KATWARN ist eines der leistungsfähigsten Systeme, wenn es darum geht, die Bevölkerung ganzer Regionen gezielt über einen (möglichen) Katastrophenfall zu informieren. Was die zugehörige App leisten kann, welche weiteren Warnsysteme es gibt und warum der bundesweite Warntag am 10. September 2020 so wichtig war, erklärt Niklas Reinhardt vom Fraunhofer FOKUS. Er ist Sprecher des KATWARN-Systems.

Hallo Herr Reinhardt, heute Vormittag war es zumindest hier bei uns recht laut. Überall heulten die Sirenen. Aber ist ein derartiger Aufwand überhaupt nötig?

Ich hoffe, dass sich möglichst viele Menschen diese Frage stellen konnten. Denn sie zeigt, dass sie bislang keine akuten Gefahrensituationen oder Katastrophen in ihrer Region durchleben mussten. Trotzdem aber müssen wir leider davon ausgehen, dass es nicht zwangsläufig so bleiben wird. Bedrohungen sind real: von Chemie- oder Atomunfällen über Anschläge, Extrem-Wetter oder Stromausfälle, Erdbeben oder Überschwemmungen bis hin zu einem regional starken Ausbruch von Corona. Der Warntag als Initiative des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat BMI zeigt daher auf, wie die Bevölkerung zuverlässig und seriös gewarnt werden kann. Letztlich geht es bei Probealarmen aber nie allein um einen technischen Test. Es geht auch darum, die Bevölkerung für großflächige Alarme zu sensibilisieren. Sie sollen wissen, dass es sie gibt und wie sie darauf reagieren sollten.

Also waren all die Heul- und Piepstöne heute gegen Mittag notwendig?

Je mehr Warnung im Gefahrenfall desto besser. Denn gerade dann ist es ja wichtig, möglichst viele – am besten alle – betroffenen Menschen zu erreichen. Sicherheitsrelevante Informationen auf vielen verschiedenen Wegen zu verbreiten, ist dafür entscheidend, sei es über Apps oder digitale Werbebildschirme, über das Radio oder über Websites.

Bei Apps oder auch entsprechenden Meldungen in den Social Media-Kanälen ist das verhältnismäßig einfach. Denn hier können Warn-Apps wie KATWARN  – für welche Sie als Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für offene Kommunikationssysteme FOKUS verantwortlich sind – dezidiert Informationen und Verhaltensregeln übermitteln. Bei der Sirene auf dem Dach geht das nicht.

Es kommt uns auf den Mix an. Denn nur das Zusammenwirken verschiedener Warn-Medien wird flächendeckend warnen können. Ein Pop-up auf dem Smartphone oder eine Benachrichtigung per SMS, wie KATWARN sie bietet, sind hervorragend geeignet, solange Sie ein Netz und ein Smartphone haben. Das ist zwar normal so, aber gerade im Katastrophenfall kann es sein, dass das Eine regional überlastet und das Andere nicht geladen ist. Die Information wird zwar sofort übermittelt, wenn Sie wieder Netz haben. Aber in solchen Fällen ist es wichtig, dass Sie beispielsweise eine Sirene hören und dann Fernsehen oder das Radio einschalten. Oder wenn Sie vom Nachbarn informiert werden.

KATWARN ist aber keine klassische Warn-App …

Nein, letztlich ist KATWARN ein Verteilsystem – mit allen Vorteilen, die damit verbunden sind. Denn so können verschiedene Absender – von regionalen Einsatzkräften bis zu einzelnen Bundesländern oder teilweise dem Bund – verifizierte Informationen einspielen, die dann auf verschiedenste Medien ausgegeben werden können – beim Smartphone als Pop-up-Meldung, beim klassischen Handy als SMS oder auch bis zu digitalen Werbetafeln oder Bordcomputern in Fahrzeugen wie aktuell bei Ford. Zudem wird die regionale Streuung festgelegt. Denn wenn in Hamburg ein Großfeuer ausbricht, muss in Hannover niemand gewarnt werden.

Im Gegensatz zu beispielsweise Twitter kommen über KATWARN Informationen und Verhaltenshinweise herein, auf die man sich verlassen kann.

Richtig. KATWARN bietet sehr schnell verbindliche, offizielle Informationen. Im Zweifel sollten sich Nutzer also eher auf offizielle Kanäle wie Rundfunkanstalten oder KATWARN verlassen, als sich zu sehr auf Social Media zu fokussieren. Und wenn Sie in einer kritischen Situation Informationen teilen wollen, sollten Sie das zunächst mit diesen autorisierten Daten tun. Eine entsprechende Funktion zum Teilen ist in KATWARN integriert.

Wie »aktiv« ist KATWARN?

Pro Jahr meldet das System deutschlandweit etwa 500 Gefahrensituationen. Dabei werden rund 15 Millionen Meldungen abgesetzt. Die Nutzerzahl bewegt sich im Bereich vieler Millionen. Aber wir hoffen, dass durch Interviews wie dieses und den heutigen Warntag noch weitere dazukommen. Der Download aus den Stores ist kostenfrei und die Installation selbsterklärend – sie müssen nur erlauben, dass KATWARN die Ortserfassung nutzen darf, damit Sie diejenigen Meldungen bekommen, die Ihren aktuellen Standort beziehungsweise die von Ihnen ausgewählten Regionen betreffen.

Was ist der Unterschied von KATWARN im Vergleich zu ähnlichen Systemen wie NINA?

Vor allem die Historie. Das NINA-System stammt vom Bund. Der Ausgangspunkt von KATWARN hingegen waren kommunale Warnungen. In den vergangenen Jahren haben sich die Entwicklungen beider Plattformen nun aufeinander zu bewegt, so dass wir nun die Warnungen koppeln: Eine Gefahrenwarnung bei NINA erscheint auch bei KATWARN und umgekehrt. Allerdings gibt es immer noch Unterschiede. KATWARN kann auch bei kommunalen Warnungen SMS verschicken und es gibt sogenannte Themenabos.

Eines der bekanntesten ist das »Oktoberfest-Thema«.

Die Stadt München nutzt unser System, um in sicherheitsrelevanten Situationen über das Münchner Oktoberfest zu informieren, zum Beispiel wenn das Festgelände überfüllt und nicht mehr zugänglich ist. Hier wird KATWARN also vorbeugend eingesetzt, um keine zusätzlichen Gefahrensituationen aufkommen zu lassen. Ein anderer Vorteil ist der Austausch beispielsweise mit Österreich, so dass auch die deutsche KATWARN-App vor Lawinen im Nachbarland warnt, wenn Sie sich in einer entsprechenden Gegend aufhalten.

Wird KATWARN noch weiterentwickelt?

Natürlich verbessern wir das System kontinuierlich. Neben KATWARN corporate – einer Weiterentwicklung als internes Warnsystem für große Unternehmen – oder der spezifischen Entwicklung hessenWarn mit zusätzlichen Features für das Bundesland, geht gerade KATRETTER an den Start. Mit diesem System können beispielsweise via App qualifizierte Ersthelfer gerufen werden, um Erste Hilfe zu leisten, bis der Notarzt eintrifft. Registrierte Ersthelfer in der Nähe werden also direkt von der Rettungsleitstelle elektronisch alarmiert und über den Vorfall und über den schnellsten Weg zur Unfallstelle geführt.

(aku)

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Niklas Reinhardt
  • Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS
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