Die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen in Bundes- und Landesbehörden kann Verfahren beschleunigen, Kosten senken und Zugangsbarrieren überwinden. Muss sie aber nicht. Immer wieder verfehlen Digitalisierungsprojekte die in sie gesetzten Erwartungen, weil die praktische Anwendung der neuen Digitallösungen nicht so intuitiv und reibungslos abläuft, wie es von den Entwickler*innen ursprünglich vorgesehen war. Die Ursachen dafür können sehr vielfältig sein. Das Open User Lab von Fraunhofer FOKUS unterstützt Verwaltungen dabei, sie zu beheben beziehungsweise sie im Vorhinein zu vermeiden.

»App starten. Erledigt. Neuen Fall auswählen – logisch. So, aber wie kann ich jetzt hier die Daten eingeben? Hm, die Bezeichnung ist mir neu. Da ist mir jetzt nicht klar, was damit genau gemeint ist. Wird das automatisch ausgedruckt oder gibt es da einen Knopf? Muss ich da jetzt jedes Mal hin- und herscrollen...« Laut artikulierte Unmutsäußerungen und Kommentierungen des eigenen Agierens sind bei Usability-Tests mit der »Thinking Aloud«-Methode völlig in Ordnung. Sie sind sogar ausdrücklich erwünscht. »Das »Laute Denken« ist eine wichtige Ergänzung zum Beobachten, wenn es darum geht, die Benutzungsfreundlichkeit einer Software oder eines Gerätes zu beurteilen«, sagt Stefanie Hecht vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS.

Die Evaluierungsmethode »Thinking Aloud« setzen Hecht und ihre Kolleg*innen beispielsweise ein, um für die Berliner Verwaltung eine neue Digitallösung für die Mitarbeiter*innen der Parkraumüberwachung zu testen. Für den Usability-Check gingen die Forscher*innen gemeinsam mit ihnen auf Kontrollgang und ließen sie typische Anwendungsfälle mit dem neuen Mobilgerät und der neuen Software erfassen und bearbeiten. Das so gewonnene Praxis-Feedback nutzen die Usability-Spezialist*innen, um Schwachstellen und Probleme festzustellen. Ihre Fachkenntnis bezüglich der aktuellen Usability-Standards sowie ihre Erfahrungen bei der Dialoggestaltung zwischen Software und Fachanwender*innen ermöglichen ihnen zudem konkrete Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. 

Zentrum für Forschung und Anwendung

Usability-Tests wie dieser sind nur eine der Leistungen, die das Forscher*innenteam Behörden von Bund, Ländern und Kommunen für eine benutzungsfreundliche Gestaltung und Einführung digitaler Verwaltungsprozesse bietet. Mit dem Open User Lab hat Fraunhofer FOKUS vielmehr ein gemeinsames Zentrum für nutzer*innenzentriertes Design, User Experience und digitale Barrierefreiheit geschaffen. Hier forschen Hecht und ihr Team an neuen Methoden und Verfahren, geben Behörden und Unternehmen Einblick in Usability-Know-how oder übernehmen selbst die Entwicklung von Prototypen für benutzer*innenzentrierte digitale Lösungen. Stefanie Hecht erklärt: »Der entscheidende Ansatzpunkt unserer Arbeit ist es, die späteren Nutzerinnen und Nutzer eines Systems in den Mittelpunkt zu stellen – und das am besten von den ersten Vorüberlegungen an«. Welche Methoden dafür am besten geeignet sind, hänge stark von den Inhalten und Zielen eines Projekts ab. »In jedem Fall aber bietet das Open User Lab die ideale Plattform dafür«, betont Hecht. Zum Beispiel für Präsenzworkshops in den Räumen des Labors, bei denen Verwaltungsmitarbeiter*innen gemeinsam mit den Wissenschaftler*innen die Grundlagen für neue digitale Behördenprozesse entwickeln. Oder für virtuelle Räume, in denen Anwender*innen und Entwickler*innen eines Systems Lösungsvarianten diskutieren. »Die digitalen Kooperationsmöglichkeiten im Open User Lab sind inzwischen so ausgebaut, dass wir vom Ideenworkshop bis zur Evaluierung nahezu jede Leistung auch rein virtuell anbieten und durchführen«, so Hecht. So hielt das Forscher*innenteam Projekte trotz Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie am Laufen. Aber auch in Zukunft werden die digitalen Möglichkeiten des Labors intensiv genutzt. Um bei Digitalisierungsprojekten die Präsenzveranstaltungen bei Fraunhofer FOKUS zu ergänzen oder um erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten zu gewährleisten, wenn das Forscher*innenteam ein Usability-Projekt in einem Pop-Up-Labor in den Räumlichkeiten einer Verwaltungsbehörde oder eines Unternehmens durchführt.

Nutzer*innenzentrierung in die Praxis bringen

Das Open User Lab ist auch der Ausgangspunkt, um die Methoden und Konzepte bei den Entwicklungsabteilungen für digitale Lösungen in den Verwaltungen und Unternehmen selbst zu etablieren – in Deutschland und europaweit. Im internationalen Kontext engagiert sich das Usability-Team von Fraunhofer FOKUS beispielsweise für den Aufbau und die Weiterentwicklung des Open Data Portals der Europäischen Union. Um den Nutzer*innen die Übersicht über die Vielzahl an verfügbaren Datensätzen zu erleichtern, ist jeder mit umfangreichen Annotationen versehen. Unter anderem ist jeder Datensatz mit einer ganzen Reihe relevanter Metadaten verknüpft. Sie alle auf der Webseite mit der Kurzdarstellung eines Datensatzes aufzulisten wäre allerdings wenig hilfreich. Denn hier sollen die Nutzer*innen einen schnellen Überblick über das Thema erhalten. Auch allein schon aus Platzgründen ist es erforderlich, für die Darstellung der Kurzvorstellung eine Auswahl der wichtigsten Metadaten zu treffen. Das Forscher*innenteam des Open User Labs hat deshalb eine Analyse der Interessen verschiedener Nutzer*innengruppen des Datenportals durchgeführt. Von interessierten Laien über Behördenmitarbeiter*innen bis zu Datenjournalist*innen. Sie bekamen einen Stapel mit etwa fünfzig Stichwortkarten vorgelegt, um diese individuell nach Wichtigkeit zu sortieren. Diese Methode des Card Sorting ermöglicht nicht nur sehr einfach und schnell eine nutzer*innenfreundliche Priorisierung. »Sie lässt uns zudem auch erkennen, wenn einzelne Begriffe aus Nutzer*innensicht erklärungsbedürftig sind«, ergänzt Hecht. Das dadurch entstehende Usabilty-Problem könnte dann beispielsweise dadurch gelöst werden, dass zu den betreffenden Metadaten auf der Internetseite des Datenportals zusätzliche Hinweise oder Informationen als sogenannter Tooltip angeboten werden.

Die deutschen Behörden unterstützt das Open User Lab derzeit vor allem im Bereich der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Das Gesetz stellt Bund, Ländern und Kommunen die Aufgabe, bis Ende 2022 eine Vielzahl an Verwaltungsleistungen zu digitalisieren. Insgesamt umfasst der Katalog 575 Bündel von Verwaltungsleistungen (und jedes davon enthält wiederum eine ganze Reihe von Einzelverfahren). Ob der Digitalisierungsauftrag gelingt, soll laut OZG aber nicht nur daran gemessen werden, dass die einzelnen Verwaltungsleistungen online zur Verfügung gestellt werden. Der Gesetzgeber fordert vielmehr, dass die digitalen Dienste nutzer*innenfreundlich und digital barrierefrei gestaltet werden. Um dies zu erreichen, haben Bund und Länder unter anderem fünfzig Digitalisierungslabore eingerichtet. Als Begleitforschung haben die Universität Konstanz sowie Fraunhofer FOKUS die Arbeitsweisen und Methoden der OZG-Digitalisierungslabore analysiert. Die gemeinsam erstellte Studie »Kompetenzen für die Anwendung der Arbeitsweisen und Methoden der OZG-Digitalisierungslabore« beschreibt technologiebezogene und übergreifende Kompetenzen, die für eine nachhaltig erfolgreiche Digitalisierung in den Verwaltungen erforderlich sind.

(ted)

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