Um bei Fahrzeugen die größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, müssen alle Materialen der Karosserie auf ihre Crashtauglichkeit geprüft werden. Um die besten Materialeigenschaften zu identifizieren, werden in der Regel keine »echten« sondern nur noch virtuelle Crashtests genutzt. Neue Simulationsmodelle erlauben es nun sogar, die Herstellung und Umformung von hochfesten Stählen so zu berechnen, dass sie schon vor dem Zusammenbau der Karosserie als »crashoptimiert« gelten können.

Stahl ist »stahlhart«. Mehrphasenstähle sind noch härter. Oder genauer: noch besser. Denn die Eigenschaften von Mehrphasen und pressgehärteten Stählen lassen sich je nach Materialmischung und Temperaturführung so variieren, dass Zugfestigkeit oder Bruchdehnung an die Notwendigkeiten des jeweiligen Einsatzortes angepasst wird. Bei den Bauteilen einer Fahrzeugkarosserie ist eine der entscheidenden Eigenschaften das Crashverhalten, sprich: der bestmögliche Unfallschutz.

Zwei Verfahrensschritte sind es, die über die Mikrostruktur und damit über die Ausprägung der Materialeigenschaften der Spezialstahlteile entscheiden: Zum einen die gezielte Steuerung von Aufheiztemperaturen und Abkühlphasen. Mit ihr werden bei der Herstellung von Stahlblechen unterschiedliche Härtegrade erreicht. Und zum anderen das sogenannte Presshärten. Bei diesem Umformungsprozess werden die Bleche nicht nur in die richtige Form gebracht. Gleichzeitig kann das Material in der Presse insgesamt oder auch partiell erhitzt oder gekühlt werden. Nach dem Abschrecken ist dadurch eine gezielte Härtung einzelner Bereiche eines Bauteiles möglich.

Durch gezielte Temperaturführung beim Presshärten erhält das Bauteil die gewünschten Crasheigenschaften.
Durch gezielte Temperaturführung beim Presshärten erhält das Bauteil die gewünschten Crasheigenschaften. Bild: Fraunhofer SCAI

Materialeigenschaften gezielt berechnen

In dem von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von Guericke" e.V. (AiF) geförderten Projekts »UmCra« entwickelten Industrie- und Wissenschaftspartner ein Materialmodell, mit dem sich die Wirkungen der verschiedenen Härtungs- und Umformprozesse berechnen und simulieren lassen. »Bei den Härtungs- und Umformprozessen sind eine Vielzahl möglicher Varianten und deren Auswirkung auf das Bauteil zu berücksichtigen. Gegenüber Realtests und der Bestimmung der erzielten Ergebnisse in aufwändigen Materialversuchen haben die Vorab-Simulationen entscheidende Vorteile«, so André Oeckerath vom Fraunhofer-Institut Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI. Das gilt insbesondere für die Crashsicherheit. Denn in der Kombination mit den in der Fahrzeugindustrie bereits üblichen Crashsimulationen können die Entwickler nun auch die thermische und mechanische Vorgeschichte ihrer virtuellen Bauteile einplanen.

Der Fraunhofer SCAI »Datendolmetscher« ermöglicht durchgängige Prozessketten trotz der vollkommen unterschiedlichen Modellen der einzelnen Simulationswelten.
Der Fraunhofer SCAI »Datendolmetscher« ermöglicht durchgängige Prozessketten trotz der vollkommen unterschiedlichen Modellen der einzelnen Simulationswelten. Bild: Fraunhofer SCAI

Dolmetscher zwischen den Simulationswelten

Mit der nun möglichen Simulation der Herstellungs- und Umformprozesse der Spezialstähle haben die Projektpartner allerdings nur einen Teil der selbstgesteckten Ziele erreicht. »Wir wollten zusätzlich eine Art Datendolmetscher entwickeln, um die Material- und die Crashsimulationen miteinander verknüpfen zu können und so aussagekräftigere Ergebnisse zu erhalten«, betont Oeckerath. Ein Team des Fraunhofer SCAI ergänzte die Simulationsverfahren deshalb um geeignete Schnittstellen, über die nun die gesamte Prozesskette virtuell nachvollzogen werden kann: Von der Herstellung der jeweiligen Stähle bis zum Crash am »fertigen« Bauteil.

Die Forscher mussten dabei ein grundlegendes Problem überwinden: Für die Materialberechnungen einerseits und die Crashversuche andererseits werden äußerst unterschiedliche mathematische Modelle genutzt: Um die Eigenschaften des Spezialstahls an jeder Stelle eines Bauteils sowie auch innerhalb des Materials bestimmen zu können, muss das Rechenmodell sehr engmaschige Gitter aufweisen. Denn nur so lassen sich etwa eine bei der Umformung entstehende lokale Ausdünnung des Materials oder der unterschiedliche Einfluss der Temperaturführung beim Härten über die Dicke des Bauteils hinweg mit ausreichender Genauigkeit berücksichtigen. Die Crashsimulationen dagegen arbeiten in der Regel mit einem Schalenmodell. Die Eigenschaften des Materials werden hier also nicht über das Volumen aufgelöst, sondern als Kennwerte dem Schalenbereich zugeordnet. Nur durch eine entsprechende Aufbereitung und Umwandlung der Daten ist es also möglich, dass der Datendolmetscher die Parameter- und Ergebniswerte zwischen den Simulationswelten austauschen kann. (stw)

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