Formel 1 Rennen verlangen Höchstleistung - von den Fahrern, von den Boxenteams und von der Technik. Nach über 300 Kilometern Renndistanz verschaffen kleinste Konstruktionsdetails einem Rennstall oftmals die entscheidenden Meter Vorsprung zum Sieg. Abseits der Piste liefern sich daher die Konstrukteure einen Wettkampf um technische Exzellenz. Eines der wichtigsten »Sportgeräte« dabei: Simulationsberechnungen. Ideale Startbedingungen verspricht dabei eine vom Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI entwickelte Softwareschnittstelle.

Hallo Herr Wolf, multiphysikalische Simulationen sind seit Jahren ein Forschungsschwerpunkt am Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI. In der Formel 1 nutzen die Konstrukteure nun ihre Technologielösungen, um sich einen wichtigen Vorteil zu verschaffen. Machen Ihre Algorithmen und mathematische Formeln Rennautos tatsächlich schneller?

Die aktuellen Fahrzeuge in der Formel 1 müssen einem sehr detailliert festgelegten Reglement entsprechen - von Motor und Fahrgestell bis zu Konstruktionsdetails der Anbauten. Beim Frontspoiler etwa gelten strikte Vorgaben, um wie viel Millimeter sich das Material bei Auflegen eines speziellen Gewichts an einer vorgegebenen Position verformen darf. Den Konstrukteuren bleibt also nur mehr ein sehr eingeschränkter Gestaltungsraum. Umso wichtiger ist es, diesen verbleibenden Spielraum optimal zu nutzen. An dieser Stelle geht unsere Softwareschnittstelle »Mesh-based parallel Code Coupling Interface MpCCI« mit ins Rennen. Sie ermöglicht es, die Simulationsumgebungen verschiedener Hersteller und Fachdomänen direkt miteinander zu verknüpfen. So wird es beispielsweise einfach, die strukturellen Verformungen eines Bauteils (zum Beispiel eines Spoilers) direkt mit dem aerodynamischen Verhalten in einer Rennsituation über eine virtuelle ‚Fluid-Struktur-Interaktion‘ zu analysieren. Mithilfe dieses Wissens kann es den Konstrukteuren gelingen, den Anpressdruck beim Durchfahren der Kurven einer bestimmten Rennstrecke zu erhöhen. Im nächsten Rennen hätte der Fahrer also einen kleinen, aber unter Umständen entscheidenden Performancevorsprung.

Multiphysikalische Simulationen ermöglichen Tests von Konstruktionsvarianten eines Rennwagens im virtuellen Windkanal. Bild: Fraunhofer SCAI

Wenn Berechnungen wie diese maßgeblich über Sieg und Niederlage entscheiden, bleibt der Sportsgeist in der Formel 1 dann nicht am Ende auf der Strecke?

Im Gegenteil. Denn auch der Wettbewerb der Konstrukteure ist in der Formel 1 als sportliche Challenge gestaltet: Auch für die Entwicklungsingenieure gilt ein strenges Reglement. Es legt zum Beispiel genau fest, wie viele Tests jedes Team absolvieren darf oder wie viele Rechenoperationen die Techniksimulationen umfassen dürfen. Die Königsklasse im Rennsport ist damit ein spannender Wettbewerb nicht zuletzt für die Softwareinnovationen, die wir in unseren Forschungen hier am Fraunhofer-Institut entwickeln. Bei ihrem Einsatz in der Formel 1 -Konstruktion müssen unsere Lösungen zur Simulationskopplung nicht nur unter Beweis stellen, dass sie hochpräzise Ergebnisse liefern. Sie müssen auch zeigen,  dass sie mit Rechenzeit und Rechenkapazitäten äußerst effizient umgehen. Allerdings sind wir hier in der Technologieentwicklung noch lange nicht am Ende. Wir arbeiten intensiv daran, nicht nur kurze Ausschnitte einer Fahrt über die Rennstrecke zu simulieren, sondern die Zusammenhänge von Materialverhalten und Aerodynamik möglichst über die gesamte Renndistanz untersuchen zu können. Mit den aktuellen Methoden würde eine solche Berechnung unerfüllbare Anforderungen an die Rechnerinfrastruktur und die Rechenzeiten stellen. Deshalb suchen wir nach neuen Algorithmen und mathematischen Modellen.

Farbige Linien zeigen in der Fahrsimulation den Fahrtwind an. Die Einfärbung des Modells visualisiert gleichzeitig die am Heckspoiler auftretenden Druckkräfte. Bild: Fraunhofer SCAI

Bei all diesem Aufwand dürften Sie aber nicht nur den Motorsport im Fokus haben?

Die Formel 1 ist für unsere Softwarelösungen ein hervorragendes Testfeld, um die Leistungsfähigkeit der Programme unter Beweis zu stellen. Unsere Schnittstellen zur Simulationskopplung kommen aber in den verschiedensten Bereichen und Branchen zum Einsatz. Simulationsexperten nutzen sie etwa bei der Optimierung der Auslegung ganzer Flugzeugtragflächen oder für Analysen von Schaufeldeformationen auf das Strömungsverhalten bei Turbomaschinen. Oder sie werden für das thermische Management an mikroelektronischen Bauteilen eingesetzt. Der entscheidende Beitrag, den unsere Softwareschnittstelle dabei liefert, ist in jedem dieser Anwendungsfälle ein Erkenntnisgewinn bei der Analyse der Interaktion zwischen strukturellen Bauteilen und der sie umgebenden Strömung. Denn das ist erst durch die Kopplung der einzelnen Simulationsanwendungen möglich. Unsere Schnittstellenlösungen unterstützen dafür Anwendungen verschiedenster Fachdomänen und Hersteller. (stw)

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Klaus Wolf
  • Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI
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