Wer neue Assistenzsysteme für Fahrzeuge testen will, der sollte dafür vielleicht nicht gleich auf die Straße gehen. Er oder sie sollte sich beziehungsweise das Auto erst einmal auf den Arm von RODOS® nehmen lassen. Denn das Simulationssystem am Fraunhofer ITWM in Kaiserslautern mit seinem mächtigen Roboterarm für reales Bewegungsempfinden erlaubt eine Vielzahl an Simulationen. Davon profitiert die Entwicklung von Assistenzsystemen für (Nutz-) Fahrzeuge - von der reinen Technik bis zu ihrer Nutzbarkeit im Alltag.

Sie wollen sich nicht nur auf sich selbst verlassen? Beim Autofahren ist das sogar Vorschrift. Vom Geschwindigkeitsassistenten über den Notfall-Spurassistenten und den Notbremsassistenten bis zum Müdigkeitswarner. Viele Assistenzsysteme müssen künftig verpflichtend in Ihrem Fahrzeug arbeiten können. Es dürfen aber auch deutlich mehr sein – aktuell sind rund 20 verschiedene Fahrassistenten im Angebot der Fahrzeughersteller. Und es werden immer mehr werden.

Fast alle der digitalen Beifahrer beeinflussen die Sicherheit im Straßenverkehr und die Art, wie Sie Ihr Auto fahren. Sie sollten deshalb auch halten, was sie versprechen. Dafür aber müssen die Assistenten bis aufs Mark getestet werden. Nicht nur auf ihre Zuverlässigkeit, sondern beispielsweise auch auf ihre Usability – die Nutzbarkeit im Alltag. Den Beweis, dass die Fahrassistenten von möglichst allen Fahrern und Fahrerinnen gut und sicher bedienbar sind, sollten sie deshalb eigentlich immer unter realen Bedingungen im Alltagsverkehr antreten. In der Praxis aber wäre gerade das verkehrsgefährdend (und teuer). Deshalb setzen die Hersteller und Entwickler auf interaktive Simulatoren – allen voran auf einen speziellen Fahrsimulator, den das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in seinem Technikum in Kaiserslautern betreibt. Hier vereint das Institut alle, seinem Bereich »Mathematik für die Fahrzeugentwicklung« zur Verfügung stehenden, Mess- und Simulationstechniken und entwickelt diese weiter. Zum Equipment gehören neben dem RODOS® unter anderem ein weiterer Fahrsimulator, ein VR-Labor für die Fußgängersimulation sowie ein 3D-Laserscanner-Messfahrzeug (REDAR) zur fotorealistischen Umgebungserfassung. 

Simulation in jeder Dimension

Das Zentrum dabei bildet – sowohl im konkreten wie auch im übertragenen Sinn – der Fahrsimulator RODOS®. Hier wird eine bis zu 1.000 Kilogramm schwere Fahrzeugkabine (gerne auch ein Serienfahrzeug) auf einen Roboterarm gesetzt, damit es vor einem sphärischen Projektionsdom bewegt werden kann. Insass*innen sehen dann auf eine rund 25 Meter breite Leinwand, auf der 18 Projektoren ein nahtloses Bild erzeugen. Dank der Mechanik kann der Simulator realistische Fahrzeugbeschleunigungen und besonders große Roll-, Nick- und Gierwinkel wiedergeben, was beispielsweise für Offroad-Fahrzeuge besonders interessant ist.   

RODOS® (RObot based Driving and Operation Simulator) ist der größte Fahrsimulator der Fraunhofer-Gesellschaft und wird zur Erprobung von Assistenz- und Automatisierungslösungen bei Fahrzeugen und mobilen Arbeitsmaschinen eingesetzt. Und das mit echten Serienkabinen beziehungsweise Karosserien von beispielsweise Baggern, Traktoren oder PKW, sodass die Haptik der realer Fahrzeuge entspricht. Den Forschungspartnern des Fraunhofer ITWM bietet RODOS® hier die Möglichkeit, das Verhalten ihrer Systeme bei definierten Verkehrssituationen zu untersuchen – und das sehr gut reproduzierbar und bis unmittelbar vor einem (fiktiven) Unfall (Pre-Crash Simulation). Parallel dazu können Forscher*innen eine Vielzahl von technischen Ausstattungen nutzen, um die Reaktion der Fahrer*innen zu beobachten und die Bedienbarkeit neuer Automatisierungssysteme zu gewährleisten.

Fahrt in einem typischen innerstädtischen Szenario. Das Bewegungssystem basiert auf einem Kuka Industrieroboter mit 1000kg Nutzlast und montierter PKW Kabine. Die Proband*innen werden während der Messfahrt mit Hilfe von Body-Sensoren überwacht. Bild: Fraunhofer ITWM

Interaktion am Steuer

»Wir testen dabei nicht nur Assistenzsysteme für Fahrzeuge, sondern führen mit Proband*innen auch Studien zum Verhalten beim autonomen Fahren durch«, erklärt Sebastian Emmerich, Projektleiter und verantwortlich für Modellierung und Simulationen mit RODOS®. 

Aktuell arbeitet das Team des Fraunhofer ITWM beispielsweise an Übergabestrategien in potenziell gefährlichen Situationen: »Stellen Sie sich vor, dass ein Kind vor ein autonom fahrendes Fahrzeug läuft. Das Fahrzeug wird dann zwar ausweichen, es entstehen aber durch diese Reaktion unter Umständen neue Gefahrensituationen für alle Beteiligten. Mit RODOS® können wir potenziell gefährliche Situationen absolut risikolos und reproduzierbar abbilden und untersuchen.«, sagt Emmerich. »Zudem erfahren wir bei Studien wie diesen auch mehr über kritische Situationen, bei denen die Teilnehmenden die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen müssen. Wie verkraftet man eine derartige, sich plötzlich ändernde, Situation und wie wirkt sich das auf die Fahrerreaktion aus?«, ergänzt Michael Kleer, der das Technikum leitet. 

Um die Interaktionen der Insassen mit autonomen Fahrzeugen bei Entwicklungen wie diesen zu erforschen, werden zwischen 50 bis 150 Personen ins Technikum eingeladen, ein derartiges Szenarium abzufahren – natürlich ohne das Ende zu kennen. »Wir variieren dabei die Form der Interaktion – beispielsweise, wenn die Teilnehmenden am Tablet lesen oder aber die Fahrweise des autonom fahrenden Fahrzeugs relativ aufmerksam verfolgen sollen«, erklärt Kleer. Die Daten werden danach ausgewertet, sodass die Forschungsergebnisse in die Entwicklungen der Auftraggeber einfließen können. 

Bei Testläufen wie diesen sind oftmals nicht nur Ingenieur*innen, sondern auch Psycholog*innen beteiligt, um Reaktionen des oder der Testfahrer*in aufzunehmen und die Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Usability des Assistenten zu nutzen. »Die Mensch-Fahrzeug-Umwelt-Interaktion zu analysieren ist für unsere Arbeit mindestens so wichtig wie eine Simulation allein der Funktionalität«, betont Emmerich. 

Fahrpsychologie

Ein anderes Beispiel ist die Weiterentwicklung der Nutzfahrzeugtechnik. Mithilfe von RODOS® entwickeln die Expert*innen des Fraunhofer ITWM gemeinsam mit der Industrie Assistenzsysteme für Baumaschinen. »Veränderungen an den Maschinen und die anschließenden Feldtests dauern mit Prototypen typischerweise mehrere Monate. Mit RODOS® können wir den gleichen Umbau am digitalen Zwilling mit wenigen Mausklicks in der interaktiven Simulation erlebbar machen. Dann dauert es vielleicht drei Stunden, bis Experten das neue System beurteilen können«, betont Kleer. 

Je nach Fragestellung dauert ein Projekt zwischen drei Monaten und fünf Jahren. »Rund die Hälfte der Kapazitäten setzt das Fraunhofer ITWM für industrielle Forschungsaufgaben ein – hier sind die Laufzeiten der Projekte in der Regel kürzer. Die andere Hälfte wird für meist umfassende, eigene Forschungsprojekte oder die von anderen Instituten genutzt. 

(aku)

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Dr. Sebastian Emmerich
  • Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM
Dr.-Ing. Michael Kleer
  • Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM
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