KI – Ressourcenverbrauch & Nachhaltigkeit
Künstliche Intelligenz (KI) und Nachhaltigkeit scheinen laut Tenor des gegenwärtigen medialen Diskurses eher Antagonisten zu sein. Im Interview mit Dr. Paulina Prantl vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS sprachen wir darüber, wieso derart kategorische Aussagen nicht zutreffen und weshalb eine differenzierte Betrachtung nicht nur sinnvoll, sondern notwendig ist.
KI und Nachhaltigkeit sind zwei Themen, die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen diesen beiden Konzepten?
KI und Nachhaltigkeit würde ich weniger als gegensätzlich sehen – sie sind aus meiner Sicht sogar sehr eng miteinander verbunden: Und zwar über folgende zwei Ansätze: Einerseits kann KI selbst eingesetzt werden, um Nachhaltigkeit zu schaffen. Und andererseits sollten KI-Systeme per se nachhaltig sein, also so wenig Ressourcen wie möglich verbrauchen.
Um ein gemeinsames Verständnis herzustellen: Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit unterscheidet ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Ökologische Nachhaltigkeit beschreibt den weitsichtigen und rücksichtsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen, Es beinhaltet damit Themen wie die Reduktion des Ressourcenverbrauchs – z.B. bei der Nutzung von Daten und bei der Verwendung von Energie oder Rohstoffen – aber auch die Vermeidung von Abfällen. Soziale Nachhaltigkeit als langfristige Sicherung und Förderung von Wohlbefinden, sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten innerhalb einer Gesellschaft beinhaltet beispielsweise faire und gesunde Arbeitsbedingungen. Ökonomische Nachhaltigkeit zielt darauf ab, die wirtschaftliche Nutzung eines Systems, z.B. eines Unternehmens, so zu gestalten, dass es dessen langfristigen Bestand auch aus Ressourcensicht sichert; ohne ökologische oder soziale Schäden zu verursachen.
KI kann bei all diesen Themen einen wertvollen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Allerdings haben Sie recht: KI benötigt ebenfalls Ressourcen, sodass viele Anwendungen nicht von Natur aus nachhaltig sind. Deshalb ist es so wichtig, KI-Systeme ressourceneffizient zu gestalten.
Sie sagen es: Die Nutzung von KI wie z. B. bei ChatGPT führt zu einem signifikanten Energieverbrauch und damit auch zu hohen CO2-Emissionen. Wie können Unternehmen, die auf KI setzen, den Energieverbrauch reduzieren, um diese Emissionen in Einklang mit ihren Klimazielen bringen?
Seitdem ChatGPT auf der Bildfläche erschienen ist, wird diskriminative KI mit generativer KI leider hin und wieder in einen Topf geworfen. Wichtig ist hier den Unterschied zu kennen: Generative KI, wie ChatGPT, generiert neue Inhalte, die vorher im Training nicht vorhanden waren, z.B. Texte oder Bilder. Diskriminative KI untersucht vorhandene Daten, lernt diese zu unterscheiden und zieht daraus Schlüsse für zukünftige Datenpunkte, generiert aber keine neuen Daten. Das wiederum spart Ressourcen und damit CO2.
Generative KI ist im Vergleich zur diskriminativen KI sehr energieintensiv: einerseits aufgrund der Vielzahl an Datenpunkten, auf denen das Modell trainiert wurde – wir sprechen hier von vielen Millionen – andererseits aufgrund der sich daraus ergebenden Größe der Modelle. Auf eine oder wenige Aufgaben spezialisierte, diskriminative Modelle können dagegen viel schlanker arbeiten. Hier zu nennen sind beispielsweise Prognosealgorithmen und Optimierungsmethoden, die für Kapazitätsplanung oder Bestandsmanagement herangezogen werden können. Oder auch Bildklassifikationen und Segmentierungen für die Qualitätssicherung in der Produktion. Unternehmen sollten sich daher Gedanken machen, welche Aufgaben Sie tatsächlich durch eine KI erledigen möchten und diese dann ganz spezifisch entwickeln.
KI kann also selbst Nachhaltigkeit schaffen, z.B. indem sie zur Energieeffizienz beträgt oder den CO2-Ausstoß reduziert?
Ich würde diesen Punkt gern aufweiten, denn wie bereits beschrieben, bezieht sich Nachhaltigkeit nicht nur auf den CO2-Ausstoß, sondern beinhaltet auch weitere ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte.
Betrachten wir wieder die Säule der Ökologie: Hier liegt der Fokus insbesondere auf der Reduktion des Verbrauchs von Energie und natürlichen Rohstoffen, aber auch auf der Vermeidung von Abfall. Ein Beispiel wäre die Entwicklung einer optimierten Energiesteuerung im Unternehmen: Dabei geht es darum, wie der Verbrauch optimiert, regenerative Energie effizient genutzt und damit der CO2-Ausstoß minimiert werden kann. Um das zu analysieren und zu berechnen, nutzen wir moderne Prognoseverfahren und auf den Prognoseergebnissen basierende Optimierungsmethoden. Andere Beispiele wären: In Produktion und Handel lässt sich der Ressourcenbedarf durch intelligente Qualitätskontrollen und Prozessanpassungen reduzieren. Durch Bedarfsprognosen und Bestelloptimierung wird zudem Überproduktion vermieden. All diese Aktivitäten zahlen auf die gesamte Säule der Nachhaltigkeit ein.
In der Säule der Ökonomie liegt der Fokus auf der Reduktion der Kosten, um wirtschaftlich erfolgreicher zu sein. Eine Reduktion der Ressourcen kann oft auch Kosten senken. Ineffiziente, komplexe Prozesse mit Wartezeiten oder unnötigen Iterationen können beispielsweise durch geschickte Kombination von Process Mining und Machine-Learning-Technologien identifiziert und optimiert werden. Dadurch wird Effizienz und Resilienz hergestellt, die dem Unternehmen wirtschaftlich nutzt, aber gleichzeitig auch Ressourcen schont.
Im sozialen Kontext liegt der Fokus auf dem Wohlbefinden des Menschen. Beispielsweise kann durch intelligente Auftragsverteilung und Personaleinsatzplanung eine hervorragende Auslastung der Mitarbeitenden generiert werden, um deren Gesundheit zu schonen. Auch das sind wichtige Aspekte, die zur Nachhaltigkeit beitragen.
Was bedeutet also »nachhaltige KI« und wie unterscheidet sie sich von herkömmlicher KI?
Auch hier würde ich gern wieder auf die drei Säulen eingehen.
Zum Thema Ökologie: Ziel sollte es sein, den Energieverbrauch bestmöglich zu senken, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren – das gilt für das Training der Modelle, die Anwendung der Modelle und die Speicherung der Daten. Im Training ist die Stromreduktion durch die Verwendung einfacher Algorithmen und weniger Daten möglich. In der Anwendung gilt es, qualitativ hochwertige Daten zu kuratieren und eher kleine Modelle zu verwenden, die für jede Abfrage selbst wenig Energie verbrauchen. Bei der Speicherung ist es sinnvoll, nicht alle Daten, sondern nur die relevanten nachzuhalten. Dafür muss man aber natürlich wissen, welche Daten für das Training und die Modelle jetzt und in Zukunft konkret benötigt werden und welche nicht – das ist aktuell auch eines unserer Forschungsbereiche.
Im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit liegt ein großer Fokus auf Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit der KI. Aber auch Themen wie Datenschutz und Ethik sind wichtig. Essenziell ist in diesem Zusammenhang zudem, dass der Zugang zu KI-Systemen nicht nur KI-Expert:innen, sondern allen relevanten Berufsgruppen ermöglicht wird. Deshalb forschen wir gerade an Entwicklungs-Leitlinien, um Fachexperten die Wartung und Instandhaltung von KI-Systemen leicht zu ermöglichen.
Ein wirtschaftlich nachhaltiges KI-System wiederum ist ein System, das möglichst lange in Unternehmen eingesetzt werden kann und nicht unnötig viele Personalressourcen und Kosten verursacht. Aus diesem Grund forschen wir an der Automatisierung aller Prozesse innerhalb der Entwicklung, Wartung und Instandhaltung von KI-Systemen. So sollen Ressourcen sinnvoll genutzt werden.
Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS verfolgt also bereits diverse Forschungsansätze im Bereich KI und Nachhaltigkeit. Was ist das genaue Ziel?
Unser Ziel ist es, Prozesse in Unternehmen und der deutschen Wirtschaft durch KI so zu optimieren, dass Ressourcenverbräuche signifikant reduziert werden. Außerdem forschen wir daran, wie der Ressourcenverbrauch bei der KI-Entwicklung selbst minimiert werden kann, also KI-Systeme ressourceneffizient entwickelt und eingesetzt werden können. Mit diesem Anliegen kommen auch Unternehmen mit sehr komplexen und intransparenten Problemstellungen zu uns.
Um Ressourcenverbräuche in Unternehmen zu reduzieren, nutzen wir unterschiedlichste Unternehmensdaten wie z.B. Logistik-, Transport-, Produktions-, Infrastruktur- und Handelsinformationen. Damit gilt es, Muster zu erkennen, Prognosen abzuleiten und so Transparenz zu schaffen, Geschäftsprozesse zu optimieren sowie Entscheidungshilfen für Fachkräfte abzuleiten.
In Bezug auf Ressourcenverbräuche bei der KI-Entwicklung fokussiert sich meine Abteilung insbesondere auf die Ressourcen Daten und Zeit bzw. Personalaufwand. Dafür betrachten wir den gesamten Machine-Learning-Lifecycle für ein KI-Projekt und entwickeln Strategien, um mit möglichst wenigen eigenen Daten trotzdem noch hervorragende Ergebnisse erzielen zu können. So soll möglichst wenig personeller Zusatzaufwand generiert werden, für denen in Unternehmen oft die Zeit fehlt.
Um mit möglichst wenigen Daten arbeiten zu können, nutzen wir Methoden aus dem Bereich Data Centric AI. Hier liegt der Fokus auf der Steigerung der Qualität der Daten und Nutzung vortrainierter Modelle, um diese mit wenigen Datenpunkten auf die Aufgabenstellung anpassen zu können.
Bei der Ressource Zeit setzen wir auf die bereits erwähnte Automatisierung und die damit einhergehende Reduktion des menschlichen Aufwands für die Entwicklung und den Betrieb von KI-Lösungen. Denn KI-Entwicklung ist oft ein zeitaufwendiger, iterativer Prozess, etwa bei der Auswahl relevanter Daten, der Datenaufbereitung, der Modelloptimierung und der Operationalisierung.
Frau Dr. Prantl, Sie betonen, Ressourceneffizienz sollte von Anfang an in KI-Projekten berücksichtigt werden. Welche Schritte sollten Unternehmen frühzeitig einleiten?
Aus der ökologischen Perspektive sollte der Fokus natürlich auf möglichst geringen Energieverbräuchen liegen. Hier ist der Energieverbrauch für das Training der Modelle, aber auch für die Nutzung der Modelle zu berücksichtigen. Genauso sollte auch die Qualität der Daten – also die Frage, welche Daten zum Training verwendet bzw. welche Daten gespeichert werden sollen – bereits frühzeitig in Projekten hinterfragt werden.
Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit sollten neben der Kostenbetrachtung von Rechenzeit und Speicherplatz, KI-Projekte über die komplette Lebensdauer geplant werden. Das bedeutet, dass neben dem Training und der Verwendung auch die Operationalisierung (Machine Learning Operations – MLOps) in Betracht gezogen werden muss. Dazu gehören unter anderem das Monitoring der Modelle und der Daten, immer wiederkehrendes Nachtrainieren bei Modell- oder Datendrift, der Bedarf der Skalierung, falls ähnliche Applikationen dieses Modell nutzen sollen usw. Der dafür notwendige Aufwand an Personal liegt dabei insbesondere in der Auswahl und der Aufbereitung relevanter Daten als auch in der Auswahl der richtigen Modelle und der Optimierung der Hyperparameter. Dafür braucht es wiederum kompetente Mitarbeitende. Daneben sind Verfahren, mit denen der Lebenszyklus von ML-Modellen von der Entwicklung bis zur Überwachung automatisiert und effizienter gestaltet werden können, essenziell. Dazu zählen unter anderem auch ein effizienter Daten-Lebenszyklus, der auf ein nachhaltiges Datenmanagement von der Datum-Erzeugung, über eine sinnvollen Speicherung bis zur Verwertung und dem Recycling setzt, als auch automatisierte und intelligente Re-Training-Methoden.
Dabei muss jedoch immer der Mensch im Fokus bleiben. Für einen langfristig erfolgreichen KI-Einsatz müssen Unternehmen frühzeitig festlegen, wer mit den Systemen interagiert und für wen die Ergebnisse bestimmt sind. Dazu gehören UI/UX-Designrichtlinien und deren technische Umsetzung in der Ergebnisdarstellung, Erklärbarkeit und Verlässlichkeit.
Mit Blick auf den erwähnten Datenlebenszyklus und damit ein nachhaltiges Datenmanagement: Wie kann man den Umgang mit Daten optimieren, um den Energieverbrauch beim Training von KI-Modellen zu reduzieren?
Daten beeinflussen sowohl den Energieverbrauch als auch den Arbeitsaufwand in Unternehmen. Für die KI-Nutzung werden viele Daten benötigt, wobei sich der Bedarf je nach Anwendungsfall und Datenvarianz unterscheidet.
Für die Entwicklung von KI-Modellen ergeben sich daraus folgende Fragestellungen:
– Habe ich genug Daten?
– Ist die Qualität der Daten hoch genug und habe ich die richtigen Datenpunkte?
– Habe ich genug Labelinformationen zu den Datenpunkten?
– Wie generiere ich diese Labelinformationen?
All diese Fragen bieten Potenzial für Ressourceneffizienz: Je mehr Daten ich nutzen muss, desto mehr Energie verbraucht das Training der Modelle. Habe ich eine hohe Datenqualität und ausreichende Diversität, brauche ich vermutlich auch weniger Daten und benötige entsprechend weniger Energie.
Sind genug Labelinformationen vorhanden (z.B. zu 100 Prozent der Datenpunkte), brauche ich keine komplexen Lernherangehensweisen, um ein KI-Modell zu entwickeln. Auch das zahlt sich in der Energieeffizienz aus. Fehlen in Unternehmen ausreichende Labelinformationen, können KI-Algorithmen helfen, wichtige Datenpunkte zu identifizieren und diese von Menschen labeln zu lassen, um den Prozess und den Aufwand effizient zu gestalten.
Was sind die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, KI mit Klimazielen in Einklang zu bringen?
Wir haben in meinen Augen eine Diskrepanz zwischen dem Bedarf an technologischem Fortschritt – sei es, um dem Fachkräftemangel in Deutschland zu begegnen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln oder die Komplexität der Globalisierung handzuhaben – und den dafür vorhandenen und notwendigen Ressourcen. Um aber die Klimaziele in den Griff zu bekommen, müssten in erster Linie weniger Ressourcen verbraucht werden: weniger Energie, weniger Rohstoffe etc. Für beide Herausforderungen, also technologischen Fortschritt und Ressourcenverbrauch, kann KI eine Lösung sein; wenn sie nicht im Gegenzug mehr Energie verbraucht, als sie einspart.
Zum Schluss: Wo sehen Sie die größten Chancen für den Bereich »grüne KI« in der kommenden Dekade? Und: Ist die Industrie bereit dafür?
In der Anwendung von KI sehe ich die größten Chancen darin, intransparente Prozesse in Bezug auf Energie, Ressourcen oder Zeit zu identifizieren und daraus Potenziale für Nachhaltigkeit zu heben. Ein solches Beispiel könnte in der Zukunft auch explizit zirkuläre Wirtschaft, Circular Economy, sein. Sehr wahrscheinlich wird in diesem Fall die Komplexität der Geschäftsprozesse enorm steigen, da Wertschöpfungsketten dann nicht mehr linear ablaufen. Und hier kann KI eine enorme Hilfe darstellen, denn gerade bei komplexen Fragestellungen spielt sie ihre stärksten Trümpfe aus.
Man darf aber nicht vergessen: Künstliche Intelligenz ist noch zu einem großen Teil Stand der Forschung. Ressourceneffizienz, insbesondere auch in generativer KI, steht dabei immer mehr im Fokus – auch in der Forschung von Fraunhofer. Damit wächst mit der Zeit auch die Chance, dass KI nicht nur für mehr Nachhaltigkeit eingesetzt wird, sondern zukünftig diese Technologie selbst auch immer ressourcenschonender werden wird.
Meiner Meinung nach ist die Industrie zum Glück aber zunehmend bereit, KI einerseits für Nachhaltigkeit zu nutzen, andererseits sich aber auch mit der Nachhaltigkeit von KI selbst zu beschäftigen. Denn unabhängig von der Technologie, ist das Bewusstsein für den Bedarf nach nachhaltigem Wirtschaften aus Sicht der Gesetzgebung, aber auch in der Gesellschaft und damit in den Unternehmen immer mehr gegeben – und das in nahezu allen Branchen.
(lge)

Expert*in
Dr. Paulina Prantl
Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS