Veranstaltungen im öffentlichen Raum stellen Sicherheits- und Rettungskräfte, aber auch die Organisationsteams und die zuständigen Ämter vor umfangreiche Aufgaben – von der Gewährleistung der Sicherheit der Besucher*innen bis zum Schutz der Anwohner*innen vor Lärmbelastung. Ein EU-weites Forschungskonsortium hat nun eine Technik entwickelt, mit der Verantwortliche die Kräfte vor Ort und den Einsatz von Material flexibel, schnell und sicher steuern können. Grundlage dafür ist eine Plattform, die vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT mitentwickelt und getestet wurde.

Mai 2019, Bonn. Der Großbildschirm in der Einsatzzentrale zeigt den Geländeplan des Veranstaltungsareals, das sich über die Grünflächen des Bonner Rheinufers erstreckt. Die Kartendarstellung zeigt im Überblick, wo sich Ein- und Ausgänge, die drei großen Bühnen, die Verkaufsstände für Speisen und Getränke, sanitäre Einrichtungen und Erste-Hilfe-Stationen sowie die Bewegungs- und Aufenthaltsräume der Besucher*innen befinden. Hier vom Lagezentrum aus koordiniert der Sicherheitsstab die Arbeit der Ordner*innenteams sowie der Einsatztrupps von Polizei, Rettungsdiensten und Feuerwehr. Soweit unterscheidet sich die Szenerie bei dem Feuerwerkspektakel Rhein in Flammen 2019 kaum von der Arbeit der Sicherheitsteams in den Vorjahren. Eines allerdings ist neu. Die Bildschirmansicht zeigt nun zusätzlich auch den Standort jedes einzelnen Einsatztrupps auf dem Gelände. Deshalb bewegen sich jetzt kleine Markierungen auf dem Lageplan live mit dem Weg der Einsatzkräfte. »Dieses Feature erleichtert die Koordinationsaufgaben des Sicherheitsstabs erheblich und kann in kritischen Situationen wie einem Feuer, einem Tumult in der Menge oder einem Erste-Hilfe-Einsatz den entscheidenden Zeitvorsprung bieten«, betont Constanze Ritzmann vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT.

Bisher musste die Zentrale erst regelmäßig über Funk die aktuelle Position der einzelnen Sicherheitskräfte auf dem Gelände erfragen, um den Status quo zu erfassen und zu entscheiden, wer wann wo am schnellsten eingreifen kann. Die Statusmeldungen zu erfassen kostet aber Zeit und Personal. Und es blockiert unter Umständen den Funkverkehr der Einsatzkräfte für Absprachen zur Bewältigung einer Notsituation. Im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten Projekts »MONICA – Management Of Networked IoT Wearables – Very Large Scale Demonstration of Cultural Societal Applications« entwickelten Wissenschaftler*innen von Fraunhofer FIT daher ein System zur Echtzeit-Positionsbestimmung speziell für Sicherheitspersonal und Einsatzkräfte, das sich flexibel und mit kurzer Vorbereitungszeit auf jedem beliebigen Veranstaltungsgelände installieren und verwenden lässt. Noch ist das System im Stadium eines Prototyps. Dennoch konnten die Fraunhofer-Forscher*innen im vergangenen Jahr die Sicherheitskräfte nicht nur bei »Rhein in Flammen«, sondern unter anderem auch beim Bonner Volksfest Pützchen‘s Markt unterstützen.

Sichere Koordination auch unter neuen Bedingungen

Die Vorteile einer Live-Positionsbestimmung für Sicherheitskräfte während einer Großveranstaltung zu nutzen, dürfte durch die von der COVID-19-Pandemie ausgelösten Situation künftig sogar noch wichtiger werden. Europaweit entwickeln Veranstalter*innen und Behörden derzeit neue, an die aktuelle Situation angepasste Konzepte für Geländegestaltung und Besucher*innenlenkung, um öffentliche Großveranstaltungen wieder ermöglichen zu können. Für die Organisations- und Sicherheitsteams bedeutet dies aber auch, dass über Jahre hinweg eingespielte Routinen nicht mehr funktionieren. Vielmehr sei es notwendig, die verschiedenen Einsatztrupps auf neuen, beispielsweise deutlich weitläufigeren Arealen sicher zu koordinieren. »Unser Live Positioning System könnte hierbei entscheidende Erleichterung bringen«, so Ritzmann.

Das Live Positioning System »LiPS«

Die vom Fraunhofer FIT entwickelten Positionsermittler haben in etwa das Aussehen und die Größe eines Funkautoschlüssels. Die Geräte lassen sich einfach an der Kleidung befestigen und so von jeder Einsatzkraft während der gesamten Veranstaltung ohne Beeinträchtigung bei der Arbeit tragen. Über eine leistungsstarke GNSS-basierte Ortung bestimmt das Gerät kontinuierlich seine Position und überträgt den Standort des oder der Träger*in drahtlos an die Einsatzzentrale. »Weil frei zugängliche Funkverbindungen über WLAN oder Mobilfunknetze bei größeren Menschenansammlungen gerade in kritischen Situationen schnell überlastet sind, verwenden wir ein separates Funknetz«, erklärt Ritzmann. Für die Datenübertragung nutzen die Entwickler*innen das im »Internet der Dinge« etablierte Long-Range-Funkprotokoll LoRa, das zuverlässige Funkverbindungen über Strecken bis zu fünf Kilometer ermöglicht. Als Signalempfänger dienen je nach Größe und örtlichen Gegebenheiten des Veranstaltungsareals eine oder mehrere LoRa-Antennen. Diese werden vor der Veranstaltung an geeigneten exponierten Stellen wie einem Kirchturm oder Bühnenaufbauten im Bereich des Veranstaltungsgeländes positioniert. In der Regel ist damit ein flächendeckendes Funknetz innerhalb von wenigen Stunden einsatzfertig installiert. Die Weiterverarbeitung und Visualisierung der Positionsdaten im Geländeplan erfolgt über eine spezielle IoT-Plattform, die die insgesamt 30 MONICA-Projektpartner aus ganz Europa gemeinsam entwickelt haben.

Das vom Fraunhofer FIT entwickelte Wearable erinnert in Größe und Form an einen Funkautoschlüssel. Beim Einsatz kann es einfach an der Kleidung befestigt werden und übermittelt dann live den Standort des oder der Träger*in. Bild: Fraunhofer FIT

IoT-Plattform mit Mehrwert

Die MONICA-Plattform bringt die Positionen der Einsatztrupps nicht nur live auf den Geländeplan der Bildschirme in der Kommandozentrale. Über Web-Browser sind auch dezentralere Zugriff auf die Programmfeatures der Plattform möglich. So stehen die Informationen der Plattform allen dazu berechtigen Personen jederzeit und an jedem Ort zur Verfügung. Vom Ordnungsdienst über Polizei bis zu Rettungsdienst und Feuerwehr. »Die webbasierte Anwendung lässt sich auf jeder Veranstaltung ohne Einrichtungsaufwand oder IT-Vernetzung zwischen den Kommunikationssystemen der einzelnen Organisationen ganz einfach gemeinsam nutzen«, ergänzt Ritzmann. Dies gelte aber nicht nur für das Echtzeit-Lokalisierungssystem der Sicherheits- und Rettungskräfte. Denn die MONICA-Plattform ist auch Herzstück weiterer Anwendungen, die die Projektpartner zur Unterstützung von Großveranstaltungen entwickelt haben. Um sie zu nutzen stehen in der Bildschirmdarstellung des Geländeplans mehrere Karteireiter zur Verfügung, mit denen sich verschiedene Layer über die Basiskarte legen lassen.

Ein Beispiel dafür ist eine Anwendung zur Unterstützung bei der Einhaltung von Lärmschutzauflagen. An die IoT-Plattform angebundene Schallpegelmessgeräte messen dabei während der Veranstaltung an verschiedenen Stellen des Areals die Lautstärke. Das zugehörige Programm ermittelt aus den Werten die Ausbreitung der Schallwellen und visualisiert die Verteilung der Lautstärkenpegel auf dem Geländeplan. Von dem Soundmonitoring profitieren beispielsweise die Tontechniker*innen. Sie nutzen die grafische Visualisierung der Schallausbreitung, um das Klangerlebnis der Besucher*innen auf den unterschiedlichen Bereichen des Veranstaltungsareals zu optimieren. Gleichzeitig sind Vertreter*innen des Ordnungsamts mit der Live-Darstellung des akustischen Geschehens in der Lage, die Einhaltung des Lärmschutzes für die Anwohner*innen kontinuierlich zu prüfen und bei einer Überschreitung ohne Zeitverzug eine Reduzierung der Musiklautstärke zu veranlassen.

Zusätzlich entwickelten und testeten die MONICA-Projektpartner ein ebenfalls über die IoT-Plattform gesteuertes System zur aktiven Lautstärkenreduzierung in sensiblen Bereichen rund um das Veranstaltungsgelände. Sie verwenden dafür ein ähnliches Prinzip wie die aktive Geräuschunterdrückung bei Kopfhörern. Mittels am Rand des Geländes installierten Boxen werden gezielt Gegen-Wellen ausgesendet, um die von der Veranstaltung ausgehenden Schallwellen zu dämpfen oder aufzuheben. Im Rahmen eines Feldtests des Adaptive Sound Field Control System bei einem Open-Air-Konzert im dänischen Roskilde konnten die Forscher*innen bereits eine Lärmreduzierung um mehr als zehn Dezibel erreichen, was in etwa einer Halbierung der empfundenen Lautstärke entspricht.

(stw)

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