Besser wertschöpfen

Ziel des Projektes »MOVE« ist die Optimierung des Supply Chain Managements, also die Koordination von Lieferketten. Diese stehen in der aktuellen Zeit unter anderem wegen der Abhängigkeit von verschiedenen Partnern und einem steigenden Kostendruck vor neuen Herausforderungen. Begegnen will Jonas Cieply vom Fraunhofer Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM diesen mit Künstlicher Intelligenz. Sie soll in der Lage sein, Prognosen über Kund*innenbedarfe und Lieferzeiten anzustellen, diese mit Modellen und Know-How aus Wertschöpfungsnetzwerken zu verbinden und so das gesamte Wertschöpfungssystem flexibler zu machen. 

​Wer sieht, was ist, der erkennt auch eher, was möglich wäre. Dieser Leitsatz lässt sich problemlos auch auf die Abläufe entlang der Wertschöpfungskette von Unternehmen übertragen. Das Projekt »MOVE« hat es sich zur Aufgabe gemacht, Wertschöpfungsnetze digital abzubilden, um einzelne Prozesse besser analysieren und durch KI optimieren zu können. Der Fokus liegt auf vier Pilotprojekten, dank derer Absatz, Lieferzeiten und Teiletourismus künftig besser prognostiziert werden sollen. Projektkoordinator Jonas Cieply vom Fraunhofer IEM erklärt, wie Wertschöpfungsbeziehungen optimiert werden könnten. 

Hallo Herr Cieply, um die immer komplexer werdenden Wertschöpfungsketten in Unternehmen zu verbessern, nutzen Sie die Unterstützung von KI.  

Genau! Allerdings müssen erst einige Voraussetzungen erfüllt sein, bevor wir Künstliche Intelligenz einsetzen. Wir können – egal ob mit KI oder ohne – nur analysieren und dann optimieren, wenn die nötige Transparenz hergestellt ist. Wir müssen also über umfangreiche Datensätze verfügen, die genau abbilden, was in einem Wertschöpfungsnetzwerk bei einem Unternehmen gerade passiert. Dann aber wird es möglich, nicht nur Verbesserungspotenziale zu erkennen, sondern auch Prognosen zur weiteren Entwicklung einzelner Teilbereiche in der Wertschöpfungskette abzugeben. Im Projekt »MOVE«, um das es hier geht, ist unser Ziel, Prognosen beispielsweise für Kund*innenbedarfe und Lieferzeiten zu erstellen, um sie mit Modellen von Wertschöpfungsnetzen zu verknüpfen und so das ganze Wertschöpfungssystem besser auf Entwicklungen vorzubereiten.  

Sie, beziehungsweise Ihr Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM, haben vier Pilotprojekte mit vier Industriepartnern initiiert, die die Grundlage für die Forschungen bilden sollen.  

Richtig, wir arbeiten mit starken Industriepartnern zusammen. Zudem haben wir ein schlagkräftiges Team aus renommierten Forschungspartnern zusammengestellt. Dazu gehören neben der Universität Bielefeld auch das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML. Gemeinsam sehen wir uns zunächst nur einzelne Ausschnitte in der Wertschöpfungskette an, die wir pilotieren. Aus den Erkenntnissen in den einzelnen Ausschnitten abstrahieren wir als zentrales Forschungsergebnis gemeinsame Hilfsmittel wie Lösungsmuster oder IT-Referenzarchitekturen für die Herausforderungen im Supply Chain Management.

Sie vergleichen die vier Pilotprojekte mit einem Zoom, durch das Sie vier verschiedene Teilbereiche der Wertschöpfungskette betrachten. 

Genau. Ein wichtiges Thema dabei ist der Teiletourismus, bei dem wir vor allem im Bereich intelligenter Simulation forschen. Wie sind die Abläufe aktuell? Und wo lässt sich durch die Simulation erkanntes Optimierungspotenzial am besten ausschöpfen? Unser Fokus liegt auf der Logistik zwischen den einzelnen Produktionsstätten beziehungsweise nachgeschalteten Distributionslagern auf dem Weg zu Kund*innen und endet erst bei deren Belieferung. Ein mögliches Ergebnis dabei könnte beispielsweise sein, dass die bisherige Praxis, ein Zwischenlager zu nutzen, nicht so effizient ist wie erhofft und stattdessen die Kund*innen ab Werk beliefert werden sollten.

Ein anderer Pilot beschäftigt sich mit dem Thema Absatzprognose.

Ein Problem, das wir dabei näher untersuchen, ist das der naturgemäß oftmals recht ungenauen Angaben von Kund*innen, wie hoch ihr Einkaufsvolumen bei einem bestimmten Unternehmen künftig – beispielsweise im kommenden Jahr – sein wird. Eine Aussage wie »wir wollen 2023 vermutlich ähnlich einkaufen wie 2022« ist in der Regel so ungenau, dass das produzierende Unternehmen schwer kalkulieren kann. Deshalb wollen wir Daten zu den Absatzmengen der vergangenen Jahre und zu externen Einflussfaktoren wie beispielsweise der Marktlage so einsetzen, dass Künstliche Intelligenz zukünftige Absatzdaten möglichst genau voraussagen kann.  

Sie arbeiten auch an einem Piloten, den Sie mit Lieferzeitprognose überschrieben haben. Vereinfacht ausgedrückt geht es also um die Frage, wann ein bestelltes Produkt bei Kund*innen sein wird …

Wir müssen dabei eine Vielzahl an Unwägbarkeiten beachten. Im Wesentlichen aber sind es drei Prozesse, die wir uns näher ansehen: zum Ersten die Beschaffungslogistik, zum Zweiten die Produktion und drittens die Auslieferungslogistik.  

Im vierten Projekt steht der Informationsfluss im Vordergrund. 

Auch in diesem Bereich dürften wir zum Projektende Potenziale und Ansätze zur Optimierung herausgearbeitet haben. Prozesse zur Informationsweitergabe sind essenziell, Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit aber sind entscheidend. Und das entlang der gesamten Kooperationskette, von den Kund*innen über die Hersteller*innen bis zu den Lieferant*innen und deren Lieferant*innen. Überall gibt es Hürden, die einen Informationsfluss verzögern. Manchmal ist das sinnvoll, etwa wenn Aufträge gesammelt werden, oft aber entstehen Folgeprobleme. Fast schon klassisch dafür ist der Produzent, der eine Menge X einkauft und morgen vom Kunden hört, dass er die Bestellung kurzfristig abändern muss. Das heißt, dass während der Zulieferer seine Aufgaben gerade mit seinen Sublieferanten koordiniert, um die ursprüngliche Bestellung abzuwickeln, der Produzent bereits über neue Informationen verfügt, die den gesamten Prozess beeinflussen oder sogar neu aufrollen.

Diese vier Piloten fahren Sie in Zusammenarbeit mit vier Unternehmen, die an den Prozessen beteiligt sind und von den Erkenntnissen profitieren.

»MOVE« ist Teil der it’s OWL-Innovationsprojekte. Im it’s OWL Spitzencluster entwickeln rund 200 regionale Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Organisationen hier aus der Region Ostwestfalen-Lippe Lösungen für die digitale Transformation im Mittelstand. Es ist typisch für it’s OWL und vor allem sinnvoll für unsere Forschungen, wenn wir mit und für die unternehmerische Praxis arbeiten. Forschungspart wird zusätzlich aber sein, wie man die eben beschriebenen vier Handlungsfelder grundsätzlich angeht, Probleme erkennt und möglichst auch löst. Ziel unserer Forschungen wird sein, aus den dabei entwickelten Methoden Lösungsmuster abzuleiten, die dann bei verschiedenen Unternehmen anwendbar sind.

Auch wenn die Unternehmen mit Sicherheit ein hohes Interesse an einer Zusammenarbeit haben, Subunternehmen wie beispielsweise Logistikunternehmen müssen für das Projekt ebenfalls Daten zur Verfügung stellen …

… das ist in der Tat eine Herausforderung. Wir bemühen uns intensiv darum, die richtigen Daten in der richtigen Qualität nutzen zu können. Das ist bei der Entwicklung datengetriebener Lösungen grundsätzlich wichtig. In diesem Feld passiert aber eben auch einiges, an der Stelle möchte ich nur die Stichworte »Digitaler Produktpass« und »Lieferkettengesetz« nennen. Es bleibt also spannend. Eine weitere spannende Herausforderung im Zusammenhang mit Daten ist, die große Menge des Expertenwissens in den Unternehmen zu systematisieren. Dieses ist bislang vor allem in den Köpfen der Mitarbeiter*innen vorhanden. Ihre Erfahrungen und Einschätzungen in für unsere Simulation und die KI nutzbare Daten zu überführen, ist etwas Besonderes. Aber das ist die Forschung ja immer.  

(aku) 


Jonas Cieply

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