In Deutschland existiert das einzigartige Fraunhofer-Netzwerk Quantencomputing, das theoretische Expertise und anwendungsnahe Fachkompetenz kombiniert. Frau Dr. Hannah Venzl, die Leiterin der Geschäftsstelle des Netzwerks, erklärt im Interview, welche Vorteile das für Unternehmen und andere Interessierte hat, wie konkrete Anwendungsfälle im Quantencomputing aussehen und was man tun muss, um den ersten vollintegrierten Quantencomputer auf deutschem Boden zu nutzen.

Der erste Teil des Interviews erschien am 25. Mai und setzte sich mit der aktuellen Generation der Quantencomputer und mit dem Potenzial des Quantencomputing für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland auseinander.

Frau Dr. Venzl, was zeichnet den Quantencomputer IBM Q System One in Ehningen technisch aus?

»Den« IBM Q System One gibt es so nicht. Es handelt sich hierbei eher um eine Klasse von Quantencomputern, die ersten schaltkreisbasierten, kommerzielle Quantencomputer der Welt, die von IBM im Januar 2019 vorgestellt wurden. Unser IBM Q System One ist ein 27-Qubit-Computer mit einem Quantenvolumen von derzeit 32.

Als kurze Erläuterung: Die Qubit-Zahl ist nur ein wichtiges Maß bei der Klassifizierung der Leistung des Quantencomputers. Das andere ist die Qualität: Wie stabil sind die einzelnen Qubits? Wie präzise können sie angesteuert werden? Wie sauber ist die Verschränkung? Wie robust sind die präparierten Zustände? Wie groß die Rechenfehler? IBM hat dafür ein Maß eingeführt – das sogenannte Quantum Volume oder Quantenvolumen – ein Benchmark, das die Höchstleistung beschreibt, die der Quantencomputer erzielen kann.

Bietet denn der Standort Deutschland für die Nutzer des Systems einen Vorteil gegenüber den USA oder China? Schließlich sammelt sich dort auch viel Expertise.

Das kann man eindeutig bejahen. Der IBM Q System One in Ehningen wird auf deutschem Boden, vollständig unter deutschem Recht und europäischen Datenschutzbestimmungen betrieben. Das liegt auch daran, dass wir einen Vertrag mit der IBM Deutschland GmbH geschlossen haben und nicht mit der Muttergesellschaft in den USA. Sowohl die personenbezogenen Benutzerdaten als auch die Projektdaten bleiben zu jeder Zeit in Deutschland. Das System in Ehningen ist komplett autark - es gibt keine Ankopplung an die in den USA betriebenen Cloud-Systeme. Auf diese haben wir aber zusätzlich Zugriff über ein getrenntes Interface.

Für den Datenschutz ist also gesorgt. Für welche Anwender*innen wäre die Nutzung der Rechenpower des Quantencomputers interessant?

Im Prinzip ist die Nutzung offen für alle Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben. Es ist v.a. für alle spannend, die wissen wollen, ob sich Quantencomputing für ihre Probleme eignet – im Prinzip alle Branchen von der Logistik über die industrielle Fertigung, das Energie- und Finanzwesen bis zur pharmazeutischen Industrie. Unser Angebot richtet sich an ein breites Spektrum an Interessent*innen: An das Top-Management  eines Unternehmens, das sich mit dem Thema auseinandersetzen möchte genauso wie an Programmierer*innen, die selbst Algorithmen entwickeln und testen wollen. Natürlich ist die Nutzung des Quantencomputers auch intern für die Fraunhofer-Gesellschaft besonders interessant, da wir darüber unsere Expertise ausbauen und unseren Kunden einen besseren Einblick in die möglichen Anwendungsgebiete geben können.

Schauen wir auf konkrete Anwendungsfälle: Welche Projekte, für die der Quantencomputer genutzt werden soll, sind für 2021 bisher geplant?

Es gibt momentan verschiedene Vorhaben, bei denen man die Grenzen ausloten und schauen möchte, für welche Probleme sich real existierende Quantencomputer eignen. Eines der in Baden-Württemberg geförderten Projekte heißt »QuESt« und beschäftigt sich damit, den IBM-Quantencomputer zur Materialsimulationen für elektrochemische Energiesysteme einzusetzen und zu erproben. Es geht also um ein etabliertes Feld, bei dem die Forschungsgrenzen durch den Quantencomputer erweitert werden sollen.

Ein weiteres praxisnahes Projekt lautet »EFFEKTIF« und setzt sich mit der raschen und effizienten Fehlerkorrektur beim Betrieb systemrelevanter öffentlicher Infrastruktur auseinander, etwa für die Wasser- und Stromversorgung oder Kommunikation. Zwar können diese Strukturen schon jetzt modelliert werden, aber eine Simulation und Problemlösung in Echtzeit ist aufgrund der vielen involvierten Faktoren kaum zu erreichen. Daher sollen diese Netzwerkstrukturen Quantennetzwerke abbilden und zu modellieren.

Das Fraunhofer-Kompetenznetzwerk Quantencomputing erstreckt sich inzwischen über ganz Deutschland – gleichzeitig existieren verschiedene Kompetenzzentren. Wie hängen die Einrichtungen miteinander zusammen und was ist der Vorteil der vielen Standorte?

Momentan gibt es sieben Kompetenzzentren – jedes wird durch die Expertise von einem oder mehreren Fraunhofer-Instituten befeuert. Drei der Zentren sind bereits gestartet, beispielsweise das Zentrum in Baden-Württemberg. Hier steht der Quantencomputer IBM Q System One in Ehningen und es wird sich mit Optimierung, Quantenhardware und hybriden Computersystemen auseinandergesetzt. Die Landesregierung hat zudem kürzlich eine Förderung in Höhe von 19 Millionen Euro ausgeschüttet, wobei sechs Verbundprojekte unter Beteiligung verschiedener Fraunhofer-Institute gefördert werden. Im Zentrum in Rheinland-Pfalz fokussiert man sich eher auf Quanten High Performance Computing. Ein drittes operierendes Zentrum ist in Bayern mit dem Projekt »Bay|QS«, bei dem sich auf Sicherheit und Robustheit neben der Plattformentwicklung fokussiert wird. Die restlichen vier Zentren sind noch in Gründung und werden sich ebenfalls diesen und anderen Themen widmen, z.B. in Berlin, Sachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Das Kompetenznetzwerk bündelt die Expertise der verschiedenen Fraunhofer-Institute und -Kompetenzzentren auf harmonische Weise. Man benötigt einen guten Überblick über das Thema, wenn man sich in dem Feld behaupten und es an mögliche Kunden herantragen möchte, denn die Einstiegshürden sind höher als bei anderen Themen. Daher sind die Fachkenntnisse, die wir als Fraunhofer-Gesellschaft zu dem Thema besitzen, auch so wertvoll. Hinzukommt natürlich die regionale Komponente. Viele mittelständische Unternehmen arbeiten gerne mit langjährigen gut vernetzten Partnern aus der näheren Umgebung zusammen.

Die Expertise des Quantencomputing-Netzwerks und die Rechenpower des Quantencomputers sollen auch externen Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Wie sieht das im Detail aus?

Wir bieten hier zum einen ganz klassische Forschungs- und Entwicklungsprojekte als auch Auftragsforschung an, bei denen das komplette Fraunhofer-Netzwerk Quantencomputing mit seinen Fachkenntnissen zur Verfügung steht. Die Nutzung des Quantencomputers IBM Q System One in Ehningen ist momentan ausschließlich für die Fraunhofer-Gesellschaft und Partner möglich. Technisch wird das über einen Remote-Zugang per Webinterface realisiert. Dann haben wir neben dem Exklusivzugriff auf den Quantencomputer in Ehningen auch die Zugriffsmöglichkeit via Cloud auf die US-amerikanischen IBM-Systeme. Die Quantencomputer können in gemeinsamen Projekten genutzt werden, etwa in geförderten Verbundprojekten mit Forschungspartnern, als auch im Bereich der Auftragsforschung innerhalb eines Industrieprojekts.

Unternehmen können auch eigenständig auf unsere Infrastruktur zugreifen. Dafür wird mit uns als Fraunhofer-Gesellschaft ein Zugriffs- und Lizenzvertrag abgeschlossen, in dem alle Details geregelt werden. Danach können die entsprechenden Partner innerhalb eines personenbezogenen Ticketsystems auf den Quantencomputer und die zugehörigen Cloud-Systeme zugreifen.

Zusätzlich bieten wir mit der Fraunhofer Academy Weiterbildungen für verschiedene Zielgruppen an. Es gibt Angebote für Einsteiger*innen und Fortgeschrittene die Quantencomputing für ihre Aufgabenstellungen nutzen wollen, für Entscheidende und Manager*innen. Wir sind dabei, unser Schulungsangebot kontinuierlich auszubauen, um die Industrie zu befähigen, dieses innovative Thema für sich nutzbar zu machen. Als Physikerin, Mathematiker*in oder Informatiker mit gewissen Vorkenntnissen kann man unsere Systeme schnell eigenständig bedienen. Möchte man selbst Algorithmen für den Quantencomputer entwickeln, muss man natürlich tief ins Thema einsteigen.

Am 26. und 27. Mai findet der Bitkom Quantum Summit 2021 statt. Die Fraunhofer-Gesellschaft wird an beiden Tagen Teil des Programms sein. Vom Fraunhofer-Kompetenznetzwerk Quantencomputing werden sich u.a. dessen Sprecher, Prof. Dr. Manfred Hauswirth, und der Direktor des Netzwerks, Raoul Klingner, mit eigenen Beiträgen einbringen. Hier geht es zum Programm.

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