Zum Beispiel die Datenschutzgrundverordnung, die umgesetzt werden musste. Aber die größten Hemmnisse waren die Kosten für die Technologie. Schon seit jeher rechnen Fahrzeughersteller mit jedem Cent. Deshalb werden selbst mehrere Dutzend Euro pro Fahrzeug für eine neue Kommunikationstechnologie als Investment wahrgenommen, das nicht zwingend nötig ist, da es nicht eindeutig zur Differenzierung vom Wettbewerb beiträgt. Zumal die Möglichkeit, die Kommunikation nur über Mobilfunk zu betreiben und nicht über eine Direktverbindung zwischen Fahrzeugen, für viele Hersteller und Zulieferer offensichtlich eine zunehmend hohe Attraktivität gewinnt.

Und im Bereich der Technik?

Wir haben die vielleicht letzten 20 Prozent an Hürden genommen, die aus technischer Sicht noch angegangen werden mussten, um die Grundlagen für die Markteinführung zu schaffen. Deshalb sind wir so weit, dass die V2X-Kommmunikation eingebaut und genutzt werden kann. Natürlich müssen einzelne Bereiche nachjustiert werden, aber in puncto Funktion und Sicherheit hat die V2X-Technik meiner Ansicht nach Marktreife.

Mit der offensichtlich gewordenen Zurückhaltung vieler Fahrzeughersteller wird auch ein entscheidender Vorteil der Technologie nicht genutzt: die geringe Latenzzeit.

Für eine geringe Latenz steht schon seit Jahren die WLAN-Technik und mittlerweile auch der LTE V2X-Ansatz in einem produktreifen Zustand zur Verfügung. Insofern ist es aus Sicht der Forschung verwunderlich, dass V2X-Techniken nicht schon seit langem State of the Art geworden sind. Im Moment bildet auf deutscher Seite lediglich Volkswagen eine Ausnahme. Aber das ist immerhin ein Anfang.

Aber die Technik ergibt eigentlich nur Sinn, wenn eine Kommunikationskette von Fahrzeug zu Fahrzeug entstehen kann. Und dafür müssten wesentlich mehr Hersteller diese Technik an Bord nehmen.

Das ist – zusammen mit dem finanziellen Aspekt – genau der Punkt, der die Entwicklung im Moment bremst. V2X kann zwar einzelne Fahrzeuge anderer Hersteller sozusagen überspringen, aber natürlich nicht Dutzende. Hier wäre es gut, wenn nahezu alle Fahrzeuge mit der Kommunikationstechnologie ausgestattet sind.

Helfen Sie mir noch ganz kurz mit der technischen Erklärung, wie V2X funktioniert.

Wir arbeiten mit dem WLAN-Standard WLAN IEEE 802.11p. So ist, im Gegensatz zum normalen Mobilfunk, wo alle Kommunikationen immer über ein Backend laufen, eine direkte Kommunikation zwischen den Endgeräten möglich. Nun gibt es drei konkurrierende Systeme: Die WLAN V2X-Kommunikation mit dem direkten Informationsaustausch einerseits und den Mobilfunk, der klassisch oder mit LTE-V2X gegebenenfalls auch nur noch eine Basisstation braucht, andererseits. In einer Studie haben wir die unterschiedlichen Technologievarianten für die V2X-Kommunikation übrigens genauer untersucht und die Vor- und Nachteile aufgeschlüsselt – denn es gibt Varianten der Systeme.

Ihr Hauptjob im Bereich V2X, nämlich die Entwicklung eines marktreifen Systems, ist getan. Jetzt ist es an der Politik und den Unternehmen, Schwerpunkte zu setzen …

… was aber nicht heißt, dass wir unser Wissen und unsere Forschungen nicht weiter nach vorne getrieben hätten und das auch weiter tun werden! Am Fraunhofer FOKUS sind das insbesondere zwei Bereiche: Zum einen die Automatisierung, um das vernetzte und automatisierte Fahren zu einem kooperativen Verkehr zu verbinden. Dazu gehören beispielsweise Möglichkeiten, Kolonne zu fahren oder gegenseitig die Positionierung zu verbessern, um von anderen Einheiten Unterstützung beim Spurwechsel oder Einfädeln zu erhalten. Unsere Erfahrung aus dem Bereich von V2X und den Übertragungswegen sind hier grundlegend.

Und zum anderen Fragen, wie wir dafür sorgen können, dass menschliche Kompetenzen wieder verstärkt genutzt werden können. Denn es wird auf absehbare Zeit Situationen geben, die der Mensch deutlich besser einschätzen kann als die Maschine, die eigentlich nur im Notfall zwingend eingreifen muss. Dazu gehören zum Beispiel auch menschliche Überlegungen zur Entlastung des Verkehrs. Die Entscheidung, ob man um 15:00 Uhr an Ort und Stelle sein muss oder ob es reicht, gegen 15 Uhr da zu sein, kann helfen, stark befahrene Straßen zu entlasten, weil man sich einen Umweg leisten kann. Und vielleicht gibt es dann sogar bald so etwas wie ein Punktekonto, auf dem mir mein Verhalten gutgeschrieben wird und das ich dann bei wirklich dringenden Angelegenheiten zu meinem Vorteil nutzen kann.

(aku)

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Interviewpartner
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Dr. Ilja Radusch
  • Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS
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