Es hört sich vielleicht unwirsch an, aber: Kein Experte kann die Fülle an neuen Informationen in seinem Fachbereich noch überblicken. Das gilt auch für diejenigen von ihnen, deren primäre Aufgabe das Sichten, Bewerten und Zuordnen von Wissen ist – sei es in der Medizin, im Medien- und Kulturbereich oder auch innerhalb von Industrieunternehmen. Künstliche Intelligenz soll nun nicht nur viele Routineaufgaben bei Selektion und Bewertung von Fachinformationen übernehmen, sie soll auch manuelle Kuratierungsaufgaben erleichtern und die so gewonnenen Erkenntnisse nachhaltig verfügbar machen.

»Kuratieren« bezeichnet die Arbeit eines Kurators, zum Beispiel, wenn er eine Ausstellung organisiert. So steht es im Duden. Noch. Denn längst wird der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch in einem erheblich erweiterten Kontext verwendet. Im Duktus von IT-Experten steht Kuratieren für all das, was mit der Verarbeitung von Wissen zusammenhängt. Also für das Suchen, Auswählen, Zuordnen, Zusammenfassen, Bewerten und Verknüpfen von Informationen. Und nicht nur das: Wer kuratiert, übernimmt auch Aufgaben wie das Visualisieren und Verteilen der (bearbeiteten) Informationen. Denn erst durch den erleichterten Zugang zu Artikeln, Videos, Grafiken und anderen Dokumenten kann Wissen und damit ein Mehrwert für Ideen und Umsetzungen entstehen.

Kuratieren ist letztlich also eine der Grundaufgaben von allen, die in den unterschiedlichsten Bereichen und Branchen mit Wissen arbeiten: Dazu zählt der Dozent, der für seine Habilitation und sein Institut aktuelle Forschungen und Studien sammelt und bewertet ebenso wie die Journalisten oder Blogger. Dazu zählen aber auch Ingenieure, Rechtsanwälte, Gutachter und andere Spezialisten, die Fachveröffentlichungen und Trends für ihre Kollegen- und Experten-Communities aufbereiten und verlinken. Oder auch Firmenmitarbeiter, die im Unternehmen vorhandene Daten- und Wissensbestände auf Erkenntnisse zur Verbesserung interner Prozesse hin analysieren. Ebenso vielschichtig wie die Aufgabenbereiche all dieser Wissensarbeiter sind aber auch die Prozesse und Programme, die das Kuratieren erst ermöglichen. Die dabei verwendeten Softwarewerkzeuge – und damit kommen wir zu einem Kernproblem bei der elektronisch unterstützten Wissensarbeit – haben eines gemeinsam: Sie sind Einzeltools.

Sand im Kuratierungsgetriebe

»Das Kuratieren ist auch heute noch von Systembrüchen gekennzeichnet«, erklärt Prof. Adrian Paschke vom Fraunhofer-Institut für Offene Informationssysteme FOKUS. Ein möglichst reibungsloses Ineinandergreifen der einzelnen Glieder einer Verarbeitungs- und Prozesskette würde deshalb immer wieder gestört. Und das wiederrum führe zu einem erheblichen, manuellen Bearbeitungsaufwand für jeden Wissensarbeiter. Um das zu ändern, haben zehn Unternehmen und Forschungseinrichtungen »QURATOR« ins Leben gerufen. In diesem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt werden digitale Kuratierungstechnologien entwickelt und als ineinandergreifende Tools auf der QURATOR-Plattform zur Verfügung gestellt. Viele klassische Aufgaben der Content Curation können Nutzer dann mit Hilfe der Plattform zu einem großen Teil oder unter Umständen sogar vollständig automatisch ausführen lassen. »Ein Beispiel ist das Monitoring unterschiedlichster Informationsquellen – von der Google-Suche und Wikipedia-Abfragen bis zu Online-Recherchen in diversen Fachdatenbanken«, erklärt Paschke. Ein anderes sei das Katalogisieren und Annotieren digitaler Archive. Oder die automatisierte Zusammenstellung von themenspezifischen Dossiers oder das Storytelling für einen Fach-Blog.

Darüber hinaus wird die Plattform ihren Nutzern künftig eine Arbeitsumgebung bieten, die sie auch bei komplexeren und deshalb schwer zu automatisierenden Aufgaben über den gesamten Kuratierungsprozess hinweg intelligent unterstützt: Unter anderem, weil sie je nach Kontext und aktueller Tätigkeit automatisch die passenden Werkzeuge anbieten wird oder weil sie aus der Kuratierungsarbeit des spezifischen Nutzers lernt und dieses Wissen dazu nutzt, um ihm Dokumente und Inhalte mit denen er arbeitet so zu strukturieren und zu visualisieren, wie er es für die aktuelle Aufgabe bevorzugt.

Wissensmehrwert durch Smart Corporate Insights

Das Fraunhofer FOKUS konzentriert sich im Rahmen des Projekts auf die Auswertung von Wissens- und Datenbeständen von Unternehmen. Die Wissenschaftler nutzen dabei den Ansatz der »Smart Corporate Insights«. Dabei wird KI genutzt, um die unterschiedlichen Quellen zu analysieren und Erkenntnisse als wiederverwendbares Wissen in semantischen Wissensgraph (engl. Enterprise Knowledge Graphs) digital zu kuratieren. »Wir haben mehrere sehr leistungsfähige Verfahren zur Inhaltsanalyse miteinander verknüpft, um semantische Zusammenhänge in Texten und Datenbeständen zu extrahieren, zu visualisieren und zu neuen Wissensartefakten, den sogenannten Smart Insights, zusammenzustellen«, sagt Paschke. Das könnte zum Beispiel eine Art Dossier sein, das Inhalte aus Fehlerprotokollen, technischen Herstellerdokumentationen und Anlagendaten zu möglichen Strategien zur Behebung eines konkreten Fertigungsproblems zusammenstellt. Jede Erkenntnis, die so – maschinell oder von einem Wissensarbeiter – gewonnen wird, steht dabei nicht nur einmalig zur Verfügung. Denn sie wird zusätzlich dauerhaft und mit den entsprechenden Beziehungen zu den anderen Wissensartefakten des Unternehmens gespeichert. »Die nächste Suche und Analyse von Zusammenhängen muss also nicht wieder auf der Basis der Rohdaten starten, sondern kann nun alle bereits einmal erkannten Zusammenhänge und gemachten Erkenntnisse mit einbeziehen«, so Paschke. Wichtig sei zudem, dass die Aufbereitung und Speicherung des Wissens nicht nur die Arbeit der Experten unterstützt. Die Wissensartefakte sind gleichzeitig auch so semantisch strukturiert, dass sie von Systemen weiterverarbeitet werden können.

Damit wird es möglich, dass künftig Frage-Antwort-Systeme, z.B. in Form eines Chat-Bots, genutzt werden können, die Auskünfte geben für verschiedene Expertendomänen. Auch eine unternehmensinterne Lessons-Learned-Datenbank, in der erfolgreich gelöste Einzelprobleme dokumentiert werden, steht dann nicht nur den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Unternehmens für Recherchen zur Verfügung. Weil ihre Inhalte nun auch maschinenlesbar als semantisches Wissen abgespeichert sind, kann sie als Input für KI-Softwaretools dienen, die damit automatisiert Empfehlungen zur Performanceverbesserungen von Produktionsprozessen entwickeln. Einen ersten Prototypen der KI-Plattform und verschiedene Demonstrationsanwendungen wollen die Projektpartner auf der QURATOR-Konferenz im Januar 2020 präsentieren.

(stw)

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