Mit hundert Quantenbits und mehr rechnen sie bereits – zumindest im Experimentierbetrieb. Für einen gewinnbringenden Einsatz in Forschung und Industrie arbeiten die aktuellen Quantencomputer allerdings noch nicht leistungsfähig und zuverlässig genug. Um größere und robustere Systeme zu bauen, sind noch erhebliche Fortschritte in der Technologieentwicklung erforderlich – von den Quantenbit-Systemen selbst bis zu ihrer Elektronikperipherie. Eine bayerische Forschungskooperation will den Quantencomputerbau nun vom Experimentierlabor in die industrielle Fertigung bringen.

Der Anblick ist vertraut: Ventilator und Kühlkörper versperren den Blick auf das Herz des Computers. Denn das Kühlsystem, das den Prozessor vor Überhitzung schützt, ist erheblich größer als die CPU selbst. Beim Quantencomputing auf der Basis von künstlichen Atomen mit Hilfe von Supraleiter-Technologie ist die Dominanz des Kühlsystems noch um ein Vielfaches mächtiger: Auch hier benötigt der Rechenchip selbst zwar nicht mehr Platz als ein herkömmlicher Prozessor. Dennoch hat der gesamte Quantencomputer die Ausmaße eines raumgroßen Schranks. Raumgreifend ist vor allem das integrierte Kryostat-System: Bei einem Quantenchip reicht es nicht, anfallende Abwärme abzuführen. Er muss vielmehr auf eine Temperatur im Millikelvin-Bereich (mK-Bereich) heruntergekühlt werden. Denn erst in einer Umgebung, die kälter ist als das Weltall, lassen sich die quantenmechanischen Effekte nutzen, die das Rechnen mit supraleitenden Qubits ermöglichen.
Das aufwendige Kühlsystem verdeutlicht augenscheinlich die hohen technischen Anforderungen, die ein supraleitender Quantencomputer im Vergleich zur klassischen Rechnerwelt erfüllen muss. Es gibt aber noch viele weitere technologische Herausforderungen, die den Bau und den Betrieb leistungsfähiger Qubit-Rechner (derzeit noch) erschweren oder sogar verhindern. »Extreme Kälte erzeugen ist dabei noch eine der einfacheren Aufgaben. Weit schwieriger ist es, das System im nahen Umfeld der Qubits auf Tiefsttemperaturniveau zu bringen und gleichzeitig aber die daran angrenzende Technik auf einem höheren Temperaturniveau betreiben zu können. Um das System effizient zu gestalten, müssen einerseits die Abwärme der unmittelbar angeschlossenen Technik, aber auch deren räumliche Abmessungen auf ein Minimum beschränkt werden«, erklärt Dr. Thorsten Edelhäußer vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS.

Komplexes Temperaturmanagement

Während eine Betriebstemperatur nahe dem absoluten Nullpunkt für die Quantenbits zwingend erforderlich sei, wäre sie für die gesamte Elektronikperipherie um den Quantenchip herum schlicht »funktionsfeindlich«. Denn dieselben quantenmechanischen Effekte, die ein Qubit-System erst ermöglichen, stören beziehungsweise zerstören das Normalverhalten der Elektronikkomponenten - vom Verbindungskabel bis zum Steuergerät.
Der technologisch zu bewältigende Spagat zwischen der wirksamen Trennung der stark heterogenen Temperaturniveaus einerseits und ihrer leistungsfähigen Vernetzung andererseits ist entscheidend, um Quantencomputer mit vielen Qubits und in größeren Stückzahlen zu bauen.
Die extremen Temperaturanforderungen spielen aber nicht nur beim Rechnerbetrieb, sondern bereits bei der Herstellung von leistungsfähigen Quantenchips eine zentrale Rolle: »Für die Produktion von Qubits jenseits der Einzelfertigung im Labor sind neue Verfahren und Prozesse erforderlich, die sowohl die präzise Fertigung bei Normaltemperatur sichern als auch die Charakterisierung und Funktionsprüfung jedes Qubits bei Tiefsttemperatur ermöglichen«, betont Simon Lang von der Fraunhofer-Einrichtung für Mikrosysteme und Festkörper-Technologien EMFT.

Tausend Qubits und mehr ermöglichen

Beide Forscher, Edelhäußer und Lang, gehören zu dem rund 75-köpfigen Wissenschaftler*innenteam des Projekts »SHARE – Scalable Hardware & Systems Engineering«, an dem neben Fraunhofer IIS und EMFT auch Forscher*innen vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB sowie der Technischen Universität München und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beteiligt sind. Das Konsortium entwickelt Lösungen für die zwei essenziellen Technologiebereiche, die für stabil funktionierende Quantencomputer maßgeblich auf Basis von Superconducting Qubits aber auch Trapped Atom Qubits mit perspektivisch vierstelligen Qubit-Bestückungen notwendig sind: Die Architektur mit den Komponenten für die Quanten-Computing-Ansteuer-Hardware sowie die Siliziumfertigungstechnologien für Qubit-Systeme im industriellen Maßstab.

Verzahnung der Hardwarewelten

Jedes einzelne Qubit braucht einen physischen Anschluss an die »Außenwelt«. Sogar mehrere davon. In der Regel ist jedes Qubit mit zwei bis drei Leitungen an die Computerelektronik angebunden. Bei Quantencomputern mit relativ wenigen Qubits, wie sie zumindest im Experimentierstatus bereits in Betrieb sind, lassen sich diese Verbindungen noch mit herkömmlichen Kabeln und Elektronikkomponenten realisieren. »Mit jedem Qubit mehr aber wird der Platz für die Anschlüsse immer knapper, bis er bei mehreren Tausend erforderlichen Leitungen und Verwendung herkömmlicher Kabel und Elektronikkomponenten schlicht nicht mehr ausreicht. Außerdem ist jede einzelne Verbindung eine zusätzliche Wärmebrücke, die den individuellen Kühlaufwand am Quantenchip erhöht und mit jedem zusätzlichen Zentimeter Leitungslänge erfordert der Datentransfer mehr Energie, erzeugt also nochmals mehr Wärme«, beschreibt Edelhäußer.
Eine Arbeitsgruppe des SHARE-Projekts entwickelt deshalb einen speziellen Chip zur Ansteuerung, dessen integrierte Schaltungen noch bei einer Temperatur von -269 C (vier Kelvin – 4 K) zuverlässig funktionieren. Das sind zwar immer noch 4 C wärmer, als in der Qubit-Temperaturzone herrschen dürfen, aber dafür sind die Störungen der Elektronik durch supraleitende Effekte hier noch verhältnismäßig gering. Zudem sei es nun möglich, die Elektronikkomponente sehr nahe an den Quantenchip heranzubringen und äußerst platzsparend mit ihm zu verschalten.

Arbeit in der Nähe des absoluten Nullpunkts

Ziel der Forscher*innen ist außerdem, möglichst viele Prozesse, die zum Ansteuern und Auslesen der Qubits nötig sind, in die neuartigen Elektronikkomponenten der 4 K-Temperaturebene zu integrieren. Über die Leitungsbahnen, die von dort zur übrigen Rechnerelektronik im Normaltemperaturbereich führen, müssen dann nur noch wenige Steuersignale und komprimierte Dateninformationen fließen.
Die Kombination aus der neuartigen, äußerst energieeffizienten Elektronikarchitektur und den sehr kälteresistenten und hochkompakten Steuerungschips soll nicht nur das Hochskalieren der Qubit-Anzahl ermöglichen. Gleichzeitig wollen die Forscher*innen damit auch die Güte der Ansteuerungssignale optimieren, um zuverlässigere Quantencomputer zu bauen.

Qubits vom Band

Das Herzstück der zukünftigen Quantencomputer werden Quantenchips mit mehr als tausend Qubits sein. Diese gilt es möglichst effizient zu produzieren. Eine zweite Arbeitsgruppe des SHARE-Konsortiums entwickelt deshalb die Verfahren und Technologien, die für eine Qubit-Produktion in Industriemaßstab erforderlich sind. Der grundlegende Herstellungsprozess ist dabei ähnlich der Chipproduktion in der klassischen Computertechnologie: An der Fraunhofer EMFT verwenden die Forscher*innen dafür 200 mm Siliziumwafer, auf denen sie im Reinraum mittels Ätz- und Sputterprozessen oder im Plasmaverfahren die gewünschten elektronischen Schaltkreise und Objekte aufbringen. »Bei einem Quantenchip sind die Strukturen allerdings extrem klein. Sie müssen bis auf die atomare Ebene hochpräzise angelegt werden«, erläutert Lang. Die dafür eingesetzten Prozesse und Verfahren müssen die Wafer also noch erheblich kleinteiliger und hochgradig exakt bearbeiten. Und zwar nicht nur bei der Erzeugung der Quantenobjekte selbst. Weitere Komponenten müssen auf dem Wafer ebenso qualitativ hochwertig integriert werden. Eine davon sind die Resonatoren, die die Steuerung der Qubits mittels Mikrowellenstrahlung übernehmen. Ein weiteres, zentrales Schaltungselement sind die Josephson Junctions. Das sind hochpräzise gesetzte Supraleiter-Nichtleiter-Supraleiter Übergänge in den Qubit-Schaltkreisen. Sie schaffen die Voraussetzung, um mit den Quantenbits zu rechnen, weil sie aus den unzähligen möglichen Energieniveaus eines Quantenobjekts zwei klar definierte Zustände isolieren können.

Zuleitung auf einem Quantenchip unter dem Mikroskop: In der Fertigung müssen die elektronischen Schaltkreise mikrometergenau positioniert werden. Die Qualität der Ausführung zeigt sich erst im Test bei Temperaturen im Millikelvin-Bereich. Bild: Fraunhofer EMFT

Für eine industrielle Qubit-Produktion müssen aber nicht nur die Wafertechnologien angepasst und weiterentwickelt werden. »Ein gravierender Unterschied zur klassischen Chipherstellung ergibt sich auch hier aus den Tiefsttemperaturanforderungen der Qubits«, so Lang. Denn Qualitätskontrollen und Leistungstests jedes auf den Wafer aufgebrachten Qubit-Systems sind bei Raumtemperatur nur bedingt möglich und müssen bei Betriebstemperatur im mK-Bereich durchgeführt werden. Die Forscher*innen entwickeln daher auch neue Kryostat-Kühlprozesse und Prüfverfahren für die Qubits und erproben, wie sich diese zusätzlichen Prozessschritte in die Quantenchipfertigung integrieren lassen. »Unser Ziel ist es, von vielen hundert bis über tausend Quantenbits sehr kompakt auf einem Wafer zu platzieren, in einem sehr effizienten Gesamtprozess herzustellen und dabei eine weitestgehend gleich hohe Qualität und Leistung für jedes einzelne Qubit zu gewährleisten«, fasst Lang zusammen.

Ein Exzellenzzentrum für Quantencomputing schaffen

SHARE ist eines von insgesamt sieben Forschungskonsortien der vom Bundesland Bayern geförderten Initiative »Munich Quantum Valley (MQV)«. Zweck der Forschungsinitiative ist der Aufbau eines Kompetenznetzwerks für Wissenschaft und Unternehmen im Bereich der Quantenwissenschaften und Quantentechnologien. MQV bündelt international herausragende Kompetenzen bayerischer Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen etwa in der Tieftemperaturforschung, der Mikro- und Nanotechnologien oder der Low-Power-Elektronik, um die Entwicklung von Quantencomputern in Bayern und Deutschland zu fördern. Die Partner des MQV beteiligen sich zusätzlich an der nationalen Quantenstrategie Deutschlands, unter anderem in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt »MUNIQC-SC« mit der Entwicklung und dem Bau von Demonstratoren für Quantencomputer mit supraleitenden Qubits.

(stw)

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