Bargeldversorgung im Krisenfall

Im Krisenfall über Bargeld zu verfügen, stellt nicht nur eine wichtige überlebenspraktische Komponente dar. Auch sinkt die Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung, wenn die öffentliche Ordnung im Bereich von fundamentalen Finanzdienstleistungen aufrechterhalten bleibt. Doch Bargeldautomaten Krisensituationen mit ausreichend Bargeld zu versorgen, ist bei weitem nicht trivial. Die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS hat deshalb ein mathematisches Modell entwickelt, welches die Relevanz des Standorts eines einzelnen Geldautomaten in Notlagen bestimmen kann. Auf dieser Errechnungsgrundlage kann dann ermittelt werden, welche Automaten priorisiert mit Bargeld beliefert werden sollen.

Die Versorgung mit Bargeld durch Geldautomaten muss auch im Krisenfall gewährleistet sein. Für das Projekt »BASIC – Resilienz der Bargeldversorgung« hat das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS deshalb einen Algorithmus entwickelt, der die wichtigsten Knotenpunkte zur Bargeldversorgung in Deutschland selektiert. Diese Geldautomaten und Banken können dann gezielt mit Geldscheinen versorgt werden. Im Interview erklärt Teilprojektleiterin Laura Brouer, was das Modell leisten kann und welche Hürden noch überwunden werden müssen, damit es eingesetzt werden kann.

Frau Brouer, es gibt kaum eine finanzpolitische Diskussion, bei der nicht auch die Frage mitschwingt, wie »sicher« unser Geld ist. Kaum jemand setzt sich aber damit auseinander, ob wir an das vermeintlich sichere Geld auch rankommen.

Dabei ist eine Beantwortung der Frage außerordentlich wichtig. Insbesondere, was die Bargeldversorgung in Krisensituationen anbetrifft. In unserem Konsortialprojekt »Resilienz der Bargeldversorgung – Sicherheitskonzepte für Not- und Krisenfälle (BASIC)« haben wir deshalb nach Lösungen gesucht, wie Geld- und Wertdienstleister sowie alle anderen Akteure des Bargeldkreislaufs in die Lage versetzt werden können, auch im Not- und Krisenfall eine grundlegende Versorgung mit Bargeld zu gewährleisten.

Geht es dabei um den kompletten Bargeldkreislauf oder um sozusagen nur die ‚letzte Meile‘ also die Versorgung der Geldautomaten?

BASIC ist ein ausgesprochen umfangreiches Projekt, das fast zwangsläufig in einzelne Arbeitsbereiche aufgeteilt ist. Für mich von der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS heißt das, dass unser Hauptgesichtspunkt auf der Priorisierung von Geldautomaten liegt. Denn es ist naheliegend, dass es im Krisenfall kaum möglich ist, alle Geldautomaten funktionstüchtig zu halten. Unsere Aufgabe war es deshalb, ein mathematisches Modell zu entwickeln, welches die Relevanz einzelner Geldautomaten bestimmen kann, um so die Bargeldversorgung an diesen Automaten so gut wie möglich zu gewährleisten. Dabei schwingt – neben der rein praktischen Komponente – übrigens noch ein zweiter Gesichtspunkt mit. Das Verfügen können über Bargeld kann in Krisensituationen deutlich dazu beitragen, dass die Bevölkerung weniger verunsichert ist, weil die öffentliche Ordnung in diesem Bereich weiterhin aufrechterhalten bleibt. Denken Sie beispielsweise an einen mehrere Tage dauernden Blackout, bei dem elektronische Zahlungssysteme nicht mehr arbeiten.

Wie gehen Sie an die Entwicklung der nötigen Algorithmen? Nutzen Sie beispielsweise verschiedene Katastrophenszenarien?

Nein, denn ob bei Stromausfall, Pandemie oder Angriff auf die kritische Infrastruktur: Die Grundlagen einer resilienten Bargeldversorgung ändern sich nicht. Für uns ist deshalb eine andere Frage zentral: ‚Welche Geldautomaten sind so wichtig, dass ihre Funktionalität aufrechterhalten bleiben muss und welche müssen im Krisenfall nicht unbedingt beliefert werden?‘. Denn es ist offensichtlich, dass bei einer Krise nur ein Teil der vorhandenen Geldautomaten von den Gelddienstleistern bedient werden kann. Doch um herauszuarbeiten, welche Standorte eine hohe Priorität haben, sollten wir beispielsweise wissen, wie sich die Bevölkerungsströme beziehungsweise die Nachfrage in einer derartigen Situation voraussichtlich entwickeln …

… Dafür aber brauchen Sie eine verlässliche Datengrundlage.

Richtig. Natürlich können wir freizugängliche Daten wie beispielsweise von OpenStreetMap nutzen, aber dringend notwendige Daten etwa zur Bevölkerungsdichte oder Kapazität der Geldautomaten stehen uns damit nicht zur Verfügung. Hier haben wir ein Modell entwickelt, das zunächst die unterschiedliche Dichte an Geldautomaten in den Städten und auf dem Land berücksichtigt, sodass wir auf die minimal benötigte Anzahl von Geldautomaten an einzelnen Standorten schließen können. Das Modell kann später durch zusätzliche Daten ergänzt werden, beispielsweise die Kapazität der einzelnen Geldautomaten oder ob am Standort kontinuierlich Strom zur Verfügung steht, der im Zweifel auch durch ein Aggregat vor Ort erzeugt werden kann.

Trotzdem aber werden Sie nicht nur auf der Grundlage von Daten arbeiten können, denn die Nutzung von Bargeld ist – gerade im Krisenfall – an den menschlichen Faktor gebunden.

Wie gesagt, es geht bei diesem Teilprojekt zur Resilienz der Bargeldversorgung vor allem darum, einen mathematischen Optimierungsalgorithmus zu entwickeln, der dazu beiträgt, die Bargeldversorgung durch Geldautomaten auch im Krisenfall sicherzustellen. Für das Fraunhofer IIS war es aber auch grundlegend, zu ermitteln, wo Menschen und Institutionen Schwierigkeiten im Bargeldkreislauf sehen und auch, welche Geldautomaten und Banken für sie subjektiv am relevantesten sind. Wichtig ist beispielsweise die Antwort auf die Frage, wie ein potenzieller Ersatz-Standort für einen ausgefallenen Geldautomaten aussehen müsste: ‚Wie weit darf er weg sein?‘, oder ‚Muss es dieselbe Bank sein?‘. Deshalb haben wir auch zahlreiche Workshops durchgeführt und dabei unter anderem mit Projektbeteiligten wie Vertreter*innen etwa des Brandenburgischen Instituts für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH (BIGS), der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste e. V. (BDGW), der Cash Logistik Security AG oder der Deutschen Bundesbank gesprochen.

Inwieweit berücksichtigt das Modell auch die Belieferbarkeit der Geldautomaten, der ja von den Geld- und Wertdienstleistern regelmäßig »gefüttert« werden muss?

Derartige Überlegungen sind aktuell nicht Teil unserer Aufgaben, da die Tourenplanung individuell von den einzelnen Geld- und Wertdienstleistern durchgeführt wird. Es wäre jedoch möglich, diese in einer Ausbaustufe des Algorithmus mit zu berücksichtigen.

Wie nah an einer Umsetzung ist das von Ihnen erstellte Modell zur ideal-minimalen Versorgung mit Bargeld durch Geldautomaten?

Aktuell gibt es einen Prototypen, der funktionsfähig ist und den wir im Februar 2023 auf der BASIC-Abschlussveranstaltung vorgestellt haben. Derzeit evaluieren wir noch, wie das Modell an einer zentralen Stelle etwa von Krisenstäben in Ministerien oder der Bundesbank verankert werden kann, damit es im Notfall zur Verfügung steht. Vorstellbar ist aber auch, dass die Geld- und Wertdienstleister künftig darauf Zugriff haben. Wenn sie wissen, dass im Notfall nur ein gewisser Teil der Geldautomaten befahren werden kann, können sie nur diejenigen beliefern, die als sehr wichtig priorisiert wurden.

Betrifft das nur einzelne Regionen oder gilt das bundesweit?

Das Modell gilt sowohl für einzelne Regionen als auch bundesweit. Es wäre aber letztlich auch europa- oder sogar weltweit einsetzbar. Zudem ist zumindest der Ansatz auch auf andere Bereiche der Versorgung übertragbar. Beispielsweise als Entscheidungshilfe für die medizinische Versorgung durch Apotheken.

Umso bedauerlicher, dass das Modell noch nicht institutionell verankert ist.

Dass das ein langwieriger Prozess sein wird, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass es schwierig ist, die diversen Player unter einen Hut zu bekommen und die Zuständigkeiten oder auch die Finanzierung zu regeln. Zumal das Modell zur Aufrechterhaltung der Bargeldversorgung durch Geldautomaten nur ein Teil des Gesamtprojekts ist. Denn hier geht es generell um ein Sicherheitsrahmenkonzept, mit dessen Hilfe alle Akteure in die Lage versetzt werden sollen, Konzepte zur Absicherung ihrer Arbeitsprozesse zu entwickeln und umzusetzen.

Mit der Abschlussveranstaltung im Februar ist Ihr Part zumindest offiziell zunächst erledigt. Wird es Nachfolgeprojekte geben, die auf den nun gewonnenen Erkenntnissen aufbauen?

Zum einen verfolgen wir die Thematik von BASIC natürlich weiter. Beispielsweise durch eine aktuell laufende Rechenstudie mit fast 700 Szenarien, die für jedes Szenario bestimmt, wie viele und welche Geldautomaten und Banken jeweils am relevantesten sind. Parallel dazu haben wir im März ein neues Projekt gestartet, wo wir – auch auf Basis des durch BASIC gewonnenen Know-how – an Modellen arbeiten, um die optimale Verteilung von Defibrillatoren in deutschen Innenstädten sicherzustellen.

(aku)


Laura Brouer

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