Training auf eigenem Terrain

5G Bavaria wird gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. In anderen Bundesländern gibt es Initiativen mit ähnlichen Ansätzen, unter anderem das Open Testbed Berlin, in dem das Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI involviert ist. Über 5G Bavaria werden 5G-Testumgebungen angeboten, mit denen Unternehmen die neuen Funktionalitäten ihrer Produkte umfangreich evaluieren können. Der entscheidende Vorteil: Die Industrie erhält schnell wichtiges Feedback über ihre Anwendung im Zusammenhang mit 5G. 

Für Industrieunternehmen bietet 5G zukunftsweisende Möglichkeiten, Prozesse zu optimieren, Ressourcen zu sparen oder neuartige Produkte auf den Markt zu bringen. Aber um eine private oder öffentliche 5G-Infrastruktur nutzen zu können, müssen 5G-Produkte für das Internet of Things, für industrielle Prozesse oder das (teil-)autonome Fahren auch immer sicher und stets zuverlässig funktionieren. Das Fraunhofer IIS stellt deshalb zwei Testbeds zur Verfügung. Im Interview erklären die beiden 5G-Experten Thomas Heyn und Martin Speitel das Angebot ihres Instituts

Hallo Herr Heyn, Hallo Herr Speitel, Sie beide sind verantwortlich für zwei vergleichsweise neue Areale, auf denen Institute und Industrieunternehmen Funktionen und Geräte im Zusammenhang mit 5G testen können. Allerdings habe ich den Eindruck, dass 5G doch bereits eingeführt ist und – bis auf Funklöcher – auch funktioniert. Warum nun zwei neue Testbeds in Bayern?

Heyn: Sie sprechen von einem subjektiven Eindruck, der bei vielen Usern und Userinnen entstehen muss, die 5G auf ihrem Smartphone nutzen. Aber 5G bietet eben deutlich mehr – und vielleicht auch wichtigeres – Potenzial als mit dem Handy verzögerungslos das Internet nutzen zu können. Aktuell ist in den öffentlichen Mobilfunknetzen die Basisversion von 5G vor allem für die schnelle Internetnutzung ausgerollt. Aber eben noch nicht die Erweiterungen aus der Mobilfunk-Standardisierung, wie zum Beispiel für die industrielle Kommunikation, für E-Health, das autonome Fahren oder für andere Anwendungen. 

Speitel: Außerdem wird 5G ja auch nicht auf einen Schlag ‚fertig‘, sondern wird etwa im Eineinhalb-Jahres-Rhythmus auf eine neue Stufe gehoben. Diese Releases – aktuell sind wir bei Nummer 18 in der Standardisierung – setzt auch neue Standards. Für die Funktionalität industrieller Netze beispielsweise, das Internet of Things oder auch die Satellitenkommunikation. Das ist ein kontinuierlich ablaufender Prozess, für den die Forschung immer wieder neuen Input bereitstellt. 

Heyn: Die Produkte, die auf diesen Releases aufbauen, kommen natürlich erst mit einer Verzögerung von mindestens zwei Jahren auf den Markt. Sie müssen nach Abschluss der Standardisierung nicht nur entwickelt, sondern auch ausführlich getestet werden. 

Speitel: Und es sollten entsprechende Standards vorliegen. Unsere Aufgabe beim Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS ist es, genau diese Lücke zwischen Standardisierung aufgrund von technischen Neuerungen im Bereich 5G und dem kommerzialisierbaren Produkt möglichst klein zu halten. 

Genau darauf zielt wohl auch 5G Bavaria, über das ich gerne mit Ihnen sprechen würde.

Speitel: Über 5G Bavaria bieten wir 5G-Testumgebungen, mit denen Unternehmen neuer Funktionalitäten ihrer Produkte umfangreich evaluieren können. 

Heyn: Und das auf zwei Ebenen. Zum einen können sie Produkte und Funktionen unter Laborbedingungen testen, wenn wir die Leistungsfähigkeit beispielsweise auch in Interaktion mit andern Geräten und Systemen simulieren beziehungsweise emulieren. Der Vorteil dabei: Die Industrie erhält schnell wichtiges Feedback über ihre Anwendung im Zusammenhang mit 5G. Prototypen lassen sich damit schon in einer frühen Phase grundlegend verbessern. Und zum anderen können die ausgereifteren Prototypen dann in unseren tatsächlichen 5G-Testumgebungen, als Testbeds, mit realer Mobilfunkumgebung detailliert erprobt werden.

5G Bavaria wird – deshalb vermutlich auch der Name – gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. In anderen Bundesländern gibt es Initiativen mit ähnlichen Ansätzen, unter anderem das Open Testbed Berlin, in dem das Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI involviert ist. Besteht nicht die Gefahr, dass bei Weiterentwicklungen einer derart grundlegenden Technik jede Region ihr eigenes 5G-Süppchen kocht?

Heyn: Mit unseren Kolleginnen und Kollegen vom HHI stehen wir natürlich intensiv in Kontakt. Deshalb weiß ich auch, dass unsere Engagements sich ergänzen und Forschungen nicht etwa parallel laufen. Und ein gesunder Wettbewerb in der Forschung fördert produktive Prozesse. Das kann uns allen nur Recht sein. 

Das Fraunhofer IIS betreibt im Rahmen von 5G Bavaria derzeit zwei dieser Testbeds? 

Heyn: Die Testbeds dienen natürlich auch dazu, die eigenen Forschung voranzubringen. Aber was für Institutionen und Unternehmen besonders interessant ist, ist die Möglichkeit, hier konkrete Use Cases mit 5G-Technologie zu erproben und die Zuverlässigkeit und die Grenzen von 5G auszutesten. Ich als Gruppenleiter Mobilkommunikation bin zuständig für das Testbed in Nürnberg für den Bereich Industrie 4.0 und mein Kollege Speitel ist Gruppenleiter Automotive und zuständig für das Testbed »Automotive« in Rosenheim. Aber natürlich ziehen wir keine scharfe Trennlinie, sondern tauschen die Erfahrungen intensiv aus. 

Speitel: Für beide Testbeds gilt, dass die jeweiligen Aufgaben sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können. Je nach Kundenbedarf, Entwicklungsstand und Anforderungen an das Produkt. Während ein Kunde mit einem komplexeren Szenario mit vielen Fahrzeugen und Basisstationen zunächst unter Laborbedingungen arbeiten will, kommt es ebenso vor, dass ein anderer im realen Testbed in Rosenheim mit unseren drei Sendestandorten zwischen Bahnhof und Inntal-Dreieck mit Liveübertragung und einer Versuchsfunklizenz Tests durchführt. Dazu kommt, in meinem Fall, dass natürlich nicht nur die Automobilindustrie an solchen Tests interessiert ist, sondern beispielsweise auch Versicherungen oder Automobilklubs.  

Wie stark ist die Nachfrage?

Speitel: Die Testbeds sind im vergangenen Jahr 2022 offiziell in Betrieb gegangen und wir stellen sie aktuell auch verstärkt auf Messen vor. In den vergangenen Monaten ist die Nachfrage deutlich angestiegen. Bislang sind es meist Firmen, die überlegen, ob und wie sie 5G bei sich einsetzen können. Es gibt ja viele Versprechungen der Mobilfunkindustrie und in den Medien, welche Vorteile 5G grundsätzlich bietet. Wir denken den Schritt weiter und sehen in die Praxis: Kommen die Vorteile von 5G wie etwa die extreme Zuverlässigkeit und die minimale Latenz in bestimmten Anwendungsfällen auch tatsächlich zum Tragen? Unternehmen können das bei uns experimentell ausprobieren. 

Heyn: Und das nicht nur in den zwei Testbeds, über die wir eben gesprochen haben, sondern beispielsweise auch durch unser mobiles Campusnetz, also ein regional begrenztes, eigenes Mobilfunknetz für ein lokales Firmengelände das auf die individuellen Bedürfnisse der Nutzer zugeschnitten werden kann. Dieses Netz kann beim Kunden vor Ort, etwa für eine Produktionshalle, aufgebaut werden, um Tests und Experimente zum Einsatz von 5G durchzuführen. 

Parallel haben Sie mit C-V2XSim auch ein Tool entwickelt, um die Funktionalität und die Konnektivität von Fahrzeugen zu testen. 

Speitel: Richtig, C-V2X, also Cellular Vehicle-to-Everything, ist der aktuelle Kommunikationsstandard für die Fahrzeugvernetzung in 4G- und 5G-Mobilfunknetzen. Mit seiner Hilfe verbinden sich Fahrzeuge nicht nur untereinander, sondern auch mit Fußgängern, der Verkehrsinfrastruktur und dem Internet. Und unsere neue Simulationsplattform C-V2XSim ermöglicht es, die Leistungsfähigkeit von C-V2X in realistischen Verkehrsszenarien und unter verschiedenen Netzbedingungen zu simulieren und zu testen. 

(bet)


Martin Speitel


Thomas Heyn

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