Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Unternehmen, technologische Entwicklungen zu beobachten und neue Anwendungsfelder zu finden. Bei der Recherche nach technologischen Innovationen liefert aber allein das Internet tausende Daten und Fachinformationen, die nicht nur mühsam durchsucht werden müssen. Jede Suche erzeugt zudem die Unsicherheit, nicht umfassend genug recherchiert zu haben. Helfen können Tools, die diese Aufgabe intelligent und selbstständig durchführen. Im Interview erklärt Dr. Antonino Ardilio vom Fraunhofer IAO die Vorgehensweise.

Hallo Herr Ardilio, sicher kennen Sie Linus Pauling. Er war meines Wissens nach der einzige Naturwissenschaftler, der sowohl den Friedensnobelpreis als auch einen wissenschaftlichen Nobelpreis erhalten hat. Zudem galt er als unersättlicher Leser.

Stimmt, er wollte so viel Informationen wie möglich sammeln. Er verstand es auch, die sich angeeigneten Information-dots clever zu kombinieren, um neue Ideen zu entwickeln.

Ihm verdanken wir das Zitat: »Man muss nicht nur mehr Ideen haben als andere, sondern auch die Fähigkeit besitzen, zu entscheiden, welche dieser Ideen gut sind«. Hätten Sie Linus Pauling bei dieser Entscheidung unterstützen können?

Das ist eine sehr hypothetische Frage. Aber ich weiß, worauf Sie anspielen. Auf das TechnologieRadar und den MarktExplorer, die wir am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO entwickelt haben. Beides sind Tools, die vor allem die Industrie dabei unterstützen sollen, zügig an relevante und für sie passende, Informationen zu kommen, um möglichst richtige Entscheidungen zu fällen.

Beide Tools arbeiten nach einem – zumindest auf den ersten Blick – einfachen System: Aus einer Unzahl von Informationen, beispielsweise aktuellen Fachmagazinen, sucht das System die Artikel heraus, die für mich maßgebend sind. Und um zu wissen, was für mich interessant sein dürfte, hat es vorab versucht, mich »kennenzulernen«. Zum Beispiel, indem es meine im Computer unter »wichtig« abgelegten und über die Jahre gesammelten Artikel durchforstet und daraus Rückschlüsse auf meinen Wissensbedarf zieht.

Das ist sehr grob umrissen, aber im Prinzip haben Sie recht. Entscheidend dabei ist, dass diese Suche beziehungsweise das Kennenlernen, wie Sie es genannt haben, mit Hilfe einer KI durchgeführt wird. Wir haben also das klassische Erfassen und Suchen von Stichworten weit hinter uns gelassen und suchen nun intelligent. Im Unterschied zu Ihrem Beispiel mit den Zeitschriften haben Unternehmen heute einen deutlich umfangreicheren Zugang zu Informationen. Vor allem, wenn sie den Input aus Standorten außerhalb Deutschlands hinzurechnen, der über das hierzulande Gedruckte weit hinausgeht. Mit anderen Worten: Selektion wird zum Schlüssel.

Früher haben Experten im Unternehmen die Informationen selektiert.

Das werden sie auch weiterhin tun müssen. Aber die Suche nach technologischen Innovationen im Netz liefert tausende Artikel, Patentschriften und weitere Informationen, die mühsam nach relevanten Innovation-bits durchforstet werden müssen. Der Aufwand der Suche und Durchsicht ist immens und das schlechte Bauchgefühl, doch nicht alles Relevante gefunden zu haben, bleibt. Unser Tool setzt genau hier an und übernimmt die teils extrem aufwändige Vorauswahl. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Gesucht werden neue Technologien zum Thema Sägen. Also google ich »New Technology Cutting« und bekomme eine umfangreiche Liste mit viel zu viel Beifang, also irrelevante Informationen. Wenn ich nun noch spezielle Datenbanken dazurechne, wird diese Liste immer länger…

… und damit auch der Aufwand, diese Liste durchzuarbeiten.

Sie suchen und suchen und suchen. Selbst das Fokussieren auf Stichwörter erspart es ihnen nicht, die Dokumente zumindest ausschnittsweise zu lesen und zu verarbeiten. Hinzu kommt: Wenn Sie nun als fortschrittliches Unternehmen »Sägen« eingeben, dann finden Sie in der Regel viel zu Stichsägen, Kreissägen und so weiter – aber kaum etwas Neues. In der Regel recherchieren Unternehmen aber nicht nur nach Erklärungen, sondern auch nach Innovationen. Bei der Suche müssen sie also auf eine abstraktere Ebene gehen und beispielsweise auch nach »Trennen« suchen. Sie erhalten also wieder eine neue Liste mit teils unterschiedlichen Treffern. Zum Beispiel bekommen Sie nun Hinweise auf Trennen mit Wasser oder mit Licht. Das aber verkompliziert die Sache erneut: Ich muss also wieder recherchieren, was zu meiner Frage beziehungsweise zu dem Vorhaben meines Unternehmens passen könnte.

Sie überlassen diese Arbeit künftig der Maschine.

Mehr noch. Eines unserer Ziele ist, dass die KI anhand des Internetauftritts des Unternehmens ein Profil berechnet. Sie würde sich in Zukunft an erkannten Inhalten wie Werten, Funktionen und Angeboten orientieren, anhand dieser Inhalte zusätzliche Begrifflichkeiten finden und dann Inhalte suchen, die wirklich passend sein könnten.

Wobei Menschen vermutlich eingreifen, um die Suche zu verfeinern beziehungsweise zu spezifizieren.

Auch diesen kreativ-analytischen, also krealytischen Prozess wollen wir in Zukunft deutlich effektivieren. Im Unterschied zu den bislang eingesetzten Methoden sucht die Maschine von den vielleicht 200.000 Dokumenten, die sie über Nacht durchforstet hat, die 100 relevantesten heraus. Mir werden sie aber zunächst nicht in Gänze vorgelegt, sondern nur aussagekräftige fünf bis zehn Zeilen, in denen Wörter, die relevant sind, gehighlightet wurden.

Wenn Sie von Zukunft sprechen: Welchen Zeitraum meinen Sie?

Ich denke, dass wir in rund fünf Jahren mit diesen und zusätzlichen Weiterentwicklungen so weit sein können.

Derzeit greifen Unternehmen noch auf die aktuell bereits verfügbaren Versionen des TechnologieRadar und des MarktExplorer zurück. Hier werden die Suchbegriffe sozusagen noch von Hand definiert.

Wir haben jedes Jahr deutlich mehr als ein Dutzend Industriepartner, die diese Software bereits erfolgreich einsetzen. Die Zahl steigt derzeit übrigens rasant an, weil der Mittelstand einerseits die Informationsflut nicht mehr beherrschen kann und er andererseits auch ganz generell die Vorteile der Smart Data Semantik zur Entscheidungsunterstützung erkannt hat. Die Vorgehensweise der Recherche ist dabei vergleichsweise einfach zu verstehen.

Wie läuft so ein Smart Data Projekt ab?

Wir starten meist beim Unternehmen, um die Situation vor Ort besser verstehen zu können. In einem halbtägigen Workshop nehmen wir dann die zu suchenden Termini auf und übersetzen die Recherche auf die abstrakte Ebene, um nicht starr nach Begriffen, sondern nach Sinneinheiten zu suchen. Sägen, um bei diesem sehr trivialen Beispiel zu bleiben, würde dann beispielsweise ergänzt durch Zerschneiden oder Trennen. Zusätzlich klären wir noch, welche Datenbanken durchforstet werden sollen. Etwa einen Monat später liegt dem Unternehmen die erste Iteration vor. Danach geht es an das Verfeinern.

Und welche Kosten könnten entstehen?

Gehen Sie von etwa 30 Personentagen aus. Allerdings ist die Suche dann beliebig oft wiederholbar. Denn eine einmal definierte Suche läuft künftig regelmäßig und automatisiert ab. So können in einem Abstand von einem halben Jahr immer wieder hochaktuelle, passende Reports zur Verfügung stehen.

(aku)

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Dr. Antonino Ardilio
  • Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
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