Lärm: Ein unerhörtes Politikum?
Zur Erfassung und Klassifikation von Lärmquellen
In dem Forschungsprojekt »StadtLärm« haben Wissenschaftler des Fraunhofer IDMT ein System entwickelt, um Lärmquellen in urbanen Gebieten zu erfassen und zu klassifizieren. Zwischen lauten Fan-Gesängen und dicht befahrenen Bundesstraßen muss sehr wohl unterschieden werden – eine Erkenntnis, aus der sich Handlungsempfehlungen für Kommunen ableiten lassen.
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Ob Straßenbau, Großveranstaltungen oder Sperrstunden: Lärm gehört zu den größten Umweltbelastungen in westlichen Ländern. Hierbei gilt es zunächst zwischen den beiden Implikationen zu unterscheiden, die sich in diesem Begriff überlagern: Zum einen kann von Lärm gesprochen werden, wenn Schallgrößen bestimmte Pegelwerte überschreiten, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Hier definiert und überprüft der Gesetzgeber entsprechende Grenzwerte. Zum anderen weist Lärm eine höchst subjektive Konnotation auf, die sich über Normative wie die Verwaltungsvorschrift »TA Lärm« nicht abbilden lässt: Denn Geräusche können auch unterhalb gesundheitsgefährdender Pegelwerte als störend und belastend empfunden werden. Im umgekehrten Fall sind Besucher von Open-Air-Konzerten oder Sportevents zwar einer enormen Lautstärke ausgesetzt, fühlen sich davon jedoch kaum gestört. Außerdem kann nur schwer nachvollzogen werden, zu welchen Anteilen verschiedene Lärmquellen tatsächlich an einer Überschreitung beteiligt sind. „In gewisser Weise gleicht Lärm einem überlaufenden Fass,“ erklärt Tobias Clauß vom Fraunhofer IDMT. „Erst wenn ein bestimmter Wert überschritten wird, fühlen wir uns gestört – ähnlich einem Regentropfen, der das Fass überlaufen lässt. Nur derjenige, der das Fass zum Überlaufen bringt, wird meist als Verursacher wahrgenommen.“
Bild: Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie (Symbolbild)
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Die Möglichkeit zwischen verschiedenen Lärmverursachern differenzieren zu können, kann für Stadtverwaltungen von großer Bedeutung sein, um auf Beschwerden gezielter eingehen zu können. An eben diesem Punkt setzt das Projekt »StadtLärm« an. Das in eineinhalbjähriger Forschung entwickelte System zur Erfassung, Auswertung und Visualisierung von Umgebungsgeräuschen besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten: mehreren Sensorknoten (s. Bild) mit eingebetteten Systemen zur Schallerfassung, einer Datenarchitektur zur weiteren Bearbeitung und Dokumentation der Klassifikationsergebnisse sowie einer Benutzerschnittstelle. Während sich das Institut für Mikroelektronik- und Mechatronik-Systeme IMMS sowie die Bischoff Elektronik GmbH hieran mit der Entwicklung der Hardware sowie der Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten beteiligten, war das Fraunhofer IDMT für die Evaluation der akustischen Signale und die Entwicklung der Klassifikationsalgorithmen zuständig.
Bild: Rolf Peuker | IMMS
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Fünfzehn dieser eigens hierfür konzipierten Sensoren wurden zu Beginn der Feldstudie (Juni 2018) im gesamten Stadtgebiet von Jena aufgestellt. Jeder der Sensoren verfügt über eine Kommunikationsschnittstelle zum Mobilfunknetz. So können die Klassifikationsergebnisse vom Sensor an die Datenbank geschickt werden. Grundlage der Kommunikation bildet ein Message-Broker (MQTT). Da lediglich die Lautstärke der erfassten Geräusche sowie deren prognostizierte Klasse transferiert werden, sind die Ergebnisse nicht nur datenschutzkonform, sondern auch sehr kompakt: Die pro Tag und Sensor versendeten Daten belaufen sich lediglich auf rund 9 MB. Trotz ihrer vergleichsweisen geringen Kosten haben sich die Sensoren als sehr robust erwiesen und sind auch über die geplante Projektdauer von anfangs drei Monaten hinaus noch immer im Einsatz. So können auch weiterhin wertvolle Forschungsdaten erhoben werden.
Bild: Rolf Peukert | IMMS
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Um die Zusammenhänge zu verstehen, unter denen es zu einem Lärmempfinden kommt, ist die Untersuchung verschiedener Lärmquellen ein entscheidender Schritt. Hierzu haben sich die Projektpartner auf neun Klassifikationen verständigt, die mithilfe von Maschinellem Lernen trainiert werden. Hierzu gehören Baustellen, Martinshörner, LKW- und Automobilverkehr, Güterzüge, Straßenbahnen, Musik und Konversationen. Auch Windgeräusche können Einfluss auf das Klassifikationsergebnis nehmen; deshalb werden sie als separate Klasse geführt.
Bild: Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie (Symbolbild)
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Die aufgezeichneten Messwerte sowie die dazugehörigen Geräuschklassen werden in eine Datenbank geschrieben und können über die Benutzeroberfläche (s. Bild) in ihrem historischen Verlauf analysiert werden. Über die Auswahl eines entsprechenden Sensorknotens kann nachvollzogen werden, welche Geräuschklassen dort zu einem bestimmten Zeitpunkt besonders aktiv waren. Hierdurch kann die Stadtverwaltung Lärmbeschwerden leichter überprüfen.
Bild: Fraunhofer IDMT, Software-Service John GmbH
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In einem dritten Schritt liefert das Projekt nicht nur Antworten auf die Frage, wie Geräusche erfasst und zugeordnet werden können, sondern auch wie sich diese Ergebnisse besser veranschaulichen lassen. Auf Basis der vom Fraunhofer IDMT gewonnenen Daten entwickelt die Software-Service John GmbH dreidimensionale Modelle, welche Aufschluss über die Verteilung und Intensität von Lärm geben können. Auf der abgebildeten Grafik ist das östliche Saale-Ufer im Zentrum Jenas abgebildet, unweit des Bahnhof Jena Paradies.
Bild: Software-Service John GmbH
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Lärmkartierungen werden bis heute in aller Regel zweidimensional dargestellt. Ein Vorteil der dreidimensionalen Visualisierung kann in der Möglichkeit bestehen, die Schallausbreitung in den verschiedenen Höhenlagen darstellen zu können. Das ist insoweit von entscheidender Bedeutung, als dass die Schallausbreitung sich in Abhängigkeit der Höhenlage und Geometrie der Gebäude unterscheidet. Die verschiedenen Einfärbungen der Punkte in grün, gelb und rot sollen zukünftig ersichtlich machen, wo Grenzwerte überschritten werden, wie sie in Verwaltungsvorschriften definiert sind. Die Wahl eines dreistufigen Modells von Bodenniveau, 1. und 2. Obergeschoss kommt hierbei dem Stadtbild von Jena am nächsten. Selbstverständlich übersteigt die Anzahl der abgebildeten Punkte die der Sensoren um ein Vielfaches. Die Werte zwischen zwei Messungen erfolgen dementsprechend auf Basis von Interpolationen.
Bild: Software-Service John GmbH
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Das dreistufige Punkte-Modell ist dabei nur eine Variante, um die Ausbreitung von Schall visuell abzubilden. Erprobt wird derzeit ebenso die Darstellung mittels Isolationshüllen (s. Bild) oder Voxeln. Welche Variante sich hierbei durchsetzen wird, ist gegenwärtig noch nicht final evaluiert und Gegenstand aktueller sowie zukünftiger Forschungsarbeiten. Die Ausganslage der hier visualisierten Daten sind punktuell vorgenommene Messungen. Zu bestimmten Ereignissen (wie z.B. einem Konzert) können diese vorgenommen werden, um die Lärmbelastung und –ausbreitung an dem entsprechenden Zeitpunkt nachverfolgen zu können.
Bild: Software-Service John GmbH
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Die Ergebnisse der bisherigen Feldstudie bieten nun zahlreiche Anreize für Folgeprojekte. Auch die Stadt Jena erklärte bereits im Oktober 2019 ihr Interesse an einer Fortführung des Projekts. Zu den möglichen Ansatzpunkten gehört die spezifischere Detektion von Geräuschklassen, insbesondere des Straßenverkehrs. Hierzu zählt die Frage, welche Teilgeräusche im Straßenverkehr (z.B.: Bremsen oder Anfahren) als besonders störend empfunden werden. Darüber hinaus birgt auch die Auswertung der subjektiven Dimension von Lärm großes Potential. Zusammen mit dem DLR-Institut für Datenwissenschaften in Jena soll in Zukunft nach Lösungen gesucht werden, wie subjektive Bewertungen von Lärm erfasst und in die bestehenden Systeme und Visualisierungen integriert werden können. (mkl)
Bild: Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie (Symbolbild)