Fraunhofer-Institute entwickeln Technologien für ein 6G-Funknetz
Darf’s ein bisschen schneller sein? Ja, es darf. Und deshalb arbeiten Forscher*innen verschiedener Fraunhofer-Institute heute schon am Mobilfunkstandard 6G, dem Nachfolger von 5G. Allerdings geht es bei der Entwicklung der nächsten Netzgeneration nicht nur um Geschwindigkeit. Durch die Nutzung von dann drei Dimensionen eröffnen sich vielversprechende, neue Möglichkeiten. Im Interview erklärt Bernhard Niemann vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, was es damit auf sich hat. Und warum das Projekt »6G Sentinel« der Startschuss in eine neue Ära sein könnte.
Hallo Herr Niemann, der Mobilfunkstandard 5G ist in Deutschland noch nicht flächendeckend ausgerollt. Und die zukunftsweisenden Möglichkeiten, die diese schnelle und nahezu latenzfreie Übertragung bietet, werden nur vereinzelt genutzt. Trotzdem forschen Sie schon am Standard der nächsten Generation: 6G.
Natürlich könnte man jetzt lapidar sagen, dass es zu unseren Aufgaben gehört, an Dingen zu forschen, die bald sehr wichtig werden können, aber diese Antwort wäre zu oberflächlich. Egal, ob LTE, 5G oder bald 6G: Mit jeder Generation werden neue Möglichkeiten geschaffen; die dazu notwendigen Technologien müssen vorab entwickelt werden. Allein deshalb ist es grundlegend, dass gleich mehrere Fraunhofer-Institute mit ihren unterschiedlichen Ausrichtungen und Kompetenzen an dieser Zukunftstechnologie forschen. Im Projekt »6G SENTINEL« bündeln wir unsere Expertisen. Ziel ist es, die Weichen für die sechste Mobilfunkgeneration zu stellen, damit die damit verbundenen Vorteile bald genutzt werden können.
»6G SENTINEL« ist ein deutlich angenehmerer Name als »Six-G Enablers: Flexible Networks, THz Technology and Integration, Non-Terrestrial Networks, SidElink, and Localization«, für das diese Abkürzung steht. Andererseits deuten die hier aufgezählten Themen auch die Vielschichtigkeit Ihrer Aufgaben an. Was aber vorab wichtig ist: Warum ist 6G überhaupt nötig? Das Versprechen von 5G ist unter anderem, dass nun das Steuern etwa auf Industriearealen in nahezu Echtzeit möglich ist oder dass autonom fahrende Fahrzeuge nun über die nötige Infrastruktur verfügen, um schnell reagieren zu können. Eigentlich müssten wir damit doch zufrieden sein können.
Die Entwicklung ist ähnlich wie bei einem Prozessor. Auch hier kommen immer wieder neuere Generationen auf den Markt, die effizienter und vor allem schneller sind. Darauf bauen dann auch neue Möglichkeiten und Angebote auf. Aber es gibt auch grundsätzliche Dinge, bei denen uns 6G neue Horizonte eröffnen wird. Dazu gehören zweifelsohne die 3D-Netze.
Das bisherige Mobilfunknetz hat im Grunde nur zwei Dimensionen …
Genau. Es ist ausgelegt auf eine Verbreitung über Land. Nun aber kommt noch die dritte Dimension, also die Höhe dazu. Anstelle der fest positionierten Antennenmasten nutzt man Satelliten, High Altitude Platforms oder spezielle Drohnen. Mit ihnen kann nicht nur für eine komplette Versorgung rund um den Globus sorgen, sondern es auch möglich machen, dass das Netz Sie sozusagen begleitet: Wo bislang feste Masten nötig waren, ist es nun möglich, die Antennen in die Luft zu bringen, um ein flexibles, also bewegliches, fliegendes Netz aufzubauen. Das Konzept ist ähnlich dem einer Drohne, die einen Spaziergänger oder einer Spaziergängerin folgt, um ihn oder sie zu filmen.
Mit 6G soll das Mobilfunknetz ja auch eine Art »sechsten Sinn« entwickeln. Was kann man sich darunter vorstellen?
Das kling sehr prosaisch und der technische Ansatz des Integrated Communication & Sensing (ICAS) sollte anders erklärt werden. Gemeint ist der Vorteil, dass bestimmte Sensorfunktionen zu einem integralen Bestandteil von zukünftigen 6G-Kommunikationsnetzwerken gehören werden. Damit wird innerhalb eines Kommunikationsnetzes nicht nur der »klassische« Informationsaustausch möglich. Wir können auch Umgebungsparameter erfassen. Denn zusätzlich zu den gesendeten Signalen im Netz werden nun auch Reflexionen empfangen und verarbeitet: Unterschiedliche Arten von Objekten reflektieren Funkwellen unterschiedlich stark. Das funktioniert fast wie eine Ultraschalluntersuchung in der Medizin. Und aus diesen Reflexionen lassen sich nun Informationen über die Position von Objekten oder deren Oberflächenbeschaffenheit errechnen. Wir erfahren also – quasi nebenbei – auch etwas über die Umgebung, das ist beispielsweise beim Einsatz in der industriellen Fertigung oder auch beim autonomen Fahren interessant.
Parallel dazu sollte ein 6G-Netz auch »intelligenter« agieren als das bei bisherigen Standards der Fall war.
Das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, an dem wir bei 6G SENTINEL arbeiten. An diesem Projekt sind neben dem Fraunhofer IIS auch das Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz Institut, HHI, das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF und das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM beteiligt: Durch die Integration von Künstlicher Intelligenz in die Netzwerke lässt sich die Abdeckung weiter verbessern und die Service-Qualität an den jeweiligen Bedarf anpassen. Damit können die 6G-Netze nun auch deutlich energiesparender agieren.
Ein Kennzeichen des 5G-Ausbaus war es, dass durch das Nutzen höherer Frequenzen zwar die Bandbreite deutlich zugenommen hat, gleichzeitig aber auch die Reichweite kürzer wurde. Mit 6G wollen Sie nun noch höhere Frequenzen nutzen …
Bei 6G gehört es zu unseren Zielen, die Frequenz-Bereiche weiter zu flexibilisieren. Ähnlich wie bei 5G wird es auch bei 6G die Möglichkeit geben, den Frequenzbereich bis sechs Gigahertz zu nutzen; hier ist die Reichweite auch bei 6G so wie bei bisherigen Mobilfunknetzen. Ebenfalls bereits bei 5G ist die Möglichkeit der Nutzung des Millimeterwellenbereichs zwischen 14 GHz und 70 GHz hinzugekommen; die Reichweite der Funkwellen ist in diesem Bereich geringer als im Bereich bis sechs Gigahertz. Bei 6G wird nun die Nutzung von (Sub-)Terahertz-Frequenzen zwischen 100 GHz und 300 GHz erforscht. Bedingt durch die nochmals höhere Frequenz nimmt die Reichweite weiter ab. Letztlich wird es aber nicht darum gehen, die höheren Frequenzbereiche flächendeckend auszurollen, sondern je nach Anwendung und Umgebung die passende Netzarchitektur zu nutzen. Wir gehen deshalb aus von einer Mischung von punktuellen, eher engmaschigen, sogenannten Deployments mit höheren Frequenzen für Bereiche, wo die Bandbreite entscheidend ist. Und von großflächigen, eher grobmaschigen Deployments für die Abdeckung in der Fläche mit niedrigeren Frequenzen, wo auch die Gegebenheiten und damit beispielsweise auch Ausbaukosten stärker zum Tragen kommen. Andererseits sind die Antennen für 6G nicht größer als ein Fingernagel und können damit gut verbaut werden.
Wann wird 6G einsatzbereit sein?
Ähnlich wie bei 5G gibt es nicht den einen Zeitpunkt, sondern es wird eine kontinuierliche Umstellung und dann Erweiterung von 6G geben. Ich gehe aber davon aus, dass die Technik etwa in sechs oder sieben Jahren so weit sein wird. Aktuell wird weltweit an der Erforschung der hierfür notwendigen Grundlagen und Technologien gearbeitet. Das Projekt »6G SENTINEL« leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.
(aku)
Expert*in
Bernhard Niemann
Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS