COVID-19 Schutzausrüstung wurde im Frühjahr 2020 innerhalb weniger Tage zur Mangelware – in Deutschland und weltweit. Um Kliniken und medizinische Praxen trotzdem bestmöglich zu versorgen, mussten die wenigen verfügbaren Bestände möglichst effizient und bedarfsgerecht aufgeteilt werden. Fraunhofer-Forscher*innen haben deshalb eine Software entwickelt, mit der Entscheidende schnell eine nahezu optimale Zuteilung der knappen Ressourcen berechnen können.

Im März 2020 stiegen die Corona-Infektionen in Deutschland erstmals stark an. Weil parallel dazu auch die Nachfrage nach medizinischer Schutzausrüstung in aller Welt deutlich stieg, kam es zu erheblichen Engpässen bei den Lieferkapazitäten. Kliniken und Praxen konnten ihren Bedarf an Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln über die üblichen Beschaffungswege nicht mehr decken. Der Krisenstab der Bundesregierung beschloss deshalb, die Beschaffung und Verteilung der knappen medizinischen Schutzausrüstung zentral zu organisieren. Zuständig für die Zuteilung wurden nun die deutschlandweit über 400 Kreisverwaltungsbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte. Ab sofort standen sie dem kaum zu lösenden Problem gegenüber, viel zu wenig Schutzausrüstung so zu verteilen, dass ihr Einsatz eine möglichst hohe Wirkung erzielt. 

In der Kreisverwaltungsbehörde Nürnberger Land beispielsweise gingen daraufhin täglich die Anfragen der rund 400 Bedarfsträger*innen in der Region ein. Der zur Verfügung stehende Bestand aber konnte zeitweise nur zehn bis fünfzehn Prozent der angeforderten Mengen decken. Für die Entscheidung, wer – und wenn ja – wie viele Ressourcen erhalten kann, müssen die Verantwortlichen neben dem Bedarf weitere wichtige Kriterien berücksichtigen. Dazu gehört beispielsweise die Systemrelevanz der jeweiligen Einrichtung oder die Wahrscheinlichkeit des Kontaktes mit infizierten Personen. Zudem können Güter wie Handschuhe oder Desinfektionsmittel nicht beliebig aufgeteilt, sondern nur packungs- oder kanisterweise weitergegeben werden. »Die Lösung eines solchen Zuordnungsproblems ist komplex, denn es müssen zahlreiche Kriterien und deren Auswirkungen erfasst und beurteilt werden. Die Anzahl möglicher Kombinationen übersteigt das menschliche Vorstellungs- und Planungsvermögen bei weitem«, urteilt Markus Weissenbäck von der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS. Sein Team entwickelte deshalb innerhalb weniger Wochen eine Software, die eine möglichst optimale Zuteilung der knappen Ressourcen berechnen kann. Das Programm berücksichtigt Prämissen wie die Dringlichkeit eines Bedarfs ebenso wie Randbedingungen, zum Beispiel die Verpackungsgrößen. Das dafür von Fraunhofer SCS initiierte Forschungsprojekt »FACE – Fair and fast Allocation of scarce protection equipment« wurde von der Fraunhofer-Gesellschaft im Rahmen des Aktionsprogramms »Fraunhofer vs. Corona« unterstützt.

Knappe Ressourcen gerecht und sinnvoll verteilen

Zentrales Element der Software ist ein logisches Modell, das die einzelnen Berechnungsschritte des Programms festlegt, aber auch nachvollziehbar macht. Nutzer*innen sehen also, nach welchen Kriterien das Programm die Verteilung der einzelnen Schutzausrüstungen optimiert. »Bei Bedarf ist es möglich, die Logikregeln und die Parameter der Berechnungen zu ändern«, sagt Weissenbäck. Als Grundlage des Logikmodells ordneten die Forscher*innen gemeinsam mit den Verantwortlichen der Verwaltungsbehörde als erstes jede medizinisch relevante Institution einer Prioritätenstufe zu. Oberste Priorität erhalten beispielsweise die Kliniken mit Intensivstation, während nur gering systemrelevante Einzelpraxen ihre Bestellungen erst bei einem ausreichenden Bestand der jeweiligen Schutzausrüstung erhalten. In einem zweiten Schritt entwickelte das Team eine Entscheidungskaskade, ab wann die einzelnen Dringlichkeitsklassen bei der Zuteilung berücksichtigt werden. Ist ein festgelegter Mindestprozentsatz des Bedarfs der Einrichtungen mit höherer Priorität gedeckt, erweitert das Programm den Kreis der Empfänger*innen um die jeweils nächst niedrigere Prioritätsstufe. Zusätzlich sind in dem Logikmodell weitere Kriterien für die Zuteilung hinterlegt. Neben den Verpackungseinheiten der einzelnen Schutzgüter ist beispielsweise auch die Substitution von Bestellungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich. So könnte - falls sinnvoll - bei Knappheit von Schutzhandschuhen der Größe S Packungen mit der Größe M ausgeliefert werden.

Durch mathematische Optimierung zur bedarfsgerechten Verteilung

Grundlage der Berechnungen sind natürlich die vorhandenen Bestände und die Bedarfsanfragen. Die Werte dafür können die Zuteilungsteams direkt aus den jeweiligen Datenbanken in die Software übertragen. Bei der Aufteilung der Schutzgüter auf die einzelnen Einrichtungen versucht das Programm dann sämtliche Kriterien und Verteilungsregeln des logischen Modells möglichst umfassend zu erfüllen. »Für komplexe Zuordnungsaufgaben dieser Art gibt es allerdings bis heute keine allgemein gültigen Formeln, die das gesuchte Ergebnis direkt errechnen können«, betont Weissenbäck. Sein Team setzt daher eine spezielle Kombination mehrerer Optimierungsverfahren ein. Unter anderem betrachten sie dabei vorerst nur Teilprobleme der gesamten Aufgabenstellung. Anhand dieser Teilanalysen lässt sich der Entscheidungsraum näher eingrenzen. Beim nächsten Analyseschritt ist die Aufgabenstellung also bereits weit weniger komplex. 

Als Endergebnis liefert die Software dem Zuteilungsteam eine Liste mit einem Vorschlag für eine zumindest näherungsweise optimale Aufteilung der knappen Ressourcen auf die einzelnen Bedarfsträger*innen. Erste Testeinsätze des Programms im Landratsamt Nürnberger Land haben gezeigt, dass die Berechnungen eine faire und bedarfsgerechte Zuteilung erheblich schneller und einfacher machen. Aktuell können die Kliniken, Praxen und Pflegeeinrichtungen ihren Bedarf an Schutzausrüstung allerdings wieder über die normalen Beschaffungswege decken. Für den Fall aber, dass erneut eine zentrale Zuteilung knapper Ressourcen erforderlich wird, steht das von Fraunhofer SCS entwickelte Optimierungs-Tool weiter zur Verfügung. Per Webzugriff ließe sich die Cloud-Anwendung grundsätzlich deutschlandweit von jeder Verwaltungsbehörde nutzen. Zudem kann das Programm schnell auch an weitere Einsatzbereiche angepasst werden und beispielsweise den Katastrophenschutz bei einem Hochwasserereignis dabei unterstützen, Hilfsausrüstung oder Trinkwasser schnell und zielgerichtet zu verteilen. 

(ted)

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