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Wie können Lieferdienste in Großstädten emissionsfrei und zugleich kostengünstig, personalentlastend und kundenfreundlich zustellen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Rebecca Litauer und Lars Mauch vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO im Forschungsprojekt »GreenPickUp«. Ziel ist es unter anderem, ein Konzept für die innerstädtische Zustellung von Paketen an private Empfänger*innen zu testen. Im Interview erklären sie ihren Ansatz und welche Bedeutung mobile Paketstationen dabei einnehmen könnten. 

Hallo Frau Litauer, hallo Herr Mauch. Online zu bestellen und sich Waren nach Hause liefern zu lassen, erfreut sich auch nach Corona weiterhin großer Beliebtheit. Laut Bundesverband Paket und Express Logistik wurden im vergangenen Jahr über vier Milliarden Sendungen verschickt. Und ein Ende des Trends scheint mir kaum absehbar.

Litauer: Das stimmt, es wird immer mehr bestellt. Diese Entwicklung hat aber zunehmend negative Auswirkungen auf die Lebensqualität in unseren Städten. Zustellfahrzeuge mit Verbrennungsmotor verschmutzen nicht nur die Luft, sie werden auch häufig in zweiter Reihe oder auf Fahrradwegen abgestellt. Deshalb verringert sich zunehmend die Lebensqualität der Anwohner. In unseren Forschungsprojekten versuchen wir deshalb genau diese Missstände zu adressieren. Bisher haben wir allerdings immer die städtische oder die Perspektive des Logistikdienstleisters eingenommen. Der Ideenwettbewerb »#mobilwandel2035«, der durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz durchgeführt wird, hat uns nun die Möglichkeit gegeben, eine neue Sichtweise auf die City-Logistik einzunehmen. Ziel war es, zusammen mit Bürgern und Bürgerinnen der Stadt Stuttgart im Rahmen von interaktiven Workshops ein Zielbild für eine nachhaltige Innenstadtlogistik für das Jahr 2035 zu entwickeln. Diese Ergebnisse waren dann die Grundlage für die Entwicklung des Zustellkonzepts, das wir in unserem nächsten Umsetzungsprojekt »GreenPickUp« ausprobieren möchten.

Mauch: Schnell hat sich in diesen Workshops die Fragestellung entwickelt, ob sich private Verkehre mit kommerziellen Zustellungen auf der letzten Meile verbinden lassen. Denn oftmals kommen Menschen, die in der Stadt unterwegs sind, an zentralen Orten vorbei. Menschen gehen einkaufen, zur Arbeit oder steigen an ÖPNV-Haltestellen um. All das sind für uns perspektivisch Orte, an welchen Pakete an Empfänger übergeben werden könnten. Die »letzte Meile« bis zur eigenen Haustür würde der Empfänger dann selbst mit dem Paket zurücklegen.

Litauer: Und genau an diesen Orten möchten wir mobile Paketstationen, sogenannte »GreenPickUps« aufstellen. Diese sollen flexibel und nachfragebasiert per Lastenrad im Stadtraum bewegt werden und so helfen, Wege möglichst kurz und damit CO2-arm zu halten. Das mag alles sehr komplex klingen, da es sich aber um ein Forschungsprojekt handelt, möchten wir möglichst viele Erfahrungen sammeln und viel ausprobieren. Unser Anspruch als Wissenschaftler ist es nicht, ein umsetzungsreifes Produkt zu entwickeln, im Vordergrund steht immer der Erkenntnisgewinn.

Wie entscheiden Sie, wann und wo ein »GreenPickUp« aufgestellt wird?

Litauer: Im Zentrum unserer Forschung steht das Sammeln, Aufbereiten und Auswerten von Daten aus unterschiedlichen Quellen. Es gibt unglaublich viele wertvolle Datenbestände, die bei der Stadtverwaltung, bei Logistikern oder Verkehrsunternehmen vorliegen. Diese möchten wir verschneiden, um damit Prognosen zum Paket- und Verkehrsaufkommen zu erstellen, um so täglich den optimalen Standort für die »GreenPickUps« zu ermitteln. Basierend auf diesen Gebietsanalysen führen unsere Kollegen und kolleginnen des Institute for Enterprise Systems (InES) der Universität Mannheim, die ebenfalls am Projekt mitwirken, KI-basierte Simulationen durch. Dies ist für uns sehr wichtig, da wir in unserem Praxistest nur wenige Paketstationen, die wir ebenfalls im Projekt entwickeln, aufstellen können. In den Simulationen analysieren wir dann, wie sich der großflächige Einsatz mit bis zu 100 »GreenPickUps« auf die Stadtlogistik auswirken würde.

Mauch: Dies ist insbesondere deshalb interessant, weil wir nun unterschiedliche Anwendungsfälle zunächst virtuell durchspielen können, denn »GreenPickUps« könnten zum Beispiel auch vor dem Einzelhandel aufgestellt werden, als eine Art »on-demand« Paketstation. Hierzu führen wir beispielsweise Datenanalysen zum Mobilitätsverhalten oder Aufenthaltszeiten von Kunden in Verkaufsräumen durch. Perspektivisch könnten dann Einzelhändler die Stationen nutzen, um ihrer Kundschaft eine Abholung von Waren außerhalb der Geschäftszeiten zu ermöglichen.

Welche Rolle spielt das Projekt »GreenPickUp« auf dem Weg zu einer emissionsarmen Innenstadtlogistik?

Litauer: Im Vorgängerprojekt »Digital_Logistics@LHS« haben wir ein Zielbild 2035 für die Innenstadt der Zukunft entwickelt. Im Zentrum des Zielbilds steht eine Datenplattform, welche die Innenstadtlogistik branchen- und anbieterübergreifend organisiert und optimiert. Die »GreenPickUps« sind also nur der erste Baustein, welcher durch die Plattform gesteuert werden soll. Zukünftig möchten wir beispielsweise noch digitale Frachtbörsen für die Innenstadtlogistik, KI-Modelle bis hin zu Flugdrohnen über die Plattform steuern.

Mauch: Die Zentralisierung aller Logistikmaßnahmen ist der Grundgedanke unseres Projekts. Momentan bewegen sich sehr viele Wirtschaftsverkehre unabhängig voneinander durch die Stadt. Wir nennen dies das ‚Grundrauschen‘ der Lieferverkehre. Es sind unwahrscheinlich viele Fahrzeugflotten unterwegs, deren Transportkapazität niemals ganz ausgelastet wird. So könnten beispielsweise Fahrzeuge, welche vormittags ‚Essen auf Rädern‘ an Senioren ausliefern, diese nachmittags noch mit Medikamenten oder Paketen beliefern. Wenn wir es in einem nächsten Schritt schaffen, diese wirtschaftsverkehre ähnlich wie in »GreenPickUp« zu synchronisieren, würde dies helfen, Infrastrukturen und Betriebsmittel besser auszulasten und damit vorhandene Ressourcen zu schonen.

Wenn es diese Potenziale in der Innenstadtlogistik gibt, warum wurden diese bisher noch nicht von den Logistikern umgesetzt?

Mauch: Die Logistikprozesse der einzelnen Unternehmen sind heute schon hochgradig optimiert und wirtschaftlich. Jegliche Veränderung, wie beispielsweise durch die Einführung eines Lastenrads hat unweigerlich Auswirkungen auf die vorgelagerten Prozesse wie die Paketsortierung, Tourenplanung und Anlieferung der Pakete. Der Elefant im Raum ist sicherlich das »White-Labeling«, das von vielen Politikern und Umweltaktivisten gefordert wird. Bei diesem Konzept werden die Pakete unterschiedlicher Dienstleister durch einen Dritten gebündelt zugestellt, sodass der Kunde statt durch unterschiedliche Zusteller nur noch einmal beliefert wird. Dies hätte allerdings so gravierende Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Logistiker, dass diese ihr Gesamtsystem, welches neben der Letzten Meile auch Langstreckenverkehre zwischen den Städten beinhaltet, nicht mehr wirtschaftlich betreiben könnten. Durch »GreenPickUp« werden wir diesen Gordischen Knoten der Innenstadtlogistik zwar nicht lösen, wir versuchen ihn aber zumindest zu lockern. Hierzu schauen wir uns datenbasiert an, wie »GreenPickUp«-Routen zu planen wären und wie große Logistikdienstleister ihre Pakete wirtschaftlich zu diesen Punkten bringen könnten.

Litauer: Eine der größten Herausforderungen ist der Mangel von geeigneten Logistikflächen. Das beginnt schon damit, dass Logistiker Probleme haben überhaupt geeignete Flächen für Paketzentren in Industriegebieten zu finden, da diese zusätzlich Verkehr und Lärm verursachen. In den Innenstädten verschärft sich dieses Problem durch eine viel höhere Nutzerkonkurrenz noch mehr. Wir versuchen deshalb in unseren Projekten möglichst viele Daten über die Nutzung von Flächen zu erheben. So könnten beispielsweise vormittags auf Verkehrsflächen »GreenPickUps« aufgestellt und nachmittags für andere Nutzungen freigegeben werden. Interessant sind für uns insbesondere PKW-Stellflächen, welche bei niedrigem Parkdruck von uns genutzt werden können. Hierzu führen wir Auswertungen von Parkplatzauslastungen in Echtzeit durch, deren Ergebnisse wiederum in den Algorithmus zur Positionierung der »GreenPickUp« einfließen. Neben einer nachhaltigen Nutzung von Logistikressourcen erreichen wir hierdurch eine bessere Nutzung öffentlicher Flächen.

Welche weiteren Potenziale sehen Sie bei der Innenstadtlogistik ein. Wie steht es beispielsweise um den Einsatz von Zustellrobotern?

Mauch: Konzepte wie Zustellroboter oder auch Flugdrohnen haben sicherlich im Rahmen spezieller Anwendungsfälle ihre Berechtigung. Um jedoch einen signifikanten Unterschied beim Umweltschutz machen zu können, müssen wir uns auf Konzepte fokussieren, mit denen wir große Mengen an Paketen nachhaltig abwickeln können. Hierzu brauchen wir einen sinnvollen Mix aus elektrischen Zustellfahrzeugen, Lastenrädern und Paketstationen. Über eine intelligente Datenplattform könnten diese Bausteine koordiniert werden, um die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient zu nutzen. In der Logistik benötigt man neben gut gepflegten Datenbeständen eben auch die passenden Geschäftsmodelle. Alle Veränderungen im Datenraum ziehen oftmals auch physische Anpassungen im Logistikprozess mit sich. Deshalb können Aussagen von Datenanalysen meist nur durch einen Pilotbetrieb, wie wir ihn in »GreenPickUp« durchführen, bestätigt werden.

Litauer: Diese Feldversuche helfen uns neben der Bewertung unserer Datenanalysen insbesondere auch rechtliche Herausforderungen zu identifizieren, die wir zunächst so nicht auf dem Schirm hatten. Erst bei der Umsetzung und im Gespräch mit den Behörden offenbaren sich teilweise bürokratische Hürden. Diese gilt es dann in den Pilotbetrieben pragmatisch zu lösen. Auch deshalb sind Forschungsprojekte mit einem Umsetzungsteil so wichtig – wir können so frühzeitig Unternehmen aufzeigen, unter welchen Rahmenbedingungen diese später agieren müssen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Zustellung in Bezug auf Optimierung und Nachhaltigkeit?

Mauch: In den vergangenen Jahren wurden sehr viele Forschungsprojekte zu diesem Thema durchgeführt, deren Ergebnisse momentan in Schubladen auf ihre Umsetzung warten. Auch hat sich in der Zwischenzeit einiges getan, so sind beispielsweise Lastenräder heutzutage viel robuster und damit leistungsfähiger. Auch haben die großen Volumenhersteller damit begonnen, batterieelektrische Kastenwägen in Serie zu fertigen. Wir verfügen also über alle notwendigen Kompetenzen, um die Zustellung nachhaltiger zu gestalten. Es liegt nun an der Politik durch Anreizsysteme diese Konzepte zu unterstützen und bürokratische Hemmnisse abzubauen. Projekte wie »GreenPickUp« sind hierfür ein wichtiger Baustein.

(aku)


Rebecca Litauer

Lars Mauch

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