Weil Quantencomputer die Lösung von hochkomplexen Aufgaben ermöglichen, kann ihr Einsatz Industrieunternehmen einen technologischen Vorsprung verschaffen. Allerdings ist auch das Nutzen der gigantischen Rechenleistung hochgradig anspruchsvoll und für einzelne Unternehmen kaum zu bewältigen. Im Projekt QuaST wollen Forscher*innen des Fraunhofer IKS ihnen den quantentechnologischen Einstieg deshalb so einfach wie möglich machen. Projektleiterin Jeanette Lorenz erklärt, wie das aussehen könnte und welche Schwierigkeiten noch überwunden werden müssen.

Hallo Frau Lorenz, das Projekt QuaST symbolisiert so etwas wie die ureigene Aufgabe der Fraunhofer Institute: Die »Verlinkung« von Wissenschaft und Forschung mit der industriellen Anwendung.

Allerdings ist die Verlinkung, wie Sie es nennen, deutlich komplizierter als es die Frage suggeriert. Denn auf der einen Seite werden wir seitens der Auftraggeber und Auftraggeberinnen, aber auch seitens der Industrie mit einer Vielzahl von Erwartungen konfrontiert. Das gilt insbesondere im Bereich des Quantencomputing, bei dem wir eine rasante Entwicklung bei der Hardware erreicht haben. Auf der anderen Seite aber wird es immer schwerer, die Frage: »Was mache ich mit meinem Wissen, wo setze ich es am produktivsten ein?« qualifiziert zu beantworten. Es gibt also eine sehr markante Lücke zwischen den theoretischen Vorzügen der aktuellen Quantencomputing-Hardware und den tatsächlichen Hilfestellungen bei einem Einsatz in Industrieunternehmen.

 

Wobei die Lücke vermutlich nicht nur technischer und informeller Natur ist. Interesse an Quantenphysik ist selten zu finden in der Wirtschaft.

Das wäre ein Trugschluss. Natürlich sind Quantenphysik oder Quantenmechanik sehr schwierige Konstrukte, trotzdem aber dürfen Sie nicht unterschätzen, wie viele Physiker und Physikerinnen in Unternehmen arbeiten und das Thema nun sehr interessiert aufnehmen. Aber nicht nur bei Ihnen ist die Neugier deutlich größer als die Scheu vor der Komplexität. Zumal der praktische Nutzen immer offensichtlicher wird.

 

Den praktische Nutzen von Quantencomputern herauszuarbeiten ist der Kern von QuaST.

Ja, aber wichtig ist es auch, sich vorab klarzumachen, welche Funktion Quantencomputer für einen Betrieb übernehmen können, denn sie werden klassische Computer nicht ersetzen. Ihre Aufgaben liegen in anderen Bereichen. Hier setzt unser Projekt »Quantum-enabling Services und Tools«, kurz: QuaST zunächst an.

 

Sie haben dafür einzelne Problemklassen definiert.

Richtig. Wir haben da drei Klassen definiert. Die erste Klasse sind Simulationsprobleme. Hier gibt es wiederum zum einen Simulationsprobleme, bei denen es prinzipiell schon um quantenmechanische Eigenschaften geht. Dazu gehören die Materialforschung oder pharmazeutische Anwendungen wie Medikamentenneuentwicklungen oder der Vergleich der Wirkweise von Medikamenten. Und zum anderen gibt es Simulationsprobleme, bei denen eher das Lösen von partiellen Differenzialgleichungen im Vordergrund steht. Letztlich sind das klassische mathematische Aufgaben, deren Berechnung aber hochgradig komplex ist, wie das beispielsweise bei Verkehrsflusssimulationen der Fall sein kann.

Die zweite, große Klasse, die wir definiert haben, sind Optimierungsprobleme. Hier geht es darum, bei unterschiedlichsten Anwendungsfällen den jeweils besten Weg zu finden. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere Zusammenarbeit mit Infineon: Gemeinsam mit dem Chipentwickler wollen wir eine optimale und reibungslose Auslastung seiner Fabriken erreichen. Andere Beispiele kommen aus dem Bereich betriebswirtschaftlicher Analysen und dem Risikomanagement. Hier geht es darum, anhand historischer Daten aktuelle Risikoentwicklungen abzuschätzen oder Energienetzwerke so zu steuern, dass sie nicht überlastet sind.

Und bei der dritten Klasse geht es um das maschinelle Lernen in seiner Gesamtheit. Der Vorteil dabei: Beim maschinellen Lernen kann ich auf Subroutinen zurückgreifen, die auf einem Quantencomputer so gut laufen, dass Trainingsiterationen reduziert werden können.

 

So vielschichtig und vielversprechend die Chancen in jedem dieser Bereiche sein mögen: Die wenigsten werden sich einen Quantencomputer kaufen wollen.

Natürlich wird sich auf erstmal niemand einen Quantencomputer in sein Unternehmen holen. Auch wenn es erste Testläufe mit einer Art Desktop-Quantencomputer gibt, ändert das nichts daran, dass die meisten Quantencomputer für den Betrieb beispielsweise sehr niedrige Temperaturen benötigen und Störeinflüssen gegenüber sehr gut abgeschirmt sein müssen. Nach meiner Einschätzung werden sie deshalb weiterhin vor allem über eine Cloud laufen. Über sie haben Unternehmen sicheren Zugriff auf professionell gepflegte Rechen-Ressourcen und bei Bedarf auch auf die Expertise von Fachleuten an den Quantencomputerstandorten, die sie nutzen können.

 

Das Problem ist aber vermutlich nicht nur der Standort, sondern auch die Formulierung der jeweiligen Fragestellung und die schon erwähnte Zusammenarbeit mit klassischen Computersystemen.

Richtig. Wir brauchen hybride Algorithmen, die das Zusammenspiel zwischen beiden Systemen sicher und extrem schnell koordinieren. Eine der Zielsetzungen in unserem Projekt ist es deshalb, einen Baukasten beziehungsweise Services zur Verfügung zu stellen, damit dem Endanwender oder der Endanwenderin durch das Nutzen von Quantencomputern möglichst wenig Aufwand entsteht.

 

Was bedeutet das konkret für ein Unternehmen?

Wenn ein Quantencomputer für eine spezifische Aufgabe eingesetzt werden soll und kann, erstellen wir für das Unternehmen eine automatisierte Anleitung, um klassische Rechensysteme und Quantencomputer bestmöglich aufeinander abzustimmen. Wir tragen dabei Sorge für die Teile, die der Quantencomputer übernehmen kann, und begleiten das Unternehmen Schritt für Schritt durch den Prozess. Ein Anwender oder eine Anwenderin benötigt also kein tieferes Verständnis für die Bereiche des Quantencomputing, das Einarbeiten in Dutzende von Büchern und das Absolvieren aufwendiger Lehrgänge sind dann passé. Das ist unser erklärtes Ziel. Aber um unser Angebot unter Umständen noch niedrigschwelliger zu machen, wäre es sogar denkbar, einen digitalen Entscheidungsbaum aufzubauen, der den Nutzer oder die Nutzerin dabei unterstützt, das jeweilige Problem Schritt für Schritt mathematisch zu definieren.

 

Das hört sich eher nach deutlich mehr organisatorischen Aufgaben für Ihr Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS an als das für ein Forschungsprojekt üblich ist.

Sie sollten die Vielzahl der organisatorischen Aufgaben nicht unterschätzen, die mit jedem Forschungsprojekt verbunden sind. Außerdem sind an diesem Projekt sieben ausgesprochen kompetente Partner und Partnerinnen beteiligt. Dazu gehört neben dem Fraunhofer IKS das Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS sowie das Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB. Neben diesen Fraunhofer-Instituten sind auch das Leibniz-Rechenzentrum und die Technische Universität München (TUM) dabei – ebenso wie als Industriepartner und Industriepartnerinnen die DATEV eG, Infineon, IQM und ParityQC. Projektträger ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Für uns alle gibt es bei QuaST eine Menge wissenschaftlicher Hürden, die wir je nach Kompetenzbereich angehen. Allerdings – und das ist uns bei diesem Projekt wichtig – möglichst immer mit Bezug auf konkrete Fragestellungen der beteiligten Unternehmen. Wir müssen bei all diesen Problemen nicht einfach »nur« die Frage beantworten, welche Aufgaben ein Quantencomputer nun ganz genau übernehmen soll. Wir müssen diese Aufgaben auch in einzelne Problembereiche aufteilen und diese Dekompositionen in eine mathematische Sprache überführen. Dann müssen wir daran arbeiten, wie die Algorithmen effizienter und komprimierter gestaltet und auf die Arbeitsweise eines Quantencomputers heruntergebrochen werden können, damit nicht nur künftige, sondern auch bereits aktuelle Quantencomputer damit klarkommen. Außerdem müssen wir die Frage beantworten, wie die zur Verfügung stehenden Daten für einen Quantencomputer überhaupt nutzbar gemacht werden können und wir die Quantencomputer-Hardware so effizient wie irgend möglich nutzen. Und wir müssen über Robustheitsanalysen sicherstellen, dass diese ganzen Zerlegungs- und Übersetzungsprozeduren korrekt ausgeführt werden. Denn nur so können wir gewährleisten, dass das Ergebnis tatsächlich stabil ist.

 

Das Projekt ist gerade erst angelaufen und soll schon 2024 beendet sein. Wie ausgereift könnte ein Quantencomputer-Angebot für die Industrie in zwei Jahren sein?

QuaST ist noch zu frisch, um hier schon eine exakte Ziellinie zu definieren. Aber ich gehe davon aus, dass es uns in zwei Jahren gelungen sein könnte, die Lösungen einzelner Anwendungsfälle durch einen Demonstrator auch praktisch vorzuführen. Im Idealfall hätten wir dann sogar auch den Proof of Concept erbracht, dass man die für die spezifischen Use Cases entwickelten Prozeduren auch für weitere Anwendungen nutzen kann.

(hen)

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Jeanette Lorenz
  • Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS
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