Der Mond ist 400.000 km von uns entfernt. Seine Rückseite können wir nicht sehen. Trotzdem ist diese »Dark Side« deutlich besser erforscht als der Meeresgrund. Und das, obwohl wir von den Meeren abhängig sind. Sie sind Nahrungs- und Rohstofflieferanten und essentielle Infrastruktur für den transkontinentalen Transport. Das lichtabsorbierende Milieu und der enorme Druck, die in der Tiefsee herrschen, machen Messungen und Analysen allerdings schwierig. Ändern könnte sich das mit einem akustischen 3D-Bildgebungs- und Vermessungssystem, das sogar Echtzeitanalysen des Meeresbodens ermöglicht.

Nach Schätzungen des Wirtschaftsverbands World Shipping Council gehen auf den Weltmeeren jährlich etwa 1.600 Überseecontainer verloren. Sie sinken mit dem Frachter oder gehen bei schwerer See über Bord. Dadurch steigt das Gefahrenpotential, dem unsere Gewässer ausgesetzt sind, Jahr für Jahr beträchtlich. Um den Umfang und die Verschiedenartigkeit dieser Gefahrenquellen einschätzen zu können, müssen sich Wissenschaftler und Bergungsexperten ein möglichst genaues Bild von der Situation auf dem Meeresgrund machen. Mit Kameras und Scheinwerfern ausgerüstete Unterwasserfahrzeuge eignen sich dafür allerdings nur bedingt. Denn der Meeresgrund lässt sich damit nur sehr lokal, also »Meter für Meter« absuchen. Vor allem aber können die Experten nicht einfach mit der Kamera die Situation am Meeresgrund abfilmen. Denn Wasser ist bei weitem nicht so durchsichtig wie Luft. Zusätzlich behindern Kleinstlebewesen und Schwebteilchen die klare Sicht der Kamera zusätzlich. Und es herrschen unter Wasser ausgesprochen schwierige Lichtverhältnisse.

Um aber trotzdem aussagekräftige Erkenntnisse zu gewinnen, nutzen Forscher ergänzend akustische Systeme, die mit Hilfe von Schallreflexionen Daten zur Struktur des Meeresgrundes gewinnen und auf diese Weise auch Informationen zu größeren Objekten und deren Dichte sammeln. Allerdings ist die Vorbereitung der Träger-U-Boote, die teils speziell für diese Messaufgabe entwickelt wurden, und die Abstimmung der verschiedenen Messsysteme aufeinander sehr kostspielig und zeitaufwendig. Zudem stehen Ergebnisse erst nach umfangreichen Auswertungen zur Verfügung, denn die gewonnenen Daten sind abstrakt und müssen für visuelle Darstellungen erst noch aufbereitet werden.

3D-Scanning mit Echtzeit-Visualisierung

Das »Akustische Auge«, ein neuartiges, integriertes 3D-Vermessungs- und Visualisierungssystem, soll die Erforschung des Meeresbodens nun erheblich erleichtern. In dem gleichnamigen und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projekt entwickeln Bundesbehörden, Wissenschaftler und Industrieunternehmen gemeinsam ein System, das die gesamte Prozesskette bei der Unterwasseranalyse umfasst – von der Informationsgewinnung über die Datenanalyse bis zur visuellen Benutzerschnittstelle. Für die Vermessung des Meeresbodens entwickelten die Projektpartner unter anderem eine neuartige Unterwassersensorik, die auf Basis von Ultra-Breitbandsignalen arbeitet. Eine leistungsfähige Analysesoftware und speziell optimierte Auswerteprozeduren gewährleisten dabei, dass das System sowohl die Bodenstrukturen als auch die Materialeigenschaften der gescannten Objekte sehr detailliert und in Echtzeit abbilden kann.

Ein zentraler Forschungsbereich des Projekts ist außerdem die praxisorientierte Darstellung der gewonnenen Daten über eine spezielle Nutzerschnittstelle. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD entwickelten dazu ein intelligentes Visualisierungs- und Navigationssystem. Der Nutzer, beispielsweise auf dem Forschungsschiff, trägt dabei eine VR-Brille und sieht live aufbereitete Ultraschallmesswerte als 3D-Ansicht des Meeresbodens – so als säße er selbst in dem U-Boot. »Über die Handcontroller kann er sich nun unter Wasser entlang des Bodens navigieren, sich vorwärtsbewegen, die Blickrichtung ändern und Details heranzoomen«, erklärt Anastasiia Novikova vom Fraunhofer IGD. Außerdem sei die Ultraschallmesstechnik in der Lage nicht nur die Oberfläche am Meeresgrund abzubilden, sondern ermöglicht zusätzlich den Blick in den Untergrund hinein. Speziell dafür stellt das Visualisierungssystem dem Nutzer eine Reihe von zusätzlichen Tools zur Verfügung. Er kann verschiedene Filter wählen und über die Ansicht legen. »Einfärbungen in der Darstellung zeigen ihm dann zum Beispiel die gemessene Dichte der verschiedenen Materialien an, so dass er den Meeresboden und die darunterliegenden Schichten gezielt auf Gesteinsarten analysieren kann«, so Novikova.

Mit virtueller Live-Navigation auf Tiefsee-Tauchfahrt

Da das »Akustische Auge« als integriertes Komplettsystem konzipiert ist, lässt es sich von Meeresforschern und Bergungsexperten einfach nutzen. Die komplette Messsensorik erfordert auch keine speziell dafür entwickelten Trägerfahrzeuge mehr, sondern kann auf Tauchrobotern wie USVs und AUVs installiert werden. Deshalb ist das System nicht nur für die Suche und Untersuchung versunkener Schiffe oder Container, sondern für viele weitere Einsatzbereiche geeignet: So zum Beispiel für die Planung, Überwachung und Instandhaltung von Unterwasserinfrastrukturen wie Pipelines, Strom- und Datenkabel sowie von Unterwasserbauwerken wie Offshore-Plattformen und Windenergieanlagen.

Eine erhebliche Vereinfachung bringt das System zudem im Bereich der Erforschung der Tiefsee. Dabei interessieren sich Forscher und Unternehmen weltweit unter anderem für Manganknollenvorkommen, die in rund 5.000 Metern Tiefe liegen. Um eine mögliche Förderung dieser Energieträger wissenschaftlich bewerten und vorbereiten zu können, müssen die Vorkommen zunächst verortet, vermessen und bewertet werden. Bisher sind dazu aufwendige manuelle Messungen und Entnahmen von Bodenproben erforderlich. Das »Akustische Auge« ermöglicht es nun, sowohl virtuelle Tauchfahrten durch die Tiefsee mit Live-Navigation durchzuführen als auch gezielte Materialanalysen des Meeresgrunds vorzunehmen.

(stw)

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Anastasiia Novikova
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