Im Kompetenzzentrum »ROBDEKON« entwickeln Forschungsinstitute und Industrieunternehmen Robotersysteme für den Einsatz in menschenfeindlichen und gesundheitsgefährdenden Umgebungen. Herausragend dabei ist unter anderem »ALICE« (Autonomous Large Intelligent Crawler Excavator) – ein 24 Tonnen schwerer, selbstständig agierender Bagger, den ein Team am Fraunhofer IOSB entwickelt hat. Der Roboter-Bagger soll dabei helfen, Giftfässer und andere Gefahrenobjekte auf Altdeponien zu bergen oder kontaminiertes Erdreich abzutragen. Und das weitgehend ohne auf einen Fahrer oder Bediener angewiesen zu sein.

Momentan fährt und gräbt der Roboter-Bagger ausschließlich auf dem Freigelände rund um die ROBDEKON-Halle in Karlsruhe. Noch »sitzt« währenddessen auch ein Laptop auf dem Fahrersitz. Und bis jetzt steuert ein Mitglied des Entwicklerteams den Bagger auf Sichtweite über einen handelsüblichen Spielecontroller. Das aber wird sich in den kommenden Monaten ändern, wenn alle Komponenten des Robotersystems fertig installiert und getestet sind. »Wir proben bereits das Zusammenspiel zwischen der Maschinensteuerung und den Datenschnittstellen zu unseren Steuerungsprogrammen unter realen Arbeitsbedingungen«, erklärt Dr. Janko Petereit vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB.

Parallel dazu stattet Petereits Team seinen Bagger noch mit Sensorsystemen zur Lokalisierung und Umwelterfassung aus. Danach wird die Baumaschine als Robotersystem alle Voraussetzungen erfüllen, um Arbeitsaufträge nicht nur ferngesteuert, sondern Schritt für Schritt selbstständig zu übernehmen. Die Rolle des Bedieners übernimmt dann ein Autonomiesystem, das ebenfalls am Kompetenzzentrum ROBDEKON (siehe dazu auch InnoVisions-Beitrag »Wall-E’s Kollegen kommen«) entwickelt wird. Gemeinsam mit Partnerinstituten und -unternehmen entwickeln die Forscher*innen vom Fraunhofer IOSB dazu eine universell einsetzbare Autonomie-Toolbox, die verschiedenste Robotersysteme – von der Baumaschine bis zu Laufrobotern –in dazu befähigt, die an sie gestellten Aufgaben selbsttätig zu planen und durchzuführen.

Next Generation Baumaschine als Basis

Optisch unterscheidet sich der Roboter-Bagger kaum von seinen marktgängigen Kollegen. Dennoch ist er alles andere als ein Produkt von der Stange. Die Maschine besitzt eine Sonderausstattung, die am Liebherr-Entwicklungszentrum in Frankreich speziell für das Forschungsprojekt entwickelt und integriert wurde. Der Next Generation Bagger ist durchgehend digitalisiert. Sämtliche Antriebe, Gelenke und Hydrauliksysteme sind mit elektronischen Sensor- und Steuerungskomponenten ausgerüstet. Alle Funktionen lassen sich über eine Datenschnittstelle auch von einem externen Computersystem aus ansteuern.

Möglich wird das durch ein Digitalisierungskonzept, dessen Anforderungen die IOSB-Spezialist*innen für Robotik und Automation gemeinsam mit Ingenieur*innen des Baumaschinenherstellers erarbeitet haben. »Die Datenschnittstelle ist so gestaltet, dass wir letztlich nur die Geschwindigkeit vorgeben, mit der sich beispielsweise der Baggerlöffel öffnen soll. Der Bagger übersetzt den Befehl selbstständig in den dafür erforderlichen technischen Werteverlauf des Hydraulikdrucks, der Antriebsleistung oder der Gelenkwinkel«, erklärt Petereit. Weil Liebherr dem Forscherteam den Bagger auch digital, also als 3D-CAD-Modell zur Verfügung gestellt hat, können die Forscher*innen viele der Teilschritte bereits vorab virtuell in der Simulation durchführen und so verbessern.

Zusatzausstattung Umgebungserkennung

»Damit der Bagger über einen räumlich entfernten Leitstand gesteuert werden und später dann auch autonom agieren kann, ist es grundlegend wichtig, dass seine Steuerzentrale immer weiß, wo genau er sich befindet und was in seiner Umgebung vor sich geht«, betont Petereit. Sein Team stattet das Baufahrzeug dazu aktuell mit zusätzlicher Sensortechnik aus. Dazu gehören neben einer hochpräzisen GPS-Ortung, ein Stereokamerasystem mit zusätzlichem Infrarotkanal sowie vier Laserscanner, die die Umgebung zehnmal pro Sekunde scannen. Die optimale Auslegung des Multisensor-Erfassungssystems und das Zusammenspiel von Daten und Auswertung haben die Forschenden ebenfalls am 3D-CAD-Modell entwickelt und simuliert. »Die Simulationen sind wichtig für uns, um verschiedene Kameraoptiken zu vergleichen und die optimale Anbauposition der einzelnen Komponenten festzulegen«, so Petereit.

Nach Aufbereitung und Fusion der erhobenen Daten hat das Team nun umfassende Informationen zur punktgenauen Fernsteuerung und zur Umsetzung autonomer Betriebsmodi zur Verfügung – von der 360°-Rundumsicht über den Blick nach oben und unten für ein Monitoring des gesamten Schwenkbereichs des Baggerarms und in das Baggerloch. Die Informationen beschränken sich dabei nicht auf die optische Erfassung, sondern ermöglichen auch die semantische Segmentierung der Umgebung. Das Lagebild enthält also auch Informationen zu Abgrenzung, Art und Beschaffenheit einzelner Objekte und Bodenbereiche. Um diese aus den Daten der Umgebungserfassung zu bestimmen, nutzt das IOSB-Team speziell trainierte neuronale Netze einer KI. Als Trainingsdaten dienen dabei unter anderem frei verfügbare Datensätze aus den Bereichen des Autonomen Fahrens und der Landwirtschaftsrobotik. »Außerdem haben wir mehrere Tausend Referenzdaten selbst erhoben und annotiert, die speziell für den Anwendungsbereich der Boden- und Deponiesanierungen typische Objekte und Geländebeschaffenheiten zeigen«, erklärt Petereit. Der Roboter-Bagger soll damit künftig zum Beispiel sicher bestimmen können, ob ein näherungsweise kugelförmiges Objekt ein Busch oder ein Stein ist oder ob sich im Arbeitsbereich des Baggers unerwartete Metallgegenstände im Boden befinden.

Digitaler Zwilling als Steuerungsplattform

Den digitalen CAD-Zwilling nutzen die Forscher auch für die Entwicklung des Steuerungssystems. »Noch bevor der Bagger in Aktion tritt, durchläuft jeder Steuerbefehl eine mehrstufige Routine. Sie gewährleistet, dass die Maschine den jeweiligen Arbeitsauftrag sicher durchführen kann«, so Petereit. Das System erkennt also, ob eine geplante Schwenkbewegung zu einer Kollision mit Teilen der Maschine selbst oder einem Hindernis in der Umgebung führen kann.

Die Kombination aus der Umfelderfassung mit dem virtuellen Zwilling ist auch die Datenbasis für die Algorithmen der Autonomie-Toolbox, mittels derer der Roboter-Bagger eine Aufgabe wie »Trage den Boden in einem vorgegebenen Areal einen Meter tief ab« selbsttätig planen und umsetzen kann. Das integrierte Planungstool muss dazu erst einmal den grundlegenden Arbeitsablauf berechnen und festlegen: Zu welcher Stelle fährt die Maschine? In welcher Reihenfolge entnimmt sie wo Material? Ist es notwendig, den Standort zu wechseln, um nicht am Ende »gefangen im Baggerloch« zu stehen? Ähnlich vielseitig sind auch die Entscheidungen, die das Autonomiesystem während der Baggerarbeiten ad hoc treffen muss. Stößt der Löffel auf ein Hindernis wie einen großen Stein oder ein Fass, muss das System selbst eine Lösungsstrategie entwickeln. Möglicherweise ist es sinnvoll, dass der Bagger den Stein durch schräges Ansetzen des Löffels aufnimmt. Oder dass er die Stelle durch Rüttelbewegungen lockert. Oder er muss das Erdreich rund um den Stein entfernen und ihn so schrittweise ausgraben.

»Wir entwickeln unsere Algorithmen Schritt für Schritt weiter, damit sie unter den meisten denkbaren Bedingungen einen zielführenden und effizienten Arbeitsablauf errechnen«, betont Petereit. Im kommenden Jahr wird Petereits Team das Robotersystem dann noch um die Koordination mit einer Transportplattform erweitern, die derzeit am Institutsteil für angewandte Systemtechnik (AST) des Fraunhofer IOSB in Ilmenau entwickelt wird. Ziel ist es, über das Autonomiesystem auch die Interaktion zwischen Bagger und Transportfahrzeug ohne Eingriff eines Bedieners sicher zu planen und zu steuern.

(stw)

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